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Russische Ermittler am Tatort des Anschlags.

© imago/ITAR-TASS/IMAGO/Russian Investigative Committee

Eine weitere Bedrohung für den Westen: Der IS kehrt mit der Attacke zurück auf die internationale Bühne

Der Anschlag bei Moskau ist doppelt verheerend. Putin wird ihn nutzen, um seine Angriffe auf die Ukraine zu verstärken. Und: Die Gefahr islamistischer Anschläge ist nicht gebannt.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Der Anschlag auf die Konzerthalle in Moskau ist doppelt verheerend. In allererster Linie, weil wieder einmal unschuldige Zivilisten Opfer eines schrecklichen islamistischen Anschlags wurden.

Gleich eine ganze Reihe von Bedrohungsszenarien und globalen Konfliktlinien existieren derzeit. Natürlich der Konflikt im Nahen Osten, der längst kein Regionalkonflikt mehr ist, der Krieg in der Ukraine und mögliche Aggressionen Chinas gegenüber Taiwan, die sich zu einem Krieg mit einer internationalen Eskalation ausweiten könnten. Viel wird diskutiert über die europäische Verteidigungsfähigkeit vor allem gegenüber Russland.

Islamistische Terroranschläge spielten, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Fast, könnte man sagen, sind sie in Vergessenheit geraten.

Der Anschlag mit mehr als 100 Toten in Moskau zeigt aber, dass die Gefahr islamistischer Anschläge keinesfalls gebannt ist. Terrororganisationen mögen ihre Schlagkraft und ihre Ordnung auch dank des internationalen Kampfes gegen den Terror etwas verloren haben, doch sie sind weiter zu grausamen Attacken fähig.

Die Hintergründe dieses Anschlags, soweit sie bisher bekannt und einzuordnen sind, zeigen auch, dass Konflikte, die ihren Ursprung zum Teil noch in den 1980er-Jahren haben, bis heute nachwirken. So die Rolle Russlands in Afghanistan, später Tschetschenien und Syrien.

Zumindest sehen Experten hier eine Verbindung zu einer Unterorganisation des IS, die sich vor allem in Afghanistan formiert und als aktuell gut organisiert und besonders aggressiv gilt.

So richtig also die Debatten um die europäische Verteidigungspolitik sind, so wichtig es ist, dass Deutschland und Europa sich zum Ziel setzen, militärisch unabhängiger von den USA zu werden – auch für den Fall, dass Donald Trump wieder Präsident wird, womit das US-Engagement in der Nato geringer werden könnte. Den Kampf gegen den Terror sollte man dabei nicht vergessen.

Dafür braucht es funktionsfähige Geheimdienste, eine gute internationale Kooperation und politische Wachsamkeit für Konfliktfelder wie Afghanistan, die nicht aus dem Blick geraten dürfen.

Der Anschlag von Moskau macht deutlich, wie verworren und komplex die aktuelle geopolitische Lage ist. Der IS kehrt mit der Attacke zurück auf die internationale Bühne – als ernstzunehmender Player.

Putin tut Warnungen als westliche Provokation ab

Er fügt der Komplexität der neuen multilateralen Lagerbildung aus China/Russland einerseits, dem Westen, der aber auch in vielen Punkten nicht einig ist, anderseits, eine weitere Dimension hinzu. Denn der IS passt nicht in dieses Schema, er steht quer zu den Lagern. Er spielt sein eigenes, brutales, menschenverachtendes Spiel.

Dies alles beschreibt die eine Seite der Verheerung. Die andere ist, wie Russland diesen Anschlag schon während die Toten noch geborgen werden, versucht zu instrumentalisieren.

Derzeit deutet sehr wenig auf eine Beteiligung der Ukraine hin. Im Gegenteil. Die USA haben Russland vor wenigen Wochen vor einem solchen Anschlag gewarnt. Doch statt die eigene Bevölkerung zu schützen, wurden die Warnungen offenbar als westliche Provokation abgetan.

Man muss sicher nicht so weit gehen wie beispielsweise der ehemalige russische Schachweltmeister Garri Kasparow, der spekulierte, dass Russland vielleicht sogar selbst mit für die Anschläge verantwortlich sein könnte.

Aber auf jeden Fall wird Putin den Anschlag für seine Interessen einsetzen und die Ukraine und den Westen bezichtigen, hinter dem Anschlag zu stecken. Er wird den Anschlag benutzen, um eine neue Mobilmachung in Russland zu rechtfertigen und die Angriffe auf die Ukraine weiter zu verstärken.

Aus der Putin-Logik heraus muss er das auch. Denn sonst würden sich viele Blicke in seine Richtung wenden, mit der Frage, warum er einen solchen Anschlag nicht zu verhindern wusste. Schafft Putin es nicht, seiner Bevölkerung das Gefühl von Sicherheit im eigenen Land zu vermitteln, kann das für ihn gefährlich werden.

Der Terrorakt von Moskau ist ein Angriff auf russische Zivilisten. Er ist aber auch eine weitere, neue Bedrohung für die Ukraine und den Westen.

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