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Jacob Elordi und Cailee Spaeny spielen Elvis und Priscilla Presley in Sofia Coppolas Biopic über die Frau des „King“.

© Philippe Le Sourd

Venedig Filmfestival: Der Anti-Elvis und ein MeToo-Comeback

Sofia Coppola erzählt die Geschichte des „King“ aus der Sicht von Priscilla Presley, die zur Premiere persönlich anreist. Und Woody Allen ist zumindest auf dem Lido keine Persona non grata.

Von Andreas Busche

Zu den großen Idio­syn­kra­sien der 80. Ausgabe der Mostra internazionale d’arte cinematografica di Venezia gehört der Fakt, dass nach den zahlreichen Absagen aus Hollywood plötzlich Woody Allen der größte Star ist, der dieses Jahr über den roten Teppich geht.

Allen hat zwar keinen Hollywood-Film mitgebracht, „Coup de Chance“ wurde mit Geld aus England und Frankreich finanziert. Aber im wertekonservativen Italien ist man dem gefallenen Regisseur wohlgesonnen – was sich schon am überschwänglichen Applaus in der Pressevorführung am Morgen zeigt.

Italien erwies sich bereits vor einigen Jahren im Fall des Komikers Louis CK als geeignete Teststrecke für ein Post-MeToo-Comeback, wobei „Coup de Chance“ keinerlei Comeback-Qualitäten aufweist. Er stellt allenfalls eine Rückkehr in die späten 1990er Jahre dar, als Allen schon einmal – damals allerdings aus rein kreativen Gründen – in Hollywood abgeschrieben war.

Die Hauptdarsteller aus Sofia Coppolas Biopic „Priscilla“, eine Verfilmung von Priscilla Presleys Memoiren „Elvis and Me“, haben es hingegen an den Lido geschafft – auch wenn sich für Jacob Elordi („Euphoria“) und Cailee Spaeny keine Schlangen vor dem Kinopalast bilden.

Priscilla-Film ohne „King“-Songs

„Priscilla“ wurde außerhalb des Studiosystems gedreht (finanziert hat A24) und fällt damit nicht in die Zuständigkeit von Hollywoods Produzentenvereinigung. Die Streaming- und Kinorechte hat Mubi erworben: Ein kurzes Studium der immer zahlreicheren Firmenlogos vor den Filmen gewährt einen guten Einblick in die derzeitige Entwicklung in der US-Filmbranche.

Priscilla-Darstellerin Cailee Spaeny, Priscilla Presley, Regisseurin Sofia Coppola und Elvis-Darsteller Jacob Elordi vor der Premiere auf dem Lido.
Priscilla-Darstellerin Cailee Spaeny, Priscilla Presley, Regisseurin Sofia Coppola und Elvis-Darsteller Jacob Elordi vor der Premiere auf dem Lido.

© imago/ZUMA Press/IMAGO/Claudio Onorati

„Priscilla“ ist gewissermaßen der Gegenfilm zu Baz Luhrmanns übersteigerter Musical-Hagiografie „Elvis“ aus dem vergangenen Jahr; schon allein, weil die Erben des „King“ Coppola die Rechte an den Songs verweigert haben.

Anders wäre ein Film über die Ehe von Priscilla und Elvis, der ihre Perspektive einnimmt, allerdings auch kaum denkbar gewesen. Klug war zudem die Entscheidung, dass Spaeny und vor allem Elordi auf übertriebene Mimikry verzichten – der man beim dritten Biopic im diesjährigen Wettbewerb längst überdrüssig war.

Dennoch bleibt Coppola, die auch das Drehbuch geschrieben hat, über weite Strecken den Formeln der Filmbiografie treu. „Priscilla“ arbeitet sich brav von der ersten Begegnung 1959 auf einem Armee-Stützpunkt in Deutschland bis zur Trennung 1973 vor. Es bleibt wenig Raum für Überraschungen.

Priscilla Presley taucht in Venedig auf

Für diese sorgte allerdings Priscilla Presley höchstpersönlich, die zu der Premiere des Films angereist war (sie fungiert als Produzentin), mit einem emotionalen Ausbruch auf der Pressekonferenz. Nachdem sie sich vermeintlich unerkannt zwischen die Pressemenschen gesetzt hatte, brach sie in der Fragerunde schließlich kurz in Tränen aus. „Es war schwer, sich einen Film über sich selbst, das eigene Leben und deine große Liebe anzuschauen. Sofia hat unglaubliche Arbeit geleistet.“

George MacKay und Léa Seydoux reisen in „La bête“ („The Beast“) von Bertrand Bonello durch das Jahrhundert.
George MacKay und Léa Seydoux reisen in „La bête“ („The Beast“) von Bertrand Bonello durch das Jahrhundert.

© Carole Bethuel

Coppola gibt sich auch große Mühe, die Tatsache zu rationalisieren, dass Priscilla Beaulieu erst 14 Jahre alt war, als sie Elvis kennenlernte. Presley sagt dazu in der Konferenz: „Die Leute denken alle: Oh, es ging um Sex. Aber das war es nicht, wir hatten keinen Sex. Er war ganz sanft, sehr liebevoll. Er akzeptierte die Tatsache, dass ich erst 14 war. Wir hatten eine eher geistige Verbindung.“

Doch schon kurz nach der Hochzeit wird Priscilla zur Gefangenen im Graceland-Anwesen: ein Ankleidepüppchen und Opfer der Launen des zunehmend tablettenabhängigen Popstars.

Coppolas Interpretation eines Douglas-Sirk-Dramas ist weit davon entfernt, mit Priscilla Presley etwas Ähnliches zu versuchen wie etwa Pablo Larraín mit Jackie Kennedy. Die Garderobe und Frisuren von Cailee Spaeny sehen zwar umwerfend aus, aber hinter den schönen Oberflächen bleibt eine große Leere.

Ganz anders der Franzose Bertrand Bonello, von dessen Filmen man besser nie erwarten sollte, was der Plot verspricht. In „La bête“ („The Beast“) reisen Léa Seydoux und George MacKay (als Ersatz für den 2022 verstorbenen Gaspard Ulliel) durch das vergangene Jahrhundert: die Deprogrammierung im Auftrag einer Künstlichen Intelligenz.

Im Jahr 2044 ist die Arbeitskraft eines Großteils der Menschheit überflüssig geworden. Um in das neue Proletariat aufgenommen zu werden, müssen ihre Erinnerungen und Gefühle erst „gereinigt“ werden.

Jubel für Woody Allen

Aber Gabrielle und Louis begegnen sich immer wieder, unter anderem zur Zeit der Großen Flut von Paris 1910 und im Los Angeles von 2014. Dazwischen haben sie einmal ihre Rollen getauscht: Während sie sich zunächst aus einer diffusen Angst vor einer Katastrophe nicht auf ihre Gefühle einlassen kann, erweist er sich hundert Jahre später – wiedergeboren als frauenhassender Incel – selbst als ihre Nemesis.

Lou de Laâge und Melvil Poupard sind in Woody Allens „Coup de Chance“ außer Konkurrenz zu sehen.
Lou de Laâge und Melvil Poupard sind in Woody Allens „Coup de Chance“ außer Konkurrenz zu sehen.

© Venedig Presse

„La bête“, eine Verfilmung von Henry James’ „The Beast in the Jungle“, besteht aus Erinnerungssplittern dieser jahrhundertelangen Liebesgeschichte, die Bonello scheinbar willkürlich zusammenfügt – die aber auf jeder Zeitebene eine andere Bedeutung annehmen. Gabrielle und Louis führen ihre Leben vor einer Green Screen: „La bête“ ist period piece und Science Fiction zugleich. 

An eine Zeitreise erinnert auch „Coup de Chance“, in dem Woody Allen noch einmal alle Versatzstücke seines Gesamtwerks neu verschraubt. Seiner zweiten „europäischen Phase“, fast zwanzig Jahre nach „Match Point“, mangelt es jedoch entschieden an Originalität und Witz.

Zumal auch die einst unbestrittenen Qualitäten seines Schauspielkinos durch den flächendeckenden US-Boykott seiner Filme nicht mehr zünden. Lou de Laâge und selbst der sonst so großartige Melvil Poupaud sind Allens maliziöser Misanthropie kaum ebenbürtig. „Coup de Chance“ wirkt gelangweilt, wie eine filmische Trotzreaktion. Und so muss man wohl auch diese Einladung an den Lido verstehen.

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