Wie das Grün nach dem Regen: Die zweite Diriyah Biennale in Riad lässt Kunst erblühen
Momente der Hoffnung: Kuratorin Ute Meta Bauer bietet in der saudischen Hauptstadt vergessenen Kulturen ein gewaltiges Forum.
„Ein frischer Wind weht durch diese Hallen“, betont Ute Meta Bauer, als sie die von ihr als künstlerischer Leiterin verantwortete zweite Diriyah Biennale vorstellt. Diriyah ist ein Vorort der saudischen Hauptstadt Riad und von der auf neun Millionen Einwohner geschätzten Metropole des Königreichs längst geschluckt. Doch hier, in dem zum Kunstzentrum umgenutzten Komplex früherer Lagerhallen, wirkt die Kapitale erstaunlich weit weg.
Immerhin liegt nebenan At-Turaif, die historische Keimzelle des Herrscherhauses und heute eine Unesco-Welterbestätte. Hinter den Hallen verläuft im Tal ein nur zu Regenzeiten Wasser führendes Flussbett. „Wenn es regnet“, erläutert Ute Meta Bauer den Titel „After Rain“ der Biennale, „hat das sofort Auswirkungen, denn die Natur ist bereit dafür, für jeden Tropfen Wasser. Es ist dieser Moment des Genährtwerdens – und für mich auch ein Moment der Hoffnung.“
Ute Meta Bauer, in Berlin seit der von ihr geleiteten Berlin Biennale 2004 in guter Erinnerung, sieht die Biennale als Teil der „Transformation“, die Saudi-Arabien erfasst hat – und sie sagt es in jedes Mikrofon. „Das Land steckt viel Geld in die Kultur“, nimmt sie die erwartbare Frage vorweg, „aber entscheidend ist, was man damit macht.“
Das Geld, sagt sie, sei „der Elefant im Raum“, und damit spielt sie auf die saudische Politik an, sich Renommee schlichtweg zu kaufen, ob im Sport oder eben in der Kultur. Und natürlich ist Diriyah eine Art Insel der Seligen, fernab vom Alltag des Landes und seiner Bewohner. Aber man kann Ute Meta Bauer abnehmen, dass sie ihre Biennale ohne politische Einflussnahme gestalten konnte.
Kunst auf 13.000 Quadratmetern
Was Ute Meta Bauer und ihr sechsköpfiges, bis auf einen indischen Kollegen weibliches Team damit bei der zweiten Ausgabe der erst 2021 ins Leben gerufenen Biennale gemacht haben, breitet sich über sechs Hallen und 13.000 Quadratmeter Grundfläche aus. Gezeigt werden Beiträge von rund einhundert Künstlern, mehrheitlich Künstlerinnen.
Sechs Hallen so zu organisieren, dass kein bloßes Sammelsurium vorgeführt wird, erfordert eine klare Dramaturgie und Sorgfalt in Aufbau und Darbietung. Das hat das Kuratorenteam geleistet. Den raumgreifenden Installationen wird der notwendige Platz gelassen, sie sind in den tageslichtfreien Hallen präzise ausgeleuchtet, zur Beschilderung stehen elegante Metallständer unauffällig bereit.
Die erste Halle zeigt Kunst als etwas, das in ihrem Vollzug besteht. Die Verwandtschaft mit Schauspiel und Zirkus ist sinnfällig. Dhali Al Mamoon aus Bangladesch zeigt bewegliche Figuren, die an Schattenspiele erinnern; Taus Makhacheva aus Dagestan hat eine ganze Manege aufgebaut.
Von El Anatsui, dem 2015 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Künstler aus Ghana, ist der riesige Wandteppich „Detsi“ zu sehen, den aus abertausenden Kronkorken zu häkeln 13 Jahre erforderte – ein Verweis auf die Herstellungszeit, die ein „fertiges“ Kunstwerk meist unterschlägt.
Dokumentarische Kunst
Klar, dass zahlreiche Videos zu sehen sind, von zumeist dokumentarischem Charakter. Die Wiedererweckung verschütteter Örtlichkeiten, Traditionen oder Sprechakte steht mittlerweile im Zentrum des Kunstbetriebs. Ute Meta Bauer ist klug genug, dem bloß Dokumentarischen nicht allzu viel Raum zu geben, sondern auf den Kunstcharakter zu achten. Das bedeutet, deren eigene Tradition zu beleuchten.
Dazu hat sie eine ganze Halle für ältere Künstler reserviert, wie etwa die 83-jährige Jordanierin Hind Nasser mit ihren Figuration und Abstraktion überspielenden Gemälden, oder die gleichaltrige saudische Künstlerin Safeya Binzagar, die sich der textilen Tradition ihres Lands annimmt.
Rasheed Araeen hat in den 1950er Jahren Menschen seiner Heimatstadt Karatschi porträtiert. Die 2017 verstorbene Lala Rukh aus Pakistan hat aufs Äußerste reduzierte Zeichnungen hinterlassen; ihre Arbeiten waren 2017 auf der Documenta zu sehen.
„Material“ wird in der größten der eine Enfilade bildenden Hallen untersucht: Dana Awartani aus Dschidda markiert Orte kultureller Zerstörung einer persönlichen Landkarte aus handgefärbtem Gewebe. Liang Shaoji aus Shanghai formt gebirgsartige Skulpturen als Habitat für die von ihm seit Jahrzehnten beobachteten Seidenraupen. Phi Phi Oanh hat eine komplizierte Versuchsanordnung aufgebaut, um die Lackkunst ihrer vietnamesischen Heimat in Licht quasi aufzulösen.
Die Münchnerin Regina Maria Möller widmet sich der gemeinen Kleidermotte mit ihren wie Theatervorhänge aufgezogenen Geweben. Nur über die mit Blättern gedeckte Hütte in der allerersten Halle muss man rätseln, die Marjetica Potrc in Brasilien kennenlernte und die nun auf einer Holzkonstruktion unerreichbar in der Höhe steht. Ist sie ein Ideal der Ursprünglichkeit suchenden Kunst-Forscher?
Essen und Trinken sind schon seit längerem Thema künstlerischer Arbeiten. Die bereits auf der Documenta 15 aktive Gruppe Britto Art Trust aus Bangladesch präsentiert erneut ihr Konzept des Küchengartens-plus-Verköstigung, diesmal in einer Bambuskonstruktion bengalischer Handwerker. Apolonija Sustersic und Youssou Diop führen ihre in Oslo erprobte „Njokobok Bar“ weiter, mit alkoholfreien Säften aus Hibiskus und Ingwer.
Das Ergebnis ist eine unterhaltsame, Zeit erfordernde und lohnende Ausstellung. Als prototypische Nomadin des Kunstbetriebs mit zuletzt elf Jahren in Singapur wirkt die Stuttgarterin Ute Meta Bauer vermittelnd zwischen Kontinenten und Kulturen.
Nebenbei zeigt sie ihrem Gastland Saudi-Arabien, welche Künstler und vor allem Künstlerinnen es selbst besitzt, und dass es Zeit ist, mit ihnen und der internationalen Künstlerschaft ins Rampenlicht zu treten. Ihre Biennale ist wie das Grün nach dem Regen.
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