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Kann man wohl auch am Rand der israelischen Steinwüste treffen: Schlagerstar Tony Marshall. Hier bei seinem 75. Geburtstag in Badem-Württemberg.

© dpa

Reisefieber (10): Die Sommerserie: Volle Locke

Aufregung, Angst, Abenteuer: Reisen ist der individuelle Ausnahmezustand. An dieser Stelle erzählen wir in den Sommerwochen davon – mit erhöhter Temperatur.

Mit einem Abenteuer hatten wir gerechnet, aber nicht mit so einem. Masada, sagte der Guide, werde uns in Erinnerung bleiben. Die alte Festung am Rand der israelischen Steinwüste, in Sichtweite des Toten Meeres, hoch oben auf einem Felsplateau. Steilhänge zu allen Seiten. Besucher gelangen nur mit der Seilbahn hinauf oder umständlich zu Fuß über schattenlose Serpentinen. Kurz nachgedacht, Seilbahn genommen.

Oben erzählt der Guide eine schaurige Geschichte. 66 nach Christus wagten die Juden einen Aufstand gegen ihre römischen Besatzer. Das ging schief und führte zur weitgehenden Zerstörung Jerusalems, die letzten Aufständischen flüchteten hierher. Masada galt als uneinnehmbar. Sollten sie doch kommen, die Römer.

Sie kamen dann auch. 4000 Soldaten umzingelten den Berg, bauten rundherum eine Mauer, dazu eine gigantische Belagerungsrampe. Die Situation war aussichtslos, doch anstatt sich zu ergeben, beschlossen die Rebellen kollektiven Selbstmord. Unklar ist, ob die vielen hundert Frauen und Kinder unter ihnen freiwillig mitmachten oder umgebracht wurden. Eine Horrorstory. Als hätte George R. R. Martin es diesmal übertrieben.

Ist er es wirklich?

An der Talstation kaufen wir Eis und suchen uns einen der wenigen Schattenplätze. Doch da sitzt schon: Tony Marshall. Oder jedenfalls ein Mann, der Tony Marshall arg ähnlich sieht. Volle Lockenpracht, marineblaues Hemd aus der Hose, Knopf auf. Viel Schweiß auf der Stirn. Als käme er direkt aus der ZDF-Hitparade.

Der Mann, der Tony Marshall sein könnte, kippt einen Becher Wasser auf Ex. Ist er es wirklich? Womöglich benebelt das Wüstenklima unsere Sinne. Aber falls doch? Zum Glück gibt es in unserer Gruppe einen, der sich um Etikette und Privatsphäre wenig schert. Das bin ich. „Sorry, darf ich fragen...?“

„Ja klar“, sagt der Mann. Er lächelt. Er liebe Israel und die Israelis, sagt Tony Marshall. „Ein kleines, aber verdammt großes Volk.“ Er sei hier, um den 70. Geburtstag eines Freundes zu feiern. Danach trete er in Tel Aviv auf, als Milchmann Tevje im Musical „Anatevka“. Er sei schließlich der einzige deutsche Schlagerstar mit Opernsängerexamen.

Inzwischen hat sich eine Traube deutscher Touristen um ihn geschart. Fotos werden gemacht, Umarmungen zugelassen. Gern würde ich Tony Marshall fragen, ob er Helene Fischer mag. Ob er seinen Hit „Ach lass mich doch in deinem Wald der Oberförster sein“ aus heutiger Sicht auch sexistisch findet. Ob man schwitzt unter so einem Toupet. Stattdessen: „Können Sie etwas für uns singen, Herr Marshall?“ Es wird das schönste „Hava nagila“, das man von einem deutschen Schlagerstar mit Opernsängerexamen in der israelischen Steinwüste je gehört hat.

Bisher in der Serie erschienen: Träge Tropen, Gelbes Leuchten, Schwarze Sonne, Schwarm und Schock, Vater weg, Kloß im Hals, Grüezi Wohl!, Am Abgrund und What? Germany? Shit!

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