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Mitglieder der Jusos nehmen vor einer Konferenz mit SPD-Kanzlerkandidat Schulz ein Selfie auf.

© Kay Nietfeld/dpa

Schulz und Macron: Köpfe einer neuen Bewegung

Der deutsche SPD-Kanzlerkandidat Schulz und Frankreichs Präsidentschaftskandidat Macron gehören zum politischen Establishment - und haben trotzdem den Reiz des Neuen. Ein Kommentar.

Welch ein Gegensatz: Auf der einen Seite der ehemalige Alkoholiker, der kein Abitur hat und heute SPD-Kanzlerkandidat ist. Auf der anderen Seite der klassische Überflieger, wie ihn anscheinend nur das elitäre französische Bildungssystem hervorzubringen vermag: Absolvent des Pariser Elitegymnasiums Henri IV. und der Hochschule ENA, Investmentbanker bei Rothschild.

Martin Schulz und Emmanuel Macron sind aber nur auf den ersten Blick ein ungleiches Paar. Inhaltlich würden sich die beiden wohl gut verstehen, wenn der eine Kanzler und der andere französischer Präsident würde. Beide sind überzeugte Pro-Europäer. Und beide schaffen es durch ihr Redetalent und ihre klare Kante gegen Populisten gerade jungen Wählern das Gefühl zu vermitteln, einer Bewegung anzugehören.

Schulz wird als "neues Gesicht" wahrgenommen

Was Schulz und Macron verbindet, ist die Tatsache, dass sie in der Öffentlichkeit in erster Linie als Newcomer wahrgenommen werden. Mit Schulz verbindet die SPD vor allem deshalb große Hoffnungen, weil er sich nicht in der großen Koalition der zurückliegenden drei Jahre verschlissen hat. So steht Schulz, der tatsächlich von vielen Bürgern als ein „neues Gesicht“ wahrgenommen wird, für einen wie auch immer gearteten Aufbruch der Sozialdemokraten. Das Umfragehoch beweist es jedenfalls.

Auch der Sozialliberale Macron steht in den Umfragen gut da. Noch mehr als Schulz, für den eine klassische Partei wie die SPD im Wahlkampf unverzichtbar ist, steht der 39-jährige Franzose für eine tief greifende Erneuerung. Macron vertraut nicht auf einen Parteiapparat, sondern auf seine Bewegung „En Marche“. Wenn ihm nun zugetraut wird, aus der Stichwahl in Frankreich am 7. Mai als Sieger hervorzugehen, dann zeigt das vor allem eines: Die Franzosen sind der althergebrachten Parteien überdrüssig, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten in eine Selbstblockade geführt haben.

Frankreichs Politik ähnelt seit einer gefühlten Ewigkeit einem Karussell, bei dem immer wieder dieselben Namen auftauchen: Seit 1981 haben in Frankreich Präsidenten regiert, die entweder aus den Reihen der Sozialisten oder der Konservativen kamen. Jetzt deutet vieles darauf hin, dass die Franzosen Macron, einen Kandidaten der Mitte, zum Staatschef machen könnten. Er gehört zu keinem der beiden bislang herrschenden Lager. Mit ihm könnte die lang ersehnte Erneuerung im Land tatsächlich gelingen.

Auch Schulz und Macron kochen nur mit Wasser

In der Begeisterung für Schulz und Macron wird allerdings gelegentlich auch übersehen, dass beide Kandidaten natürlich auch nur mit Wasser kochen. Falls Macron der Durchmarsch im Mai gelingen sollte, bleibt er dennoch auf die bestehenden Parteien angewiesen, wenn er bei der anschließenden Parlamentswahl im Juni eine tragfähige Mehrheit unter den Abgeordneten schmieden will. Und überhaupt: Macron kommt keineswegs wie ein Außerirdischer auf den politischen Planeten Frankreich. Dem (Noch-)Präsidenten François Hollande diente er bis zum vergangenen Jahr als Wirtschaftsminister. Und Schulz geht schon gar nicht als ein Anti-Establishment-Kandidat durch: 23 Jahre lang hat er in Brüssel und Straßburg die Europapolitik entscheidend mitgeprägt, fünf davon als Parlamentspräsident.

Den Reiz des Neuen nimmt es aber weder Schulz noch Macron, wenn man sich ihre Biografien genauer anschaut. Was derzeit zählt, ist ihr Auftreten im Wahlkampf. Dabei fallen jenseits des konkreten Politikangebots des Sozialdemokraten aus Deutschland und des Sozialliberalen aus Frankreich drei Dinge auf: Erstens verfügen beide Kandidaten über ein ausgeprägtes Redetalent. Zu den entscheidenden Momenten in der Kampagne von Macron gehörte eine Rede im vergangenen Dezember vor 15.000 Anhängern an der Pariser Porte de Versailles, bei der seine Begeisterung deutlich spürbar war. Während Macron schon in der entscheidenden Phase des französischen Wahlkampfs ist, hat Schulz noch eine lange Wegstrecke vor sich. Doch er versteht es, Menschen in einem Saal mit einprägsamen Botschaften zu fesseln. Das zeigte nicht zuletzt sein Auftritt am Freitag vor begeisterten Jusos.

Es sind, zweitens, diese jungen Wähler, bei denen beide Kandidaten ein besonderes Echo auslösen: Hier in Form des ironischen „Erlöser“-Hypes für den SPD-Kandidaten im Internet, dort in Gestalt der vielen jungen „En Marche“-Unterstützer.

Macron will Flüchtlinge aufnehmen - keine Selbstverständlichkeit in Frankreich

Entscheidend ist in den Augen vieler Wähler der dritte Punkt, der bei Schulz und Macron ins Auge sticht. Beide zeigen eine klare Kante gegenüber Populisten. So wie sich Schulz deutlich – deutlicher als Kanzlerin Angela Merkel – gegen die AfD abgrenzt, so setzt sich Macron als einziger Präsidentschaftskandidat in Frankreich unmissverständlich für die Aufnahme von Flüchtlingen ein. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, die übrigen Parteien schon seit Jahren mit ihren ausländerfeindlichen Parolen vor sich hertreibt.

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