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Kultur: "Quasi niente" trifft "Anna" in der Berliner Brotfabrik

Am Anfang ein Rausch von Farben. Expressionistisch sich windende Spiralen formen eine Untertasse, verwandeln sich in ein Gesicht und verschwinden aus dem Fenster hinaus in den Sommertag.

Am Anfang ein Rausch von Farben. Expressionistisch sich windende Spiralen formen eine Untertasse, verwandeln sich in ein Gesicht und verschwinden aus dem Fenster hinaus in den Sommertag. Eine animistische Welt. Ursula Ferraras Drei-Minuten-Stück "Quasi niente" ist mehr als ein Kunstfilm: Es ist der Film einer Künstlerin, die sonst mit Pinsel, Farbe und Leinwand arbeitet.

Ferraras Bilder - zwei ihrer Arbeiten sind in der italienischen Kurzfilmwoche "Italia in corto" in der Berliner Brotfabrik zu sehen - befriedigen in ihrer mediterranen Unbeschwertheit deutsche Italiensehnsüchte. Wenigstens zum Teil. Viele der Filme junger italienischer Regisseure beschäftigen sich jedoch eher mit Selbstfindung und Identität. So zeichnet Antonio Morabito in "Cecilia" eine Durchschnittsfamilie in der römischen Peripherie, in der das Alltagsleben in seiner Gleichförmigkeit die jüngste Tochter in die Flucht treibt. Es ist die Teigigkeit des Seins der in den 80er Jahren aufgewachsenen Konsumgeneration, die mutlose Langweiler hervorbringt wie Cecilias Bruder, der seit seinem Abitur nur vor dem Fernseher hockt und Pasta in sich hineinschaufelt.

Die junge Heldin in "Anna" von Costanza Quatriglio sieht sich einer härteren Realität gegenüber. Sie arbeitet als Putzfrau in einem weißgekachelten Schlachthof. Sich selbst fremd, treibt sie durch ihr Leben. Der Film inszeniert den Schlachthof als persönliches Inferno, dem Anna nur in einer imaginierten Liebesszene im Kühlhaus entkommt.

Der genaue Blick zeichnet auch die Dokumentarfilme von Paolo Pisanelli aus. "Where We Go" verfolgt das Schicksal der über die Adria ins Flüchtlingslager bei Lecce gekommenen Asylbewerber. Pisanelli gibt den Menschen das Wort. Ohne Kommentar. Warten auf die Aufenthaltserlaubnis heißt das in Dutzenden von Variationen sich wiederholende Stück, das im Auffanglager "Regina Pacis" gegeben wird. Fast beschämt einen die pragmatische Warmherzigkeit des Paters und Leiters dieses Provisoriums, das für viele zur Dauerlösung wird. Immer hinter Metallzäunen, immer das Meer vor Augen, in dem sie nicht baden dürfen.

Auch der zweite Dokumentarfilm Pisanellis konzentrierte sich ganz auf seinen Hauptdarsteller, den Insassen einer psychiatrischen Anstalt. Dieser hält sich für den Schauspieler Robert Vaughn im Western "Die glorreichen Sieben", der im Aufenthaltsraum läuft. Pisanelli lässt den Patienten seine nur ihm zugängliche Wirklichkeit vorführen, der Zuschauer gerät dabei in einen Realitätstaumel. Hat man ihm wirklich früher Elektroschocks verabreicht, die er nun als Revolverkugeln interpretiert?

Viele der italienischen Kurzfilme machen sich diese Bedeutungsschwebe zu eigen. Diese Offenheit ist vielleicht die größte Stärke jener neuen Generation von Filmemachern. Auch wenn am Ende die Erkenntnis bleibt: Die postmoderne Identitätskrise ist längst auch in Italien eingetroffen.In der Brotfabrik, 11. bis 17. Mai, jeweils 20 Uhr. Am 17. um 21.30 Uhr Podiumsdiskussion über den italienischen Kurzfilm.

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