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Kultur: Vorläufig letzte Worte

Zum 80. Geburtstag von Peter Härtling.

Er hat sich die eigene Identität immer wieder neu erschrieben. In seinen frühen Gedichten war er Yamin, dann stellte er als Kaspar Hauser die Wirklichkeit auf den Kopf. Was zum Teufel aber machte Peter Härtling als Benno Wurzelriss? Da schrieb er Kolumnen für die „Deutsche Zeitung“ in Köln, wusste noch nicht, dass er 1967 Cheflektor des S. Fischer Verlages werden würde, dann Geschäftsführer, bis er sich 1973 für ein Leben als freier Schriftsteller entschied.

Mehr als 70 Bücher hat er seitdem geschrieben: wunderbar melancholische Gedichte, Künstlerromane wie seinen „Hölderlin“, die Zeitgeschichte ergründende Roman-Autobiografien, straffe Erzählungen, beflügelnde Kinderbücher und Debatten stiftende Essays. Mit Heinrich Böll verfolgte er den Flug des ersten Kosmonauten Juri Gagarin, mit Paul Celan stritt er über die Angst und ließ sich von Hans Magnus Enzensberger in Cafés locken. Und er begrüßte Uwe Johnson, der im fiktiven Tagebuch von der deutschen Teilung und vom Überleben in der Diktatur zu schreiben wusste.

Auf Johnsons Spuren ist Härtling, der seine Heimat seit vielen Jahren im hessischen Mörfelden-Walldorf gefunden hat, auch in seiner neuen Erzählung „Brodbeck und die letzen Bücher“, die zu seinem 80. Geburtstag am heutigen Mittwoch in dem Band „Tage mit Echo“ erscheint. Sein Alter Ego Robert Brodbeck, ein in die Jahre gekommener Schauspieler und „altes Bühnentier“, bricht zu einer Vortragsreise über „Letzte Bücher“ auf. Zuerst erkundet er Klütz, jenes mecklenburgische Städtchen, das Johnson in den „Jahrestagen“ zur Vorlage für sein Jerichow erkor.

Während Brodbeck noch über seine „Liste letzter Bücher“ unabhängiger Geister nachdenkt, vermarktet seine Agentin die Idee. Für einen Hörverlag liest er aus Joseph Roths „Legende vom heiligen Trinker“, und nachdem er mit alten Freunden gebechert hat, versagt ihm die Stimme. Überall hält er Schals bereit, aus Angst, die Stimme zu verlieren.

„Tage mit Echo“ ist auch ein humorvolles Buch voller satirischer Schlaglichter auf die Gegenwart und liebenswert uneiteler Selbstironie. Tragikomisches und Denkwürdiges ereignet sich während der Lesereise, wenn er aus Döblins „Hamlet“ oder aus Johnsons „Jahrestagen“ liest. Beim Lesen von Roth wird er fast selbst zum Trinker, bei Fontane wandelt er sich beinahe zum alten Stechlin. Da verschmelzen Realität und Fiktion. Dass der Vorleser nicht ganz die Identität der literarischen Figuren annimmt, verhindert Härtlings Hang zur Ironie. Während das Vortragswerk Fragment bleibt, verschwindet Brodbeck, der „Kopfwanderer“, allmählich von der Bildfläche.

Der Autor aber hat das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er wendet sich einer anderen Person zu. Obwohl Peter Härtling seine Manuskripte nach wie vor auf der Schreibmaschine tippt, outet sich sein Alter Ego unvermutet als Computernutzer, indem es übers Internet den Band „Carl Philipp Fohr und seine Künstlerfreunde in Rom“ bestellt. Da beginnt die zweite Erzählung, die von dem jungen Maler Fohr erzählt, der Ende des 18. Jahrhunderts in Heidelberg aufwuchs, Schule und Akademie verschmähte, von Mäzenen aber gefördert wurde und schließlich nach Rom ging, wo er sich im Café Greco einer romantischen Künstlergruppe anschloss. Kaum hat er im Freundeskreis den Plan für ein geniales Gruppenbild entworfen, ertrinkt er im Alter von nur 22 Jahren beim Baden im Tiber.

Hier schließt sich die Lebenslinie zum Kreis. „Warum letzte Bücher?“, fragt eine Figur namens Schulz. Und Brodbeck antwortet: „Weil es wunderbare Abschiede sind, unbewusste, ungewollte Abschiede, die in einer Phase des Aufbruchs entstanden.“ Wie seine Figuren ist Peter Härtling von einer Idee besessen. Er will an die letzten Dinge rühren, indem er fragt: Kündigt sich der Tod in „letzten Werken“ an? Dorothea von Törne

Peter Härtling: Tage mit Echo. Zwei Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 168 Seiten, 18,99 €.

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