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Hart verdientes Geld: Eine Reinigungskraft kehrt in einem Bahnhof einen Treppenaufgang.

© dpa/Daniel Karmann

Streit über das Bürgergeld: Wie viel Großzügigkeit kann sich Deutschland in schwierigen Zeiten leisten?

In der Debatte ums Bürgergeld agiert Arbeitsminister Hubertus Heil mit sozialdemokratischem Tunnelblick. Angesichts von milliardenschweren Mehrausgaben braucht es bessere Antworten.

Ein Kommentar von Karin Christmann

Kann es einen guten Populismus geben, inmitten von viel schlechtem Populismus? Ja, das kann es. Und in der aufgeregten Debatte über das Bürgergeld lohnt es sich, das eine und das andere auseinanderzusortieren.

Gestartet war das Bürgergeld als großes Versprechen für mehr Fairness gegenüber Menschen, die in eine schwierige Lebenslage geraten sind. Daraus geworden ist ein weit verbreiteter Eindruck: Da ist etwas aus dem Lot geraten. Wo verläuft für den Staat die Grenze zwischen Großzügigkeit und Sich-für-dumm-verkaufen-lassen? Und wie viel Großzügigkeit kann das Land sich in schwierigen Zeiten leisten?

Zu oft bügeln Arbeitsminister Hubertus Heil und mit ihm der rot-grüne Teil der Koalition Fragen wie diese mit dem Hinweis ab, wer arbeite, habe immer mehr als jener, der vom Bürgergeld lebe. Das ist sachlich richtig. Aber es gehört schon auch ein sozialdemokratischer Tunnelblick dazu, nicht einsehen zu wollen, dass sich das Störgefühl von immer mehr Menschen so einfach nicht wegerklären lässt.

Es gibt in der Debatte einen blinden Fleck

In jedem Supermarkt, in jeder Tankstelle wird Personal gesucht. Gleichzeitig leben Millionen Menschen, die grundsätzlich sehr wohl arbeiten könnten, vom Bürgergeld. Das ist Kern des Störgefühls. Und es ist der große sachliche Unterschied zu den Debatten der frühen Hartz-IV-Jahre, die in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit geführt wurden.

Das Störgefühl ernst zu nehmen, es nicht einfach zur Herzlosigkeit zu erklären, das ist Populismus im guten Sinne. Und deshalb braucht es wieder mehr Härte gegenüber den tatsächlich Arbeitsunwilligen, ein Nachsteuern bei den Sanktionsmöglichkeiten. Wer nicht wegschaut, wo Menschen den Sozialstaat ausnutzen, der stärkt die Hilfsbereitschaft der Solidargemeinschaft für jene, die tatsächlich unverschuldet in Not sind.

Mit Vertrauensvorschuss und auf Augenhöhe auf Menschen zuzugehen, die für ihren Lebensunterhalt (zeitweilig) nicht selbst sorgen können, ist der richtige Ansatz – gegenüber jenen, die ihr Bestes tun. Der Staat darf sich aber gegenüber allen anderen nicht dümmer stellen, als er ist.

Zumal der eine oder die andere natürlich zum Bürgergeld dazuverdient, bar auf die Hand, brutto für netto. Das ist ein blinder Fleck in der Debatte. Nichts Genaues weiß man nicht. Es wäre Aufgabe der Politik, hier viel besser hinzusehen.

Und auch mit Blick auf die Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland fliehen mussten, herrscht viel zu sehr das Prinzip Achselzucken. In Deutschland erarbeitet ein viel niedriger Prozentsatz seinen Lebensunterhalt selbst als in anderen europäischen Ländern. Heils Job-Turbo kommt viel zu spät.

Bügelt Hubertus Heil (SPD) berechtigte Fragen zu oft mit einfachen Hinweisen ab?

© dpa/Kay Nietfeld

Es gibt aber auch jede Menge schlechten Populismus, auch von Seiten der Politik. Zum Beispiel bei der Frage der Regelsätze. Da ist für den Bundeshaushalt weniger zu holen, als oft suggeriert wird. Schon gar nicht lässt sich die Erhöhung zum 1. Januar per Minister-Handstreich stoppen.

Die Idee wendet sich gegen ihren Erfinder

Per Gesetz ist festgelegt, wie die ausgezahlten Summen ermittelt werden, ein guter Teil der Regeln beruht auf Verfassungsgerichtsurteilen. Im Moment hat die Bundesregierung schlicht Pech: Die Idee, Inflation künftig zügiger zu berücksichtigen, wendet sich gerade gegen ihren Erfinder. Denn die Inflation ist punktgenau zu einem Zeitpunkt gesunken, der die anstehende Erhöhung der Regelsätze nun überproportional aussehen lässt.

Womöglich sollten die Regeln noch einmal überarbeitet werden. Heute oder morgen ist das aber nicht zu machen.

Und natürlich – auch das zum Stichwort schlechter Populismus – darf nicht außer Blick geraten, dass das Bürgergeld das beinahe letzte Auffangnetz eines Sozialstaats ist, der viel zu viele junge Menschen schlecht versorgt, schlecht beschult, schlecht beschützt ins Leben entlässt. Zur Debatte über Arbeitsunwillige gehört immer die Frage dazu, welchen Lebensweg ein Mensch bis zu diesem Punkt gegangen ist.

Und doch: Wenn der Arbeitsminister, wie jüngst geschehen, kurz vor Beginn des Jahres 2024 plötzlich fünf Milliarden Euro mehr für das Bürgergeld einplanen muss als gedacht – dann ist es keine zufriedenstellende Antwort, dem Wahlpublikum zu bescheiden, leider sei da unterm Strich nichts zu machen.

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