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Baudenkmal. In Uzès wurden römische Mosaike entdeckt. Die lebendige Kulturszene des Städtchens aber ist bedroht.

©  Pascal Guyot/AFP

Vor der Präsidentschaftswahl: "Unter Le Pen würde aus der Kulturlandschaft Frankreich eine Wüste"

Was passiert mit der Kulturnation, wenn Le Pen gewinnt? Ein Blick nach Uzès in Südfrankreich, wo die Kulturszene vor der Wahl um ihre Existenz fürchtet.

Vor Kurzem wurde in Uzès in der Provence bei archäologischen Ausgrabungen ein römisches Stadtviertel aus dem 1. Jahrhundert vor Christus freigelegt. Vor allem große, sehr gut erhaltene Mosaiken begeistern die Archäologen. Bevor sie restauriert werden, durfte man sie vor Ort besichtigen. Andächtig fand die kleine Stadtgesellschaft – in Uzès leben nur 8500 Menschen – den steinernen Beweis für die prominente Vorgeschichte ihres Ortes: Ucetia war ein bedeutendes römisches Oppidum. Es lag nahe der Quelle, deren Wasser über den Pont du Gard bis nach Nîmes geleitet wurde. Auf seine anderen Baudenkmäler ist die Stadt immer schon stolz gewesen. Ihr Erhalt ist wie überall in Frankreich Sockel des Kulturverständnisses, auf den sich alle politischen Kräfte einigen können. Allerdings ist das „Patrimoine Culturel“, das Kulturerbe, so ungefähr der einzige Fall von Kultur, für den sich der Front National interessiert.

Im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen ging Chefin Marine Le Pen in fast allen kleinen Gemeinden rings um Uzès als Siegerin hervor, nur im traditionell konservativen Uzès waren François Fillon und Emmanuel Macron, fast gleichauf, die Bestplatzierten. Vieles spricht dafür, dass sich dies im zweiten Wahlgang wiederholt. Die Peripherie wählt Le Pen, das Zentrum Macron. Im Mikrokosmos Uzès und seinem kleinen Kanton spiegelt sich das französische Drama: Stadt und Land drohen sich unvereinbar zu polarisieren in Nutznießer und Verlierer des Wirtschaftssystems, in strukturstarke und -schwache Gebiete, Dienstleister und Arbeiter, Beschäftigte und Arbeitslose, Ausgebildete und Unausgebildete, Kulturversorgte und vom Kulturbetrieb Verlassene.

Was Uzès und Frankreich bei einem Wahlsieg Le Pens droht, haben andere Kommunen mit Front-National-Bürgermeistern seit zwanzig Jahren erfahren. Die Einschnitte in zeitgenössische Kultur waren verheerend, kommunale Einrichtungen wurden geschlossen, Arbeiten zensiert, Leiter durch Linientreue ersetzt, staatliche Kulturprogramme behindert. Das würde auch Uzès mit seiner trotz seiner Größe erstaunlich lebendigen Kulturszene drohen, sollte Le Pen im 800 Kilometer entfernten Paris den Präsidentschaftswahlkampf gewinnen. Es wäre das Aus für die lokale Kultur, glaubt Michèle Berrebi, Leiterin des örtlichen Arthouse Kinos. „Es wäre ein Drama! Für uns alle! Die schlimmste Form der Diktatur! Paris würde mit Sicherheit Weisungen an die Kommunen ausgeben, und die Subvention für mein Kino bliebe nicht, wie sie ist. Unter Le Pen würde aus der Kulturlandschaft Frankreich eine Wüste.“

Den Dämon des Faschismus bannen durch die Kraft des Theaters

Michèle Berrebis Kino ist ein kleines Wunder. Regisseure wie Costa-Gavras, Theo Angelopoulos und Bertrand Tavernier waren hier zu Gast, auch Linguist Noam Chomsky. So wird in der für Touristen attraktiven Kommune auch außerhalb der Sommersaison Kultur geboten. Dass der Front National sich nur für Kunst mit nationalfeierlicher und identitätsstiftender Aussage interessiert, haben die Kulturbeauftragten der Partei wiederholt erklärt. Außerdem halten sie Kulturförderung nicht für eine zentrale Aufgabe des Staates. Das beunruhigt die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Association Théâtre Populaire (ATP), die gelegentlich Theatergruppen für Aufführungen nach Uzès holen. Die ATP ist regionaler Ableger eines Kulturgedankens, den Jean Vilar nach dem Krieg zur Gründung des Festival d’Avignon in den Süden trug: Den Dämon des Faschismus bannen durch die Kraft des Theaters, des Théâtre National Populaire. In Uzès leitet die ehemalige Lehrerin Claude Nuel den Kulturverein: „Wenn der Staat in die Hände des Front National fiele, würde sich hier alles sehr schnell verändern. Würde der Staat kein Geld für Theater mehr ausgeben, stoppt auch das Departement seine Gelder.“ In Frankreich teilen sich mehrere Gebietskörperschaften die Subventionen: Staat, Region, Departement, Kommune. Oft machen sie ihr Engagement voneinander abhängig. Daher befürchtet Nuel: „Steigt die Region auch aus, bliebe nur noch die kleine Subvention der Kommune. Aber da die Kultur für sie keine Pflichtaufgabe ist, sähe ich für die ATP von Uzès keine Chance mehr.“

Die Compétence Culturelle, die kulturelle Daseinsvorsorge, ist in der Kulturnation Frankreich traditionell eine Staatsaufgabe. Liliane Schaus, Leiterin des örtlichen Choreografiezentrums und eines Tanzfestivals mit überregionaler Ausstrahlung, hat in Berlin gearbeitet und erklärt die französische Besonderheit: „Die Struktur unseres Zentrums ist der des Tanzhauses NRW vergleichbar. Aber dort kommen die Subventionen vor allem vom Land. In Frankreich organisiert der Staat die Kultur. Er ist der Garant für die Künste. Auf regionaler Ebene agiert die regionale Kulturdirektion, die DRAC. Aber das Geld kommt von oben, vom Staat.“

Dieser streng hierarchische, pyramidale Aufbau ist der Grund, warum Uzès dank seiner sehr engagierten Propagandistinnen eine lebendige Kulturszene hat, obwohl der Bürgermeister selbst kein besonderes Interesse an Kultur hat. Es ist aber auch der Grund, warum ein Politikwechsel im 800 Kilometer entfernten Paris so bedrohlich wäre. Das Tanzfestival wird zu 50 Prozent von Paris subventioniert, den Rest teilen sich Region, Departement und Kommune. Auch das Kino ist als Zuwendungsempfänger des „Centre National du Cinéma et de l’Image Animé“ (CNC) abhängig von einer nationalen Einrichtung, die bislang allerdings immer ihre Regierungsferne bewiesen hat. Aber unter Le Pen? Michèle Berrebi ist in Sorge: „Wir haben das Glück, dass der CNC ein freie Einrichtung ist. Aber wird eine Le Pen-Regierung nicht versuchen, sich aus den Geldern des CNC zu bedienen? Das wagen wir uns nicht einmal auszumalen.“

Der Front National ist Schreck der Kulturszene

Der Front National will die Kulturförderung einem sogenannten Mécénat Populaire überlassen. Das Volk als Mäzen: Wer Kunst will, soll sie selbst bezahlen. Liliane Schaus betont, dass „das Mäzenatentum in Frankreich keine Tradition hat. Es ist hier schwer, Mäzene zu finden. Nur einige wenige Stiftungen, von Banken etwa, engagieren sich ein wenig für Musik und bildende Kunst, aber kaum für Bühnenkünste. Die sind jetzt vor allem in Gefahr.“

Viel Arbeit hat der Front National in eine Normalisierung und Verbürgerlichung seines Images investiert. Aber seine Vertreter lassen kaum eine Gelegenheit aus, zeitgenössische Künstler als Zuwendungsjunkies zu diffamieren. Kulturvorredner Sébastien Chenu behauptet: „Bei Künstlern herrscht eine Versorgungsmentalität vor“. Der Front National ist der Schreck der Kulturszene, die in Frankreich traditionell der politischen Linken zugeordnet wird. Sozialistische Regierungen, vor allem zu Zeiten von Jacques Lang, haben sie in der Regel nachhaltiger unterstützt als die Konservativen. Michèle Berrebi bilanziert: „Auch wenn die rechten Politiker manchmal über die Kulturausgaben gestöhnt haben, substanziell eingegriffen haben sie nie. Ob sie einverstanden waren oder nicht, keiner hat während der 5. Republik gewagt, die Kultur anzutasten.“ Ob Frankreich vor dem Ende der 5. Republik steht, entscheidet das Wahlvolk in wenigen Tagen. Sind die Medien zu vorlaut, die Macron schon jetzt zum Präsidenten erklären, ist das Wetter zu schön, um wählen gehen, ist die unkalkulierbare Masse der Wahlverweigerer zu groß, hat Le Pen eine kleine Chance, die Kulturnation abzuschaffen. Was in Uzès am liebsten verdrängt wird.

Frankreich lebt seit Jahrzehnten mit vom Front National geführten Kommunen. Schon seit 1995 ist der FN-Mitbegründer Jacques Bompard in Orange Bürgermeister, inzwischen ist er allerdings in einer anderen, ultrarechten Bewegung beheimatet. Die Kulturnation aber ist erst dann nachhaltig beschädigt, wenn Marine le Pen in den Élysée einzieht. Da alle Kultur vom Zentrum ausstrahlt, hängt auch die Kultur in Uzès von Paris ab. Kultur muss von der Politik immer auch gewollt sein, sonst stirbt sie ab.

Eberhard Spreng

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