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Shortstory-Meister mit epischem Atem. Der Schriftsteller Richard Ford.

© IMAGO/TT/IMAGO/ANNIKA AF KLERCKER / TT

Richard Fords neuer Roman: Reisen durch Alptraumräume

Im fünften Frank-Bascombe-Roman, der wieder einmal der letzte sein soll, unternimmt der alternde Held einen Roadtrip mit seinem an ALS erkrankten Sohn.

Das Leben hat ihn arg gebeutelt. Prostatakrebs, ein kleiner Schlaganfall und andere Malaisen, auch die zweite Ehe ist zerbrochen. Doch Frank Bascombe arbeitet wieder, in der Firma, die ihm einst gehörte, bevor er sie in der Krise 2008 an seinen Mitarbeiter Mike Mahoney verkaufte. Scherze, Geplänkel, Gefrotzel, das läuft zwischen den beiden nach wie vor, auch wenn ihre „schlanken schnellen Tigerjahre an der Küste“ vorbei sind.

Mike hat gute Geschäfte gemacht mit den Spekulationsverkäufen nach dem Hurrikan Sandy, der Franks Haus in Haddam verschonte, dem fiktiven Ort in New Jersey, an den er mit seiner ersten Frau Ann in den 1970er Jahren gezogen war und wo er nun ein „einsames Seniorenleben“ führt. Sein früheres Strandhaus in Sea-Clift blies der Hurrikan einfach um. Zum Glück war es da längst verkauft. Richard Fords Bascombe-Romane, die im leicht untertourig vor sich hin sinnierenden Ton des Ich-Erzählers um die mittlere Amplitude männlicher Gelassenheit oszillieren, steuern gern auf Feste als familiäre Überlastungsprojekte zu, Thanksgiving etwa in „Die Lage des Landes“, Weihnachten in „Frank“. Dieses Mal ist es der „Valentinstag“, wie der jüngste Roman auf Deutsch heißt. Im Original ist sein Titel „Be Mine“. Wer soll da wem gehören?

Frank Bascombe ist mittlerweile vierundsiebzig, und man muss sagen, er hat sich gut berappelt. Allerdings sind seine Ansprüche auch nicht allzu hoch. Aber über „Glück“ denkt er schon mal nach. In seinem Alter, Jahrgang 1945, ist es „ein Bonusthema im oberen Preissegment“. Da hört man den Immobilienmakler, der seine Schriftsteller-Karriere vor Jahrzehnten aufgab, um zunächst einmal Sportreporter zu werden. Das ist lange her. Auch wenn er kein Angeber ist, scheint er doch ein wenig stolz zu sein, zumindest auf seine Bescheidenheit. Oder ist es Klugheit, möglichst so etwas wie den „Mittelweg“ zu nehmen, der meistens „funktioniert“, egal, was ihm „das Leben so hingeschmissen“ hat?

„Der schmerzliche Tod meines ersten Sohnes (ich habe noch einen). Scheidung (zwei Mal!). Ich hatte Krebs, meine Eltern sind gestorben. Auch meine erste Frau ist gestorben. Mir wurde mit einem AR-15 in die Brust geschossen, und dabei bin ich fast selbst gestorben, aber dann, unwahrscheinlicherweise, doch nicht. Ich habe Hurrikane überlebt und eine, manche würden sagen: Depression (falls es überhaupt eine war, dann eine leichte). Aber nichts hat mich ganz nach unten trudeln lassen, sodass ich auf die Idee gekommen wäre, mir selbst den Stecker zu ziehen.“

Man merkt schon, dieser Mann hält den Ball flach. Und bis vor kurzem hat das gut geklappt. Doch nun hat auch Paul, sein zweiter Sohn, eine lebensbedrohliche Krankheit, ALS, eine neurodegenerative Erkrankung, in den Staaten auch „Lou-Gehrig-disease“ genannt, nach dem berühmten Baseballspieler der New York Yankees.

Die Nachricht trifft ihn auf dem Flughafen von Detroit, und es ist seine Tochter Clarissa, die sie ihm überbringt. Paul selbst traue sich nicht, er wolle den Vater nicht enttäuschen, deshalb müsse sie mal wieder ran. Und sie hat auch längst alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt und auf der Yacht, auf der sie kürzlich mit lauter wichtigen Leuten war, gleich eine Spezialistin gefragt, die ihre Kontakte spielen ließ. Sie wäre bereit, alles zu regeln. Doch Frank meint, das sei seine Sache, schließlich ist Ann, die Mutter seiner Kinder, bereits tot.

Kein Dream-Team der Heiterkeit

Und also beginnt eine Zitterpartie: Ein Mann Mitte siebzig, der genügend mit seinen eigenen Krankheiten beschäftigt ist, und sein Sohn Ende vierzig, der schon als Kind ziemlich schwierig war, ein Eigenbrötler, Nerd und Philip-K.-Dick-Fan, der kurz verheiratet war, aber schon lange wieder alleine lebt. Im letzten Bascombe-Buch, „Frank“, einem Art Novellen-Quartett, war Paul Besitzer eines Gartenmarkts in Kansas City. Nun arbeitet er bei einer Sicherheitsfirma. Es ist nicht gerade ein Dream-Team der Heiterkeit, das da im fünften Bascombe-Roman an den Start geht, der, wieder einmal, der endgültig letzte sein soll.

Andererseits gibt es schon genügend Romane und Filme, die angesichts unheilbarer Krankheiten in krachende Komik und nervtötende Lebensweisheiten ausbrechen, von „Ziemlich beste Freunde“ bis „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Da ist der runtergedimmte, bisweilen sarkastische Ton dieses Vater-Sohn-Gespanns fast eine Wohltat. Frank Heibert, Fords langjähriger Übersetzer, hat sich lustvoll in den Sound hineingeschraubt und findet originelle Lösungen, die den angeschlagenen Bascombe manchmal auch spießig klingen lassen, beispielsweise, wenn er etwas „wurschtpiepenwumpe“ findet (als Übersetzung für „none of that mattered a tinker’s tootle“).

Paul befindet sich in der mittleren Phase der Krankheit, wie es einmal heißt. Anfangs benützt er noch eine „metallene Mehrfußgehhilfe“, im Lauf der Zeit bleibt er lieber gleich im Rollstuhl. Zehn Monate verbringen Vater und Sohn miteinander, zunächst in einer Doppelhaushälfte in Rochester, Minnesota, um während der Behandlung in der renommierten Mayo Clinic wenigstens ein bisschen Normalität zu simulieren.

Zwischendurch schickt Ford die beiden auf einen kleinen Roadtrip zum Mount Rushmore, dem berühmten Fels-Massiv in South Dakota mit den vier monumentalen Porträtskulpturen der US-Präsidenten Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln. Wie es sich für eine Road-Novel gehört, mieten sie einen alten Campingbus. In der eisigen Kälte des Mittleren Westens ist er allerdings so dysfunktional, dass sie trotzdem lieber in Hotelzimmern übernachten - und dabei einiges erleben. Schräge Vögel, zupackende Hotelbesitzerinnen, eine Schwarze Anwältin, mit der Frank an der Bar abhängt, bis sie ihn abrupt stehen lässt.

Es sind die Kleinigkeiten und Mikro-Beobachtungen, die diesen Roman in seiner Mischung aus Schroffheit, Laberei und Seelenpein zu einem Erlebnis machen. Alles ist vermintes Gelände, der Sohn, unendlich genervt von der eigenen Hilfsbedürftigkeit, lässt den Vater ständig auflaufen. „Lawrence“, nennt er ihn gern, in Anlehnung an Florence Nightingale.

Es gibt Momente einer schamvoll-heiklen und doch abgeklärten Intimität zwischen Vater und Sohn, etwa, wenn es Paul unter Mühen gelingt, sich aus dem Rollstuhl vor ein Urinal zu hieven, um später mit durchnässter Hose wütend zu erzählen, er habe seine Vorhaut im Reißverschluss seiner Khakihose eingeklemmt und ihn gleich nochmal über dieselbe Stelle zurückgezogen. Es schmerze. Er blute. Ob der Vater übrigens wisse, dass er keinerlei Potenzprobleme habe? Und wie es bei ihm so stünde?

Frank, der alte „Prostataveteran“, ist voller Mitgefühl. Doch das lindert weder die Qualen des einen noch des anderen. Überhaupt sind sie füreinander wie grausame Spiegelbilder. „Alt zu sein, ist wirklich so, als hätte man eine tödliche Krankheit“, denkt Frank in einer seiner nächtlichen Panikattacken.

Hin und wieder kann man auf die Idee kommen, dass Richard Ford nun auch Franks zweiten Sohn opfert (der ältere starb neunjährig am Reye-Syndrom), um die Altersqualen seines Ich-Erzählers in gebührender Plastizität schildern zu können. Er habe Paul nicht sterben lassen wollen, sagte der 1944 in Jackson, Mississippi, geborene Schriftsteller kürzlich in einem Interview. Es sei eine formale Entscheidung gewesen.

Amerikanisches Herzland

Fast immer überlegt Frank, ob es sich bei seinem Gegenüber um Republikaner handelt oder nicht. Noch ist Trump Präsident und scheint zu hoffen, am Mount Rushmore verewigt zu werden. Mehr als einmal fühlt sich Frank auf eine Weise beobachtet, als lege ein Scharfschütze auf ihn an. Waffenläden und Sexshops, Krankenhäuser und Shoppingmalls, Hotels mit integriertem Spielcasino: es sind die hyperrealen Alptraumräume, die uns neben der Landschaft ins Gedächtnis rufen, dass „Valentinstag“ im Mittleren Westen spielt, dem „amerikanischen Herzland“, wie es einmal heißt. Als Frank der amerikanisch-vietnamesischen Masseurin Betty Tran, die ihm in Rochester gelegentlich „Wellen des Wohlgefühls“ entlockt, einen Heiratsantrag macht, kann sie nur schallend lachen. Er sei schon der zweite an diesem Tag. Außerdem habe er doch seinen Sohn, das sei wie verheiratet sein.

Tatsächlich ist Richard Ford seit 1968 mit seiner Frau Kristina Hensley verheiratet. Ihr sind alle seine Bücher gewidmet. „Ich habe keine Kinder, und was ich von Kindern und Kindheit und Elternschaft weiß, beziehe ich fast vollständig daher, der Sohn meiner Eltern gewesen zu sein“, schrieb er im Nachwort seines Memoirs „Zwischen ihnen“.

Während Paul auf der Reise eine John-Denver-Biografie liest, versucht es Frank mit Heidegger. „Glück ist kein reines Element“, denkt er einmal. Als sein Sohn im Camper neben ihm schläft, überkommt ihn das Glück, einfach so. Tatsächlich spendet ihm Paul, der im September 2020 nicht an ALS, sondern an einer „neuen Krankheit“, sterben wird, ein großes Lob. „Es ist komplett sinnlos und lächerlich, und es ist super“, sagt er angesichts des Monuments. Und so ungefähr denkt auch Frank, als er irgendwann mit einem Rosé in der Abendsonne sitzt und beinahe glücklich ist, dass er diese Lebensprüfung bestanden hat. Frank Bascombe ist unverkennbar ein Stoiker.

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