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POSITIONEN: Die Stunde Europas hat geschlagen!

Wir brauchen jetzt Mut, Zukunftsverantwortung und Entschlusskraft

Europa steht in einer Schicksalswoche. Zukunftsverantwortung, Mut und Entscheidungskraft sind gefordert. Europa muss Vertrauen zurückgewinnen. Das bedeutet: Eine Rückkehr zur Schuldenunion muss ein und für alle Mal ausgeschlossen werden. Das verlangt die Einführung von Schuldenbremsen, eine klare Verpflichtung auf die Stabilitätskriterien und automatische Sanktionen für den Fall der Verletzung der Stabilitätsverpflichtungen. Es verlangt auch die Realisierung der Fiskal- und der Wirtschaftsunion als Garanten einer gemeinsamen Stabilitätspolitik.

Klare Entscheidungen werden Europa als Stabilitätsunion neu zusammenführen und sein internationales Gewicht als Global-Player stärken. Das umfasst auch den Willen zu gemeinsamen Wachstumsanstrengungen für die von der Schuldenkrise besonders betroffenen Mitgliedstaaten. Eine Schuldenkrise, an der Deutschland weder unbeteiligt noch unschuldig ist. Mit dem Eintritt in die Fiskal- und Stabilitätsunion wird auch eine neue Beurteilung mancher finanzpolitischen Frage möglich.

Frankreich und Deutschland sind zum Handeln aufgerufen. Es geht nicht um die Anmaßung einer Führungsrolle, sondern um die Übernahme der Rolle einer Avantgarde für Europa, wie so oft in der Vergangenheit. Man sollte Polen daran beteiligen. Die EU endet nicht mehr an der Ostgrenze der Bundesrepublik. Polen, als europäischer Wachstumsmotor und großer östlicher Nachbar Deutschlands, wird zeigen, dass es um das ganze Europa geht.

Die Bundesregierung stellt sich ihrer europäischen Verantwortung. Das schließt die fünf FDP-Bundesminister ein, und es bedeutet die Unterstützung der Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Auch dafür braucht Deutschland eine neue europäische Debattenkultur. Europa ist zu wichtig, als dass man es zulässt, dass seine Entwicklung mit Totschlagsargumenten blockiert wird. Die Folgen wären verheerend. Längst ist in Europa eine neue Kultur des Zusammenlebens entstanden, die allen Völkern Europas, das heißt auch dem deutschen Volk, nach allem, was war, eine neue Zukunft beschert hat. Das wird nur dann so bleiben, wenn das Bewusstsein europäischer Solidarität unser Handeln bestimmt. Das gilt in allen Richtungen. In Deutschland, das der Hauptexporteur innerhalb der Union ist, sollte man besonders schätzen, wenn es im gemeinsamen Binnenmarkt keine Währungsmanipulationen mehr geben kann. Auch das ist ein Transfer von Vorteilen.

Deutsche Interessen gegen europäische Interessen zu stellen: Das bedeutet den Abschied von der europäischen Schicksalsgemeinschaft. Deshalb ist die Diskussion, die derzeit innerhalb der FDP über die Haltung der Liberalen zur Politik der Bundesregierung bei der Krisenbewältigung geführt wird, mehr als ein finanzpolitischer Streit. Hier geht es um eine Richtungsentscheidung. Unsere historische Verantwortung und unser Gewicht innerhalb der Europäischen Union verbieten jeden Alleingang und jede Selbstisolierung als Folge eines solchen Alleinganges. Das zu vergessen, wäre ein Alarmsignal an unsere europäische Umwelt.

Global gesehen ist Deutschland für einen Alleingang zu klein. Europäisch gesehen aber ist Deutschland, als das Land in der Mitte, als das Land mit den meisten Nachbarn, als das volkreichste Land und als das wirtschaftlich betrachtet erfolgreichste Land für einen Alleingang zu groß. Der Weg, der von den Befürwortern einer deutschen Selbstisolierung in Europa gewiesen wird, der Versuch deutsche Interessen gegen europäische zu stellen, so als seien wir nicht Mitglied der europäischen Schicksalsgemeinschaft, könnte leicht in eine andere Republik führen. Das würde unsere europäische Identität beschädigen.

Um jedes Missverständnis auszuschließen und um es bildlich und drastisch auszudrücken: Die Farben der Republik bleiben schwarz-rot-gelb, sie werden nicht durch schwarz-weiß-rot ersetzt.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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