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Farbwechsel. Früher war alles schwarz-rot-weiß, jetzt ist Jack White in seine blaue Phase eingetreten.

© Mary Ellen Matthews

Neues Jack-White-Album "Lazaretto": Du musst um meine Liebe kämpfen

Blues, Rock und Rosenkrieg: Jack White zeigt sich auf seinem zweiten Soloalbum „Lazaretto“ wieder hart und unerbittlich - vor allem gegen sich selbst.

Ob Scheidungsrichter in Nashville Rockmusik hören? Sollten sie vielleicht.

Monatelang wurde vor dem Familiengericht in Tennessee der Fall eines Vaters verhandelt, der mit seiner früheren Ehefrau um das Umgangsrecht für seine beiden Töchter streitet. Sie will es ihm verweigern. Den Richtern werden private Mails vorgelegt und in Schriftsätzen detailliert Auskünfte über die Zuverlässigkeit des jeweils anderen erteilt. Es gibt Klagen und Gegenklagen, eine ziemliche Schweinerei. Dabei hatte das Paar noch 2011 bei einer „Blowout Divorce Party“ öffentlich verkündet, einander über die Trennung hinaus in aufrichtiger Freundschaft verbunden zu bleiben. Er sei ein gewalttätiger Vater, erklärt die Ex-Frau vergangenen Sommer plötzlich, und solle sich einem psychiatrischen Gutachten stellen.

Um sich ein umfassendes Bild von dem Gemütszustand des Mannes zu machen, den die Welt als Jack White kennt, könnten nun auch dessen neue Songs hinzugezogen werden. In einem etwa heißt es: „I’m tired of being told what to do.“ In einem weiteren: „Who is who that is telling who / Just what to do?“

Das Rosenkriegalbum des Jack White

Jack White, der mit The White Stripes zu einer prägenden Figur der nuller Jahre wurde, scheint ziemlich angefressen zu sein. Von den Vorschriften und Vorhaltungen etwa, über die ein wichtiger Teil seines Lebens neuerdings Dritten, Richtern nämlich, überantwortet ist? Da ist wohl unvermeidlich, dass sich Spuren des Scheidungskrieges mit Sängerin, Model und Ex-Frau Karen Elson tief in seine Musik einschreiben. „Lost feelings of love“ ist so ein Satz, der „Lazaretto“ (Third Man Records/XL Recordings) prägt. Seinen Titel verdankt das Album der Quarantänestation für Seeleute, in der die halb verhungert und krank gefangen gehalten wurden.

Dass das Album überhaupt als das Rosenkriegalbum des Jack White rezipiert wird, ist Folge einiger Indiskretionen, deren Opfer White geworden ist. So gelangte eine E-Mail an die Öffentlichkeit, in der er sich gegen Pläne Elsons wehrt, die gemeinsamen Kinder auf dieselbe Schule zu schicken, auf die auch die Tochter des ebenfalls in Nashville lebenden Black-Keys-Gitarristen und -Sängers Dan Auerbach geht. Er, White, wolle nicht bei Elternabenden dem „Arschloch“ begegnen, das die White Stripes „ausschlachte“, hieß es in der Mail an Elson. Überhaupt würde sie ihren Einschulungsplan nur vorantreiben, um ihn zu ärgern.seinen kleinen Skandal. Pat Carney, Bandkollege Auerbachs und Schlagzeuger der Zwei-Mann- Band, hat das Wesentliche dazu gesagt: Whites Mail sei privat gewesen, niemand dürfe von ihr wissen. Alles gut also? Mitnichten. Jack White scheint durch den Kampf um seine väterlichen Ansprüche vollends zum Misanthropen geworden zu sein. Er kommt sich betrogen vor. Um seinen kulturellen Stellenwert, was der gereizte Seitenhieb auf die Black Keys nahelegt. Aber darüber hinaus um sein Anrecht auf Glück. Niemand könne aus irgendwas irgendwem gegenüber irgendeinen Anspruch ableiten, singt er in „Entitlement“. „We don’t deserve a single damn thing.“ Uns steht nichts zu.

Das ist womöglich nur eine Pose, die sich reibt an der Allverfügbarkeit durch Smartphones und virtuelle Netzwerke. Seine Musik soll das Gegenmodell zu dem Leichtzuhabenden, Flüchtigen sein. Sie ist etwas, das man sich verdienen muss.

Heftige Riffs, schleppende Beats

Tatsächlich ist „Lazaretto“ als psychologische Momentaufnahme spannender, als es die elf neuen Stücke musikalisch sind. Denn White macht eben auf seinem zweiten Soloalbum – 2011 war mit „Blunderbuss“ sein Debüt erschienen –, was er immer schon besonders gut konnte, sei es mit den White Stripes oder den Folgeprojekten The Raconteurs und The Dead Weather. Heftige Riffs, schleppende Beats, eine bis an die Schmerzgrenze impulsive E-Gitarre und die unverhohlen aggressive Drohung des Gesangs. Darin ist White ein wahrhafter Meister. Aber er erweitert sein Arsenal nicht. Die deutlichen Anklänge an Country und Folk, die auf „Blunderbuss“ als Reminiszenzen an seine Wahlheimat Nashville zu hören waren, haben sich aus seiner Musik ausgeschlichen. Es geht auf „Lazaretto“ entschieden härter zu. Brachialer und berührender.

Gott lasse seine Kreaturen hängen, zürnt der Musiker.

Kaum jemand verkörpert den Typus des Angry Young Man so überzeugend wie Jack White.
Kaum jemand verkörpert den Typus des Angry Young Man so überzeugend wie Jack White.

© dpa

Denn es ist hoffnungslos: Männer und Frauen, das klappt einfach nicht. Sie kämpfen, saufen, kratzen und wüten, ohne das große Versprechen je einzulösen, das sie sich geben. White weiß, dass das in seinem Fall vor allem an ihm selbst liegt. Im Titelsong porträtiert er sich als unruhigen Geist, dessen Hirn ständig in elektrischer Spannung zuckt. Der nicht still sitzen, nicht zuhören, nicht viel anderes tun kann, als zu zerstören, was er aufgebaut hat. Er sei eine Zumutung, erzählt er dem „Guardian“. „Ich mache niemandem einen Vorwurf, nichts mit mir zu tun haben zu wollen.“

Blues ist das unaufhörliche Klagelied des selbstverschuldeten Unglücks. White hat das so sehr verinnerlicht, dass er nie Bluesmusik spielen musste, um sich dessen Kraftquellen zu bedienen. So kommt der Song, der sein Dilemma auf „Lazaretto“ am besten beschreibt, ohne jeden Blues-Akkord aus. „Would You Fight For My Love“ ist wuchtigster Power-Pop, vielleicht das Beste, was White je geschrieben hat. Mit Streichern und einem Chor, mit explosiven Beckenschlägen des Schlagzeugers und dem sich langsam steigernden Drama einer Amour fou. White singt gegen die Gefühlskälte einer Frau an. Aber wenn es nur darum ginge, unerbittlicher von ihr geliebt zu werden, wäre die Sache ja einfach – und der Song nicht so stark. „I can’t kiss you till you lift up your chin“, sing White. Was nur eine andere Art ist zu sagen, dass einem nichts geschenkt wird. Von White schon gar nicht.

"Verdammt, wir haben gerade eine neue Welt erobert."

Als jüngstes von zehn Kindern hat John Anthony Gillis früh sehen müssen, wo er bleibt. Seine Eltern, in der Erzdiözese von Detroit beschäftigt, hatten wenig Geld. Mit 21 Jahren zog ihr Jüngster sein eigenes Polsterer-Geschäft auf und heiratete im Jahr drauf Meg White, deren Namen er annahm. Die Ehe hielt nicht lange. Was aber anhob, nachdem Jack White seiner Weggefährtin das Schlagzeugspielen beibrachte, war der sagenhafte Erfolg des Duos The White Stripes. Vier Millionen mal verkaufte sich ihr Album „Elephant“. Aber immer, so gestand White kürzlich dem „Rolling Stone“, „wenn etwas Großartiges passierte und meine Reaktion war, ,Verdammt, wir haben hier gerade eine neue Welt erobert’, saß Meg einfach nur da. … Sie sah mich dann so an, als würde sie sagen, ,Wow, große Sache, du hast es geschafft, na und?’“ Er hielt an der Band fest, weil Meg ihn weiter anstachelte und davor bewahrte, alles zu zerstören. 2011 zog sie sich aus dem Musikbusiness zurück. Und White suchte sich neue Inspirationen.

Aber nichts ist von Dauer. Und das schmerzt. Vielleicht ist das Bewusstsein darum der Grund, warum auch das Album „Turn Blue“ der Black Keys umwerfend geworden ist, nachdem Dan Auerbach damit seine jüngst gescheiterte Ehe hinter sich ließ, und Coldplays Album „Ghost Stories“ eben nicht, obwohl Sänger Chris Martin die Trennung von Gwyneth Paltrow verkraften musste. Die eine Platte vertieft die Trauer, die Wut, den Zorn über sich, und lässt, wo Worte nicht weiterkommen, die Gitarre sprechen. Die andere Platte ist beinahe paralysiert. Ein tönerndes Manifest des Vergessens. Jack White seinerseits sinniert in dem Song „Temporary Ground“ darüber nach, warum Gott seine Geschöpfe hängen lasse „mit der Illusion einer Heimat“.

Gott ist eine Frau

Dass die Wesen auf dieser Welt einander nicht freundlich gesinnt sind, spielt „Lazaretto“ in verschiedenen Stimmungslagen durch. Etwa in dem lieblichen, von Slide-Gitarren unterlegten „I Think I Found The Culprit“, einem Song über zwei Vögel auf einer Fensterbank, die um Brotkrumen herumhüpfen. Einer stänkert. Und White schließt daraus, dass es immer einen gibt, selbst unter Gleichen, der unter Feuer gerät – der Hässlichere. Das ist mehr als mitleidige Frustration eines Scheidungsgeschädigten. In der tieftraurigen Folk-Ballade „Want And Able“ wird White sogar zum Metaphysiker. Er würde ja so gerne, fleht er, die Nähe, die Liebe, das Gute erleben. Aber: „Something simply will not let me.“

Kann man das Schicksal, das man sich selbst ist, besser beschreiben? Übrigens glaubt White, dass Gott eine Frau ist. Und er sagt nicht: Göttin.

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