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Meinung: Die Feinde der Helfer

Der Anschlag in Nassirijah verbindet die Iraker mit Europa – nicht mit den Extremisten

Die italienischen Carabinieri, Soldaten und Zivilisten, die gestern im Irak starben, waren nicht als Eroberer ins Land gekommen. Sie haben nicht am Krieg gegen das Regime Saddam Husseins teilgenommen. Sie waren im Irak, um Frieden und Stabilität wiederherzustellen. Um Hilfslieferungen für die Bevölkerung zu sichern, die Infrastruktur aufzubauen und Minen zu räumen. So macht der Anschlag in Nassirijah abermals deutlich, um was es den Extremisten geht: nicht etwa um die Beendigung einer Besetzung. Denn die würde ja desto schneller ein Ende finden, je eher die USA und ihre Verbündeten die Macht an die Iraker übergeben können. Nein, den Terroristen geht es darum, den neuen Irak zu verhindern.

Noch weiß man nicht, wer für den Anschlag verantwortlich ist. Diejenigen, die von Saddam Husseins Terror-Regime profitiert haben und den alten Irak wiederherstellen wollen. Oder islamische Terroristen, die jegliche Reformen, gar demokratische Ansätze im Irak verhindern wollen, denn das ist ja Teufelszeug aus dem Westen. Die Iraker, um die sich die Italiener in und um Nassirijah gekümmert haben – sie sind beiden Arten von Extremisten ohnehin egal.

Die Teilnahme an der Irak-Mission war auch in Italien sehr umstritten. Doch im Augenblick überwiegt die Trauer. „Heute ist nicht der Tag für Diskussionen“, sagte Oppositionsführer Francesco Rutelli. Dasselbe gilt für Europa. Man kann Berlusconi für den falschen Mann an der Spitze Italiens, an der Spitze Europas halten und seinen Schulterschluss mit US-Präsident Bush kritisieren – aber doch tiefe Trauer über den Tod von Italienern, Briten und Polen empfinden. Jenen Europäern, die im Irak den Tod fanden, weil sie dem Land eine Zukunft bauen wollten.

Während Berlin und Paris nur davon reden, dass ein stabiler Irak auch in ihrem und in Europas Interesse sei, hatten die Italiener Taten folgen lassen und mit 3000 Mann das größte europäische Kontingent nach den Briten gestellt. Es ist wohl nicht auf Unerfahrenheit zurückzuführen, wenn die der Armee angegliederten Carabinieri jetzt Opfer eines Selbstmordattentats wurden. Schließlich sind die Italiener mit weiteren 9000 Mann an Friedensmissionen weltweit beteiligt – vom Kosovo über Bosnien und Albanien bis hin zu Nahost und Afghanistan.

Der Anschlag auf die Carabinieri war offenbar sorgfältig geplant. Er folgte der bisherigen Strategie der Extremisten. Ihnen geht es weniger darum, die Iraker auf ihre Seite zu ziehen – im mehrheitlich schiitischen Nassirijah dürfte es weder viele Sympathien für Saddams Mörder-Regime noch für die fundamentalistisch-sunnitische Ideologie von Al Qaida geben. Die Anschläge zielen vielmehr auf die westlichen Öffentlichkeiten. Ob tote US-Soldaten, Briten, Polen, Spanier oder Italiener – die Kosten für die Befriedung des Irak sollen ständig steigen. So lange, bis die Regierungen im Westen aufgeben. Denn anders als in den totalitären Regimen, von denen Saddamisten und Islamisten gleichermaßen träumen, sind Demokratien ihren Bürgern Rechenschaft schuldig. Ihre Fähigkeit, Opfer zu ertragen, ist somit begrenzter als die von Terroristen. Umso erstaunlicher, dass Berlusconi, der ansonsten wetterwendisch den neusten Umfrageergebnissen hinterherläuft, jetzt Kurs halten will. Hoffentlich hält er das durch.

Der Irak samt seiner strategisch wichtigen Erdölreserven in der Hand von Extremisten: Das wäre ein Albtraum für den ganzen Westen. Es kann also keinen Zweifel daran geben, dass die getöteten Italiener im Irak die Interessen ganz Europas, kurz: auch deutsche Interessen vertreten haben. Ein Grund mehr, dass auch wir um sie trauern.

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