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Roman: Werdet Partisanen!

"Das Beste, was wir hatten": Jochen Schimmang erzählt von der alten Bundesrepublik - intelligent und überaus lesbar.

So haben wir uns einen Revolutionär nicht vorgestellt: Ein ehemaliger Berater eines christdemokratischen Kanzleramtministers entschließt sich nach seinem Ausstieg aus der Politik zu einer Zweitkarriere als sanfter Guerillero. Und doch ist das der antibürgerliche Königsweg, den Gregor Korff, der Held in Jochen Schimmangs großem Gesellschaftsroman „Das Beste, was wir hatten“, mit überraschender Konsequenz beschreitet. Gregor Korff, ein dem kommunistischen Sektenwesen entlaufener Freigeist, absolviert lange Zeit einen kommoden Marsch durch die Institutionen der alten Bundesrepublik – bis er nach 1989 sein ironisches Weltverständnis durchbricht und zur direkten Aktion gegen die bürgerliche Ordnung übergeht.

Wir haben es mit einem typischen Schimmang-Helden zu tun: Hier agiert ein in den Turbulenzen der 68er-Zeit sozialisierter Melancholiker, der es mit den Frauen schwer hat und sich höchstens als ironischer Beobachter auf seine Gegenwart einlassen kann. Der passionierte Beckett-Fan und Hobbyfußballer genießt sein „Wohlgefallen“ an der rheinischen Republik – bis er eines Tages unsanft aus seiner Lebensbahn geworfen wird.

In Jochen Schimmangs Debütroman „Der schöne Vogel Phönix“ (1979) war ein Linksaktivist gerade seinem sektenkommunistischen Orden entronnen und sah sich unversehens mit der Einsicht konfrontiert, zum Leben und zur Liebe zu spät gekommen zu sein. 30 Jahre später erzählt nun der Autor von den Lehr- und Wanderjahren eines abgeklärten Linken, der schließlich seine Lust am Gesetzesbruch wiederentdeckt.

Schimmangs Held ist zunächst ein Glückskind, dem die Erfolge und die Frauen nur so zufallen. Schimmang führt uns durch die goldenen Jahre der Bonner Republik, die in den siebziger Jahren ihre größte Prosperitätsperiode erlebt. Zu seiner eigenen Überraschung entwickelt der Held eine scheue „Liebe“ zu seinem Land, und er hat wenig Grund, mit seinem Leben zu hadern, allenfalls mit der Unzuverlässigkeit der Frauen. In kleinen Episoden führt uns das Buch durch die Schlüsselszenen der Republik zwischen 1970 und 1989, wobei auch dem Wimbledon-Sieg Boris Beckers erzählerisch gehuldigt wird.

In dem Verfassungsschützer Leo Münks hat Gregor Korff einen Freund gefunden, der ihn von seiner kommunistischen Kinderkrankheit heilt und auch später immer wieder in kritischen Lebenslagen rettet. Als Berater des Ministers fällt Korff nämlich auf eine Stasi-Agentin herein, die er gerade zu seiner großen Liebe erklärt hat. Die schöne Sonja ist jedoch nicht an seiner Leidenschaft interessiert, sondern nur an Informationen aus dem Zentrum der Macht. Zu dieser großen emotionalen Ernüchterung des Gregor Korff tritt später eine politische Desillusionierung. Ein Freund aus Berliner Studententagen, der sich in den Randzonen eines militanten Anarchismus engagiert, wird zum Opfer eines Gesinnungsurteils. Das veranlasst Korff zum großen Gesetzesbruch. Sein Wohlbehagen in der Idylle der Bonner Republik schlägt um in symbolischen Widerstand gegen einen Staat, der juristisches Unrecht legitimiert.

Den inneren Wandel seines Helden illustriert Schimmang mit einer ironischen Pointe. Denn Korff ist als Universitätsdozent ein akribischer Exeget des Rechtsphilosophen Carl Schmitt, jenes politisch oszillierenden Denkers, der sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms als Kronjurist Hitlers exponierte, nach 1945 aber auch auf linke Intellektuelle eines dunkle Faszination ausübte. Der dritte und letzte Teil von Schimmangs Roman liefert gleichsam eine aktuelle Version von Carl Schmitts Spätwerk, seiner „Theorie des Partisanen“. Der ironische Weltbetrachter Korff tritt heraus aus seiner Handlungslähmung und mutiert zum menschenfreundlichen Guerillero, der an einer Gefangenenbefreiung mitwirkt.

Jochen Schimmang hat hier sein Opus Magnum vorgelegt – einen intelligenten und überaus lesbaren Gesellschaftsroman der alten Bundesrepublik, der von den Lebensniederlagen einer rebellischen Generation erzählt und von der Verwandlung des gemäßigten „rheinischen Kapitalismus“ in die arrogante Berliner Republik. Man staunt, mit wie viel Sympathie hier ein linker Autor zwei Repräsentanten der alten Bundesrepublik porträtiert: Der SPD-Vordenker Peter Glotz und der einstige Kanzleramtsminister Rudolf Seiters werden zu positiven Romanhelden nobilitiert. Es ist zugleich ein Bildungsroman der müde gewordenen linken Intelligenz, der aber nicht in Larmoyanz ausläuft. Die Schönheit der Dissidenz – bei Jochen Schimmang lässt sie sich wiederentdecken.

Jochen Schimmang: Das Beste, was wir hatten. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2009. 320 S., 19,90 €.

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