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Barrie Kosky, 1967 im australischen Melbourne geboren, ist seit der Spielzeit 2012/13 Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin. Sein Vertrag läuft bis 2022. Er studierte Klavier und Musikgeschichte und leitete in Melbourne von 1990 bis 1997 die Gilgul Theatre Company. Von 2001 bis 2005 war er Kodirektor des Wiener Schauspielhauses.

© Jan Windszus/Komische Oper

Vor der Premiere von „Jewgeni Onegin“: „Crossover finde ich grässlich“

Barrie Kosky, Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper, über die babylonischen Sprachwirren im Repertoire, die Zwillinge Oper und Operette – und die Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor.

Guten Tag, Herr Kosky, oder besser: dobryj djen. In den Endproben zu „Jewgeni Onegin“ sind Sie ja gerade tief in die russische Sprache eingetaucht.

Bei Tschaikowsky und Schostakowitsch, überhaupt bei russischen Opern, ist die Poesie der Sprache so fest verwoben mit der Musik, dass ich unbedingt dafür bin, diese Werke im Original aufzuführen.

Was der Gründungsidee der Komischen Oper grundlegend widerspricht.

Meine Entscheidung, die Deutschsprachigkeit abzuschaffen, die hier seit 1947 herrschte, war ein großer Schritt. Aber ich habe nur positive Reaktionen bekommen, es gab nicht einen einzigen Besucher, der sich beschwert hat! Und selbst das Feuilleton hat zustimmend reagiert. Zu Klaus Wowereit habe ich damals gesagt: Womöglich wird es einen Sturm der Entrüstung geben, wenn ich eine sogenannte Säule des Hauses wegnehme. Aber ich kann die Identität der Komischen Oper nicht auf einer Sprachideologie aufbauen. Für mich liegt die Identität ganz woanders …

Nämlich?

Zum Beispiel darin, dass man bei uns zeitgenössische Inszenierungen sehen kann, heutiges Musiktheater, und zwar in allen Bereichen, in der Oper ebenso wie bei der Operette und beim Musical. Das Publikum erwartet sogar von uns, dass hier Außergewöhnliches auf der Bühne passiert. Und dass die Musik auf Augenhöhe mit der Szene ist.

Derzeit finden sich im Spielplan sowohl Übersetzungen als auch Originalfassungen. Wie lange noch?

Wir werden kein neues Dogma aufstellen, sondern von Stück zu Stück entscheiden. Manche Opern kann man nämlich durchaus auf Deutsch spielen, solche, bei denen der Sprachwitz eine wichtige Rolle spielt. Oder man macht eine Mischform: „West Side Story“ zum Beispiel funktioniert super mit deutschen Dialogen und englischen Songtexten. 2018, zu Leonard Bernsteins 100. Geburtstag, werde ich das mit „Candide“ machen. Bei Tschaikowsky ist die Sprache ein genuiner Teil der Musik. Das Libretto zu „Jewgeni Onegin“ ist eine Meditation über Puschkins Versdrama. Als wir zum ersten Mal ein Werk auf Russisch gemacht haben, Tschaikowskys „Mazeppa“, da haben unsere Chorsolisten noch gestöhnt. Auch, weil für viele in der DDR sozialisierte Menschen Russisch nicht denselben wunderbaren Klang hat wie für mich. Das respektiere ich. Aber ich habe dem Chor gesagt: Wartet ab, eure negativen Assoziationen werden ganz schnell überwunden werden von der Schönheit, die diese Musik im Original entfaltet. Und so war es.

Was aber bieten Sie Besuchern, die kein Russisch verstehen?

Wir haben ja die kleinen Displays in den Stuhllehnen. Das finde ich sogar noch besser als die heute üblichen Übertitel oberhalb der Bühne. Denn zum einen können wir auf dem Display gleich mehrere Sprachen zur Wahl anbieten, also neben Deutsch auch Englisch, Französisch und Türkisch. Und zum anderen entscheidet so jeder individuell: Die Displays lassen sich ja auch ausschalten – und weil sie so klein sind, stört es überhaupt nicht, wenn der Sitznachbar seines eingeschaltet hat.

Und was bedeutet die Abschaffung der Deutschsprachigkeit für die Spielplangestaltung?

Früher mussten wir uns immer fragen: Funktioniert dieses oder jenes Stück auch auf Deutsch? Das hatte eine extreme Einschränkung im Repertoire zur Folge. Und wir konnten viele Sänger, die wir gerne gehabt hätten, nicht engagieren, weil die uns sagten: Ich habe keine Zeit, diese Rolle für euch extra noch einmal auf Deutsch zu lernen. Jetzt aber haben wir wunderbare slawische Solisten für „Mazeppa“, für den „Feurigen Engel“ und für „Onegin“. Dafür braucht man eben diese spezielle Stimmfärbung, die sich deutlich vom Singen auf Italienisch oder Französisch unterscheidet, dunkler grundiert ist, auch mal ein paar charakteristische, ja hässliche Töne dabei haben darf.

Konsequent wäre, den Namen "Komische Oper" abzuschaffen

Wenn Sie konsequent sind, müssten Sie eigentlich auch den Namen Komische Oper abschaffen.

Wir haben das tatsächlich heiß diskutiert mit den Dramaturgen des Hauses, gleich, nachdem ich als Intendant designiert wurde. Der Name ist eng verbunden mit Walter Felsenstein, dem Gründer des Hauses. Aber den meisten Zuschauern ist nicht klar, auf welche Tradition sich Felsenstein berief: auf die Pariser Opéra Comique nämlich, die aus einer spezifischen französischen Trennung der Genres entstand. Per staatlicher Verordnung durften nur an der Opéra Werke mit Rezitativen aufgeführt werden, während an der Opéra Comique die Arien und Ensembles durch gesprochene Passagen verbunden wurden. An diese Spaltung aber hat sich Felsenstein dann nicht gehalten.

Klingt kompliziert.

Inzwischen habe ich akzeptiert, dass der Name ein Teil des Widerspruchs ist, mit dem wir hier leben: Draußen steht „Komisch“ dran, auf der Bühne ist es das aber nicht immer so. Wir spielen ja auch „Moses und Aron“ von Schönberg oder Bizets „Carmen“. Andererseits: Was bedeutet der Name Deutsche Oper? Die spielen doch nicht nur Werke von Mozart, Weber und Wagner! Darf man da überhaupt italienische Oper spielen? In Wien haben sie die Volksoper – aber das will ich schon gar nicht, das klingt nach absurden gesellschaftlichen Klassengegensätzen: Staatsoper, Volksoper – das sind Schubladen aus dem 19. Jahrhundert. Der Name Komische Oper ist also ein Zeichen für die Widersprüche, die es hier auszuhalten gilt.

Dank ihrer extrem erfolgreichen knallbunten Operetteninszenierungen gilt die Komische Oper zur Zeit als Berlins beste Spaßbude.

Das mag für die Presse gelten, aber nicht für die Zuschauer. Bei der letzten Vorstellung der Wiederaufnahme von Prokofjews „Der Feurige Engel“ saßen fast 1000 Menschen im Saal. Bei einem kaum bekannten Stück! Die Inszenierungen von Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ waren fast ausverkauft. Ich spreche nicht gerne über Auslastungszahlen, lieber über die Menschen, die zu uns kommen. Und da gibt es kaum Überschneidungen zwischen dem Publikum, das die Musicals stürmt, und dem, das unsere Barockopern besucht oder auch die Werke des 20. Jahrhunderts. Wir haben viele Publika. Und wir brauchen diese Diversität, denn mit einer einzigen, homogenen Stammklientel können wir nicht überleben. Unser Publikum ist jedem Abend ganz anders. Das macht mich stolz.

Kann man sagen: Bei der Deutschen Oper und der Staatsoper ist das Publikum monogam, Sie haben wechselnde Partner?

Wir haben in den vier Jahren meiner Amtszeit tausende Menschen hier begrüßen können, die vorher noch nie in der Komischen Oper waren. Das reicht von den Kindern, für die wir jede Spielzeit eine große Produktion machen, bis zu den Operettenliebhabern und den Menschen, die Musik des 20. Jahrhunderts schätzen.

Anders ausgedrückt: Es gibt bei Ihnen ein E- und U-Publikum. Also genau das Gegenteil von dem, was Sie immer fordern.

Da machen Sie den deutschen Fehler: Ich habe nie gesagt, dass E und U miteinander vermischt werden müssen, sondern nur, dass ich keine Hierarchie akzeptiere. Auf der einen Seite die seriöse Kunst, auf der anderen die minderwertige. Eine gut geschriebene Operette steht für mich auf demselben Niveau wie eine gut geschriebene Oper. Sie sind Bruder und Schwester, zweieiige Zwillinge, nicht Bruder und Stiefschwester. Das Publikum, das eine Zwölftonoper sehen will, ist doch nicht mehr wert als das Publikum, das „My Fair Lady“ anschaut. Ich habe nie für einen Mix plädiert, Crossover ist ein grässlicher Begriff.

Das Publikum rennt Ihnen die Bude ein, aber Ihr Chefdirigent macht die Fliege.

Henrik Nánási hat einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben, und den erfüllt er auch. Henrik war ein super Partner, aber er hat mittlerweile so viele internationale Angebote, dass er nicht mehr genug Zeit hat für einen Generalmusikdirektorenposten.

Und was werden Sie jetzt tun?

Auf jeden Fall nicht das, was wir beim letzten Mal gemacht haben: 27 Dirigenten wurden eingeladen, unter denen dann Henrik Nánási das Rennen machte. Diesmal darf das Orchester drei Wunschkandidaten nennen und ich auch – einer davon wird es dann. Ein großes Problem ist, dass viele Talente der jüngeren Generation keine Generalmusikdirektoren sein wollen, wegen der vielen, zeitraubenden Verpflichtungen im Theateralltag. Sie jetten lieber als Freiberufler um den Globus. Außerdem ist der Berufsweg des Dirigenten heute anders als früher. Da fing man in der tiefsten Provinz als Probenpianist an, dann war man zwei Jahre in Ulm 2. Kapellmeister, anschließend ging man nach Mannheim als 1. Kapellmeister. Da musste man jeden Abend ran und schaffte sich in fünf Jahren ein Repertoire von 40 Werken drauf. Schließlich bekam man seine erste Chefposition in Bremen, und erst weitere fünf Jahre später fing die internationale Karriere an.

Diese Ochsentour war aber kein Spaß für die Betroffenen …

Nee, sicher nicht, aber heute reißen sich die größten Häuser um die angesagten 25-Jährigen, die dann ohne jede Erfahrung einen Riesenbetrieb leiten sollen. Das finde ich nicht gut. Ich will darum für die Komische Oper unbedingt jemanden, der das deutsche Repertoiretheatersystem aus der Praxis kennt. Und der wirklich Musiktheater dirigieren kann. Sinfoniekonzerte legen sie dir alle hin, aber Oper ist viel komplexer.

Bis wann soll der Name feststehen?

Henrik Nánási hört im Sommer 2017 auf, notfalls kommen wir auch eine Saison ohne Chef aus. Vielleicht fängt derjenige – oder diejenige! – auch erst einmal in Teilzeit bei uns an. Die Termine werden in unserem Business ja wahnsinnig weit im Voraus gemacht. Meine Traumbesetzung ist jemand, der sich wirklich für die Zusammenarbeit von Szene und Graben interessiert, der über die gesamte Probenphase an meiner Seite ist. Das Resultat spricht immer für sich.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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