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Sam Smith beim Auftritt in der Mercedes Benz Arena.

© DAVIDS/Christina Kratsch

Sam Smith live in Berlin: Queere Party mit Balladen-Grandezza

Draußen Demos, Blaulicht, Glassplitter, drinnen Konfetti, große Stimmen und gute Laune: Sam Smith hat in der Benz Arena eine mitreißende Show gegeben.

Ein gigantischer goldener Hintern füllt die Bühnenmitte. Er gehört zu einer schlafenden Figur, die ebenso buddha- wie engelsgleich wirkt. Ihre Rückenansicht verwandelt die Benz-Arena in Berlin in einen riesigen Queer-Club mit extrem hohem Campfaktor. Susan Sontag hätte ihre Freude an diesem Anblick gehabt und Lil Nas X dürfte aus der Ferne respektvoll nicken – seine vor einigen Monaten in der Max-Schmeling-Halle abgehaltene Gay-Show verblasst vor dem, was Sam Smith hier in Friedrichshain auffährt.

Der non-binäre britische Star erscheint hinter der Hüfte des Riesen, die strassbesetzte Kappe ziehend, eine glitzernde Ankerapplikation vor dem Bauch tragend singt Smith „Stay With Me“ und sofort ist die bis unters Dach gefüllte Halle hellwach, singt aus vollen Kehlen mit. Die ersten Refrains der nächsten beiden Songs – auch sie vom Debütalbum „In The Lonley Hour“ – überlässt Sam Smith ebenfalls den Fans.

Selbst neun Jahre nach ihrer Veröffentlichung zünden diese Hits immer noch nach wenigen Takten. An die blasse Person aus katholischem Haus, die damals ihren Durchbruch hatte, erinnert allerdings nur noch wenig. Sam Smith hat sich seither zu einer flamboyanten 30-jährigen Diva entwickelt, die Sex- und Body Positivity feiert.

Dem Publikum werden Komplimente und Kusshände zugeworfen, Smith lächelt viel, scheint den hundertminütigen Auftritt wirklich zu genießen, was wiederum auf die Menge überspringt. Eine warmherzige Atmosphäre entsteht, die aufgeheizte Demo- und Polizeieinsatzstimmung in der Stadt gerät in Vergessenheit – Auszeit in einer bunten Parallelwelt.

Die erste Showhälfte ist geprägt von Balladen, in denen Sam Smith’ Stimme ihre ganze Grandezza zur Geltung bringt, wobei stets eine flirrende Verletzlichkeit mitschwingt. Genau diese Kombination macht den Gesang so anziehend. Besonders bewegend gelingt „Too Good At Goodbyes“, bei dem sich Smith mit dem dreiköpfigen Backing Chor zusammensetzt und sie gemeinsam zur geschlagenen Akustikgitarre singen. Gänsehaut galore, als sie zur Bridge kommen: „But every time you hurt me, the less that I cry/ And every time you leave me, the quicker these tears dry“.

Einige Kostümwechsel später zieht das Tempo an, sechs Tänzer*innen kommen hinzu und helfen, die Arena wie von Smith gewünscht in eine „gay bar“ zu verwandeln. Bei „Not Here To Make Friends“ vom aktuellen Album „Gloria“ werfen sie Smith die riesige pinke Plüschrobe über, die man aus dem dazugehörigen Video kennt.

Das sieht spektakulär aus und der sexy House-Pop funktioniert hervorragend, allerdings ist es ein bisschen schade, dass – genau wie in dem Clip – auf der Bühne Menschen mit Model-Maßen dominieren. Da könnte sich Sam Smith mal von Lizzo inspirieren lassen, deren Tänzer*innen wie sie selbst „big grrrls“ sind.

So zelebriert Sam Smith vor allem die eigene Body Positivity, was natürlich trotzdem klasse und ermutigend ist – zumal angesichts der teils sehr streng normierten Schönheitsideale der queeren Szene. Wenn sich Smith im Regenbogen-Laserlicht zu Donna Summers „I Feel Love“ von den Tänzer*innen umgarnen lässt und schließlich mit nacktem Oberkörper am Bühnenrand steht, ist das eine starke Selbstermächtigungsgeste.

Dasselbe gilt für das Madonna-Cover „Human Nature“, dessen zentrale Zeile „Express yourself don’t repress yourself“ als Motto des Abends und der ganzen „Gloria“-Tour gelten kann. Selbstentfaltung statt Selbstunterdrückung – Sam Smith hat die Queen of Pop gut verstanden. Und macht ihr mit dem Grammy-gekürten Monsterhit „Unholy“ zum Finale nochmal alle Ehre – inklusive Feuer auf dem Popo und Teufelshörnern am Zylinder. Die Blaulicht-Glassplitter-Realität des 1. Mai wirkt anschließend seltsam fern, während Daddys unheiliger Ausflug in die Autowerkstatt durch den Kopf summt.

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