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Die Fassade verrät wenig vom Innenleben: Das KMSKA in Antwerpen

© Karin Borghout

Prachtvolle Wiedereröffnung in Antwerpen: Europäisches Ereignis: das Museum der Schönen Künste

Elf Jahre dauerte der Komplettumbau. Er kostete nur 100 Millionen Euro - vergleichsweise günstig. Allerdings fehlt das Geschichtsbewusstsein.

Im Branding und Anpreisen ihrer Kultur waren die Flamen schon immer stark. Das gilt für den Tanz und das Theater, dabei vor allem die Avantgarden der 1980er Jahre, die noch nachwirken, aber natürlich auch für die Bildende Kunst. Die Diamantenstadt Antwerpen hat jetzt das Königliche Museum der Schönen Künste (KMSKA) nach elf Jahren Umbauzeit wiedereröffnet – ein europäisches Kunsthaus, dessen Werke sieben Jahrhunderte umfassen. Ein europäisches Ereignis.

Äußerlich lässt sich das klassizistische Bauwerk die gewaltigen Veränderungen kaum anmerken. Zwar wurden die Fassaden gereinigt und wirken frisch wie wohl anno 1890 bei der Einweihung. Sie geben aber keinen Hinweis auf das vollkommen umgestaltete Innenleben. Umso größer die Überraschung: Das Museum hat seine Fläche um vierzig Prozent auf 21000 Quadratmeter erweitert und die Sammlung komplett neu sortiert.

In Berlin kostet so etwas viel mehr

In den alten Lichthöfen schafft das Architektenbüro KAAN neue, großzügige Räume auf drei Ebenen, mit Tageslicht. Dass die Kosten für die spektakuläre und langwierige Aktion kaum mehr als 100 Millionen Euro betragen, macht den Berliner Besucher fassungslos. Der Museumsneubau am Kulturforum dürfte das Vierfache kosten.

Antwerpen besitzt damit eines des modernsten Museen Europas, ausgestattet mit reichlich Multimediatechnik für das Publikum. Das Haus vermittelt ein eindrucksvolles ästhetisches Erlebnis. „The finest feeling“, wie der Slogan des KMSKA lautet. Flandern ist ja nicht arm an Kunstschätzen und historischer Substanz. Die Jan-van-Eyck-Ausstellung in Gent, die wegen der Pandemie nur eine schmerzlich kurze Laufzeit hatte, bleibt vielleicht auch deshalb tief im Gedächtnis, letzte Station vor dem Lockdown.

Die Alten Meister warten in der oberen Etage. Peter Paul Rubens dominiert mit seinen gewaltigen Formaten, schier erschlagend Antwerpen präsentiert ihn wie einen Botschafter der Stadt. Die Museumsräume ordnen sich thematisch und recht allgemein. Doch unter Titeln wie „Madonna“ oder „Schmerzensmann“ finden sich harte Gegenüberstellungen.

Harte Konfrontation von Renaissance und Moderne

Jean Fouquets strahlend schöne Gottesmutter, entstanden um 1456, gehört zu den ikonischen Bildern des Museums in Antwerpen und der gesamten frühen Renaissance. Die Madonna ist nach einem weltlichen Vorbild gemalt. Agnès Sorel Sie war die mächtigste Frau ihrer Zeit und Geliebte des Königs. Fouquets erotisch aufgeladenes Andachtsbild hängt allein auf weiter Wand; ein Charakteristikum des Museums. Es lässt den Werken Luft zum Atmen, schafft Freiräume für die Fantasie. Leer ist manchmal mehr.

Das andere Teil des Madonnen-Diptychons mit den Stiftern hängt in der Berliner Gemäldegalerie. Aber die junge Mutter mit den hohen Brüsten ist nicht ganz allein. Ihr gegenüber haben die Kuratoren ein Bild von Luc Tuymans (geboren 1958) platziert, „Der diagnostische Blick“.

Die Konfrontation schafft Nähe und zugleich Distanz. Es hat etwas Befreiendes, wenn Zeitgenossen auf die alten Heiligenbilder schauen. Das Bedürfnis nach Transzendenz ist ja jetzt nicht geringer, nur drückt es sich anders aus, und das Ziel ist noch weiter entfernt.

Engelschöre und ein Flugobjekt

Im Raum des „Himmels“ steht ein Flugapparat des belgischen Visionärs Panamarenko (auch er wurde in Antwerpen geboren, gestorben 2019) neben den musizierenden Engelsscharen des Hans Memling aus dem 15. Jahrhundert. Die Begegnung schafft ein ironisches Moment. Nebenan, bei den harten Christusbildern, verstärkt die Gegenüberstellung die Dramatik, wenn ein Video des amerikanischen „Schmerzensmannes“ Bill Viola (geboren 1951) auf eine Kreuzigung von Antonella da Messina (1475) trifft – und einen hässlich verzerrtes Christusbild von James Ensor, der im modernen Teil seinen eigenen Flügel hat.

Harter Kontrast. Christliche Kunst und ein zeitgenössisches Objekt.

© imago/Belga / IMAGO/JONAS ROOSENS

Natürlich stößt man im flämisch-niederländischen Umkreis auf reichlich Stillleben und Genremalerei, sattes Wohlleben, deftiger Alltag. Bei der Kunst des 19. Jahrhunderts hängen Orientalisten und Bürgerportraits, und unter den Bildern des harten, armen Lebens der Arbeiter und Bauern stößt man auf einen kleinen van Gogh, eine „Kartoffelbauerin“. Es geht immer wieder um den Kontrast: auf der einen Seite Salonmalerei, auf der anderen ein Raum, der wieder recht unspezifisch mit „Arbeit“ überschrieben ist.

Ein Kabinett ist dem „Gebet“ gewidmet. Und das ist ein Geschenk: Man nimmt Platz auf einer Bank und kommt der Barbara von Jan van Eyck sehr nah. Das zierliche Bild, halb Zeichnung, halb Gemälde (anno 1437), zeigt die Heilige vor einem Turm mit Gerüsten und Bauarbeitern. Damals dauerte es bis zu Fertigstellung eines repräsentativen Bauwerks viele Jahrzehnte und länger.

Man muss sich die Renaissance und die romanische Epoche der Kathedralen als Dauerbaustelle vorstellen. Der Raum mit van Eyck und Rogier van der Weyden lädt ein zur Kontemplation, wie ein Lesesaal.

Aber nur nicht zu ernst werden: Ein paar Räume weiter hängt ein Bild mit Betrunkenen in einer Kneipe schief, mit Absicht. Im modernen, neuen, dem alten Gebäuder eingepflanzten Teil des Museums wird die Hängung noch wilder. Weiß dominiert. Die Beleuchtung wirkt fast schon grell.

Ein Nagelbild von Günther Uecker ist neben einer Kreuzigung des 14. Jahrhunderts und einer grauen, abstrakten Landschaft der 1920er Jahre gelandet. Was diese Drei sich wohl zu sagen haben? Ein Modigliani-Akt hängt neben einem konstruktivistischen Bild; das ist immerhin fast Zeitgleichheit. Fra Angelico und George Grosz in einem Raum: Ob sich das hält?

Großes Erbe: Ein Rubens-Gemälde kehrt ins Museum zurück

© Karin Borghouts

Der flämische Stolz ist nicht zu übersehen. René Magritte und Paul Delvaux, die belgischen Surrealisten, tauchen da und dort auf, wo man sie eher nicht erwartet. Rik Wouters (1882–1916) und seine kräftige, lebensbejahender Malerei und seine Skulpturen nehmen breiten Platz ein. Dem Künstler Michel Seuphor (1901–1999) und seinen Grafiken ist ein ganzer Raum in Zwischengeschoss gewidmet. Und dann kommt, es hat sich angekündigt, James Ensor, der local hero. Antwerpen besitzt die größte Sammlung des belgischen Malers (1860–1949).

James Ensor wird als local hero gefeiert

In seinem langen Leben hat er viele Entwicklungen durchgemacht. Totentänze und Skelettbilder, Maskenaufzüge machten ihn berühmt und zum Klischee. Hier sieht man ihn anders. Wunderbare Seestücke, ins Abstrakte gehend, Stillleben und Portraits und natürlich auch die notorischen Grotesken, von Goya kommend, hängen im Ensor-Schatzhaus des KMSKA.

Ein Bild überragt sie alle. James Ensor malte 1882 die „Austernesserin“, das großformatige, freundlich-helle Bild einer jungen Frau, die allein am reichlich gedeckten Tisch sitzt, mit Wein und allem, und sich mit den Schalentieren beschäftigt. Damals ein Skandal: Eine Frau amüsiert sich allein. Wer weiß, was da alles in dieses Arrangement mit Austern hineingelesen wurde. Das Bild hat die Qualität eines Emblems für Antwerpen mit seiner einladenden Restaurantkultur und der Nähe zum Meer.

Beim Rundgang wird man allerdings das Gefühl nicht los, dass etwas fehlt. Von der horrenden belgischen Kolonialgeschichte, der diese Kunstorte auch ihren Reichtum verdankten, ist im neuen Museum nicht die Rede. Das Haus und seine Sammlung berauschen sich an ihrer Schönheit. Kunstgeschichte wird von der allgemeinen Geschichte getrennt. Genuss ohne Reue.

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