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Einspruch: Kinder, Geld und Irrtum

Eine geplante Klage der SPD gegen das Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht ist Quatsch. Das Betreuungsgeld hebelt weder die Neutralität des Staates aus, noch greift der Staat damit übermäßig in die Wahlfreiheit der Familien ein.

Niemanden werde man an den Pranger stellen, nur weil er seine Kinder zu Hause erziehen wolle. Das war der Satz, der Angela Merkel zur Verteidigung des Betreuungsgelds eingefallen ist. Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen, werden ihn dankbar vernommen haben. Nun hat der Bundestag die neue Familienleistung verabschiedet. Es könnte zumindest ein Übergangsfriede einkehren, wenn nicht käme, was in solchen Fällen immer kommt, die Klage in Karlsruhe. Die SPD will sie führen, Andrea Nahles hat sie schon begründet: Mit einem Betreuungsgeld greife der Staat in die Wahlfreiheit der Familien ein, er belohne einseitig, dass ein Kind der Kita fernbleibe und verletze so seine gebotene Neutralität.

100 Euro mehr: So könnte der Staat gern öfter in die Wahlfreiheit der Familien eingreifen, werden sich Eltern denken und ihr Kind dann doch in die Krippe schicken. Oder auch nicht. Von dem Geld wird ihre Entscheidung nicht abhängen, sondern von ihrem Umfeld, den Jobs, Einkommen und Ansprüchen. Wird einseitig das Fernbleiben aus der Kita belohnt? Mag sein. Derzeit wird einseitig das Hingehen belohnt, wogegen auch keiner klagt. Die Neutralität des Staates hat mit alldem wenig zu tun. Der Staat soll Familien fördern, wie, das steht ihm frei. Er kann für Leonies Krippenbetreuung mehr ausgeben und für Lucas Familienbetreuung weniger, so, wie es auch mit dem Betreuungsgeld der Fall wäre. Oder andersherum. Solche Entscheidungen sind nicht rechtlicher Natur, dafür haben wir die Politik.

„Means end litigation“, so nennt es ein amerikanischer Rechtswissenschaftler, wenn der Prozess zum Selbstzweck wird. Ziel der Klage ist: die Klage. In ihr manifestiert sich kämpferische Bereitschaft. Die Opposition mit ihren privilegierten Mitteln ruft das höchste Gericht an und artikuliert den wahren Wählerwillen, der in den parlamentarischen Mühlen zermahlen wurde. Der Ausgang des Verfahrens ist zweitrangig. Es geht um Symbole.

Und es geht um einen Irrtum. Die Möglichkeiten, Familien mittels finanzieller Anreize nach erwünschten Leitbildern zu formen, werden überschätzt. Keine Frau, die bei Sinnen ist, lässt sich durch das Ehegattensplitting vom Arbeiten abhalten. So wenig, wie sich akademisch gebildete Gutverdiener nach Jahren erfüllter Berufstätigkeit nur dank des kolossalen Elterngelds für ein Kind entscheiden. Deshalb ist auch das Betreuungsgeld kein Rückfall in überkommene Muster. Um Verhalten zu steuern, ist es viel zu wenig. Und selbst wenn es 1000 Euro im Monat wären – es wäre auch nur die Summe, mit der der Staat einen Kita-Platz fördert.

Die Verbürgerlichung im 19. Jahrhundert hat die Vorstellungen stark genormt, wie eine „gute“ Familie auszusehen hat. Die Vorstellungen haben sich verändert, die Normativität besteht fort. Wenn von einer überkommenen Tradition Abschied zu nehmen wäre, dann von dieser.

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