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Immer in Bewegung bleiben. David Hemmings als Fotografendarsteller im London der Swinging Sixties.

© Arthur Evans/c/o Berlin

C/O Berlin "Blow-Up": Spuren im Park

Kultstatus: C/O Berlin präsentiert die Originalfotos aus Michelangelo Antonionis Film "Blow-Up". Eines der Themen der Ausstellung lautet Fotografie versus Film.

Der Modefotograf Thomas fährt ein Cabrio mit grauen Ledersitzen und ist ein cooler Hund. Gelangweilt ist er außerdem, von den Models und von seinesgleichen, der Londoner Kreativszene in den 60er Jahren. Als er im Park heimlich ein Pärchen fotografiert, glaubt er später, auf den Fotos einen Mord entdecken zu können. So weit der Plot von „Blow-Up“ (1966), dem einzigen Film des italienischen Meisterregisseurs Michelangelo Antonioni, der auch kommerziell erfolgreich war. Mehr als 20 Millionen Zuschauer sollen ihn gesehen haben.

Eine Ausstellung, die Walter Moser von der Albertina in Wien konzipiert hat und die nun bei C/O Berlin zu sehen ist, betrachtet „Blow-Up“ allerdings nicht aus filmtheoretischer Sicht, sondern untersucht die Wechselwirkung mit der Fotogeschichte der 60er Jahre. Das ist grandios gemacht und verblüffend gut recherchiert. Moser hat es sogar geschafft, die ikonischen Original-Prints aus „Blow-Up“ aufzutreiben. Die Fotos, die Thomas (David Hemmings) im Film immer weiter vergrößert, um dem vermuteten Verbrechen auf die Spur zu kommen. Michelangelo Antonioni hat die Bilder von dem Londoner Modefotografen Don McCullin anfertigen lassen. Er musste die exakte Position von Thomas einnehmen. Antonionis Kamera hingegen nimmt nie den Standpunkt des Fotografen ein, sondern lässt den Zuschauer aus der Distanz beim Beobachten zusehen. Fotografie versus Film, das ist eines der Themen der Ausstellung.

„Blow-Up“ errang Kultstatus, weil der Film das Lebensgefühl der 60er Jahre auf einzigartige Weise wiedergibt. London war damals die coolste Stadt der Welt. Mode, Beatmusik, Freiheit, und alles vor altehrwürdiger Kulisse. Antonioni, als detailversessener Beobachter, fing diese Brüche wunderbar ein. Er recherchierte akribisch, traf sich mit angesagten Modefotografen. Etliche engagierte er als Berater, drehte in ihren Studios, baute deren Kunstwerke in seinen Film ein, buchte dieselben Models, besichtigte ihre Sets und verschickte sogar Fragebögen, um zu erfahren, was sie essen und welche Kameras sie benutzen.

Damals wurde in London die Modefotografie von jungen Fotoreportern wie David Bailey, Terence Donovan und Brian Duffy, auch „Black Trinity“ genannt, auf den Kopf gestellt. Sie übertrugen die Bildstrategien der Reportage auf die Mode: Sie nutzten Kleinbildkameras, die zuvor bei Modeshootings unüblich waren, sie fotografierten dynamisch, gingen nach draußen, integrierten die Zufälle des Alltags. Antonioni spiegelt das in seinem Film. In einer legendären Szene fotografiert Thomas Veruschka von Lehndorff, er wirbelt um sie herum und kniet dann auf ihr wie beim Sex. Antonioni hat sich das nicht ausgedacht, wie eine Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt. Der lässige David Bailey, auf dem Boden herumtobend, beim Shooting mit Veruschka – er war Antonionis Vorbild. Es gibt weitere Fotos von Bailey als Dandy und Selbstdarsteller. Der Kreative im Selbstvermarktungszwang, das ist ein Thema bis heute.

Die Ausstellung zeigt auch Raritäten wie Reportagebilder, die Antonioni verwendete

Die Kuratoren versammeln wunderbare Fotografien, die sich mit Mode, Kunst und Leben und natürlich mit den Musikern der 1960er Jahre beschäftigen – die Yardbirds haben einen legendären Auftritt in „Blow-Up“. Die Schau bringt auch Raritäten ans Licht, Reportagebilder etwa, die Don McCullin in den 60er Jahren in Notunterkünften oder auf den Straßen im heruntergekommen Londoner East End gemacht hat und die Antonioni verwendet. Wer erinnert sich? Thomas zeigt seinem Agenten in einem Café ein Album mit grandiosen Fotos von Londons Straßen. Ein Schlussbild fehlt noch, deshalb fotografiert er im Park.

Die Ausstellung zeigt auch Kunst, die sich auf Antonionis Überlegungen zur Abbildung der Wirklichkeit bezieht, etwa von David Hamilton oder aktuelle Arbeiten der Berlinerin Alicia Kwade. Damit ist das Ganze nicht nur für Antonioni-Bewunderer interessant. Die Frage, wie Medien die Realität beeinflussen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Schau. Das Blow-Up, die unendliche Vergrößerung eines Bildes, verspricht die Wahrheit zu zeigen und verliert sich am Ende in der Abstraktion. So kommt Antonioni zu dem Schluss: Wirklichkeit ist eine Konstruktion.

C/O Berlin, bis 10.4., täglich 11– 20 Uhr, 10/5 €, Hardenbergstr. 22–24

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