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Zeit Schriften: Requiescat in Internet

Die Fans von David Foster Wallace hinterlassen Spuren im Internet: Spuren des Andenkens. Gregor Dotzauer darüber, wie die Beute gejagt wird, um sie ins Netz zu stellen.

Von Gregor Dotzauer

Und aus New York, versprach die Freundin, bringe ich dir einen ganzen Stapel David Foster Wallace mit. Die Stadt, sagte sie, ist bestimmt gepflastert mit seinen Büchern. Denn auch zwei Wochen, nachdem er sich, in die heillose Ewigkeit seiner seelischen Verfinsterung starrend, mit 46 Jahren das Leben nahm, vergeht kein Tag, an dem nicht ein neuer Nachruf oder eine neue Erinnerung erscheint oder ein weiterer Prosaschnipsel ausgegraben wird. Amerika trauert um einen Mann, über den es – Reserven hin, Reserven her – unisono heißt: Er war der Beste seiner Generation, ausgestattet mit einem „laserscharfen Intellekt, immerwacher Ironie, verspieltem Witz und einem mitfühlenden Sinn für das Komische und Absurde“, wie es Dale Peterson, einer seiner Professoren am Amherst College in Massachusetts, formuliert, wo die literarische Karriere von Foster Wallace begann. Sein Debütroman „Der Besen im System“ (1987) ist, ungewöhnlich auch für eine US-Universität, die Examensarbeit, die er zusammen mit einer philosophischen Untersuchung zu „Richard Taylors ,Fatalism’ and the Semantics of Physical Modality“ eingereicht hatte. Sie beförderte ihn summa cum laude zum Bachelor of Arts.

Beim Flaggschiff der Buchhandelskette Barnes & Noble am Union Square aber – kein einziger Titel. Nicht die gerade als Buch erschienene, vor acht Jahren vom „Rolling Stone“ in Auftrag gegebene Reportage über John McCains erste Präsidentschaftsbewerbung, nicht sein Opus Magnum „Infinite Jest“, eine auf 1079 Seiten mit 388 Fußnoten explodierende Vision eines an sich selbst zugrunde gegangenen Amerika, die im nächsten Jahr, übersetzt von Ulrich Blumenbach, bei Kiepenheuer & Witsch endlich auf Deutsch erscheinen soll. Einfach nichts. Die Verkäuferin: ahnungslos. Foster Wallace? Nie gehört. Der Computer verrät immerhin, dass etwas bestellt sei – Ankunft möglicherweise nächste Woche.

Doch bevor man in zusätzliche Trauer über das Auseinanderfallen von kulturellem Gedächtnis und Marktignoranz verfällt – in Greenwich Village und der Upper Westside sollen Exemplare gesichtet worden sein –, sollte man sich darüber klar werden, dass jede Form von Erinnerung mehr und mehr ins Internet einwandert. Ob Tierfriedhöfe oder literarische Vermächtnisse: Hier entstehen ebenso wild wuchernde wie nach wissenschaftlichen Maßstäben geführte Graswurzelarchive, die nicht nur aufbewahren, was auch in Bibliotheken zu finden wäre. YouTube speichert TV-Dokumente von Joseph Brodsky oder Octavio Paz, die bei den Sendern wohl kein Forscher mehr auftreiben könnte – von der sofortigen Zugänglichkeit ganz abgesehen.

Seit Jahren ist www.thehowlingfantods.com/dfw das Tor zu allem, was man über Foster Wallace wissen wollen könnte: verlinkt zu Hunderten von Rezensionen und Porträts und Fan-Websites, zu Diskussionsgruppen und akademischer Sekundärliteratur. Insofern nutzt das zur Gruft gewordene Medium nur die ihm eigenen Möglichkeiten und bündelt nun eben auch, was zwischen Robert Itos bewegendem Feature „The Last Days of David Foster Wallace“ (www.salon.com) und Amos Barshads instruktivem „What Was David Foster Wallace Like As a Teacher?“ (nymag.com) erschienen ist.

Die Sammelwut, mit der Ryan Niman (theknowe.net/dfw) noch im Juli nach Amherst aufbrach, um dort die Bibliothek nach Spuren von DFW zu durchforsten, lässt sich ohne das Ziel, die Beute ins Netz zu stellen, nicht denken. Niman fand nie bibliografierte Zeitschriftentexte des Studenten und die erwähnte philosophische Arbeit, deren virtuose Formallogik ihr spielerisches Pendant in der Prosa fand. Jeder konnte das lesen – bis DFWs Agentin Bonnie Nadell intervenierte.

„The Uncollected David Foster Wallace“ auf der „Fantods“-Seite beginnt nun mit dem Dialog „Other Math“ von 1987. „Opa“, verkündet da ein Sechstklässler, „ich habe mich in dich verliebt. Ich will mit dir gehen. Für immer.“ Der Großvater wehrt sich, indem er erklärt, verheiratet zu sein, ein Mann und eine Ruine – was den Enkel nicht besänftigt. Solch ironischen Absurditäten, bei denen alle Beteiligten nicht wissen, was sie sagen, mit einem Ton tiefer Tragik zu unterfüttern, darauf verstand sich David Foster Wallace wie kein zweiter Autor dieser Zeit.

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