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Hans-Dietrich Genscher (FDP) war deutscher Außenminister. Seine Kolumne im Tagesspiegel erscheint einmal im Monat.

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Gastkommentar: Die Zeit des Postkutschenföderalismus ist vorbei

Das von Schwarz-Rot eingeführte Kooperationsverbot war ein Fehler. Der Bund braucht endlich mehr Kompetenzen bei der Bildung.

Zu den größten Fehlleistungen der schwarz-roten Koalition von 2005 bis 2009 gehört das für das Bildungswesen eingeführte Kooperationsverbot. Im Spannungsverhältnis des Wettbewerb, Kreativität und Machtverteilung fördernden Föderalismus und der gesamtstaatlichen Verantwortung blieb dabei diese gesamtstaatliche Verantwortung auf der Strecke. Das Ergebnis: Deutschland fällt im Wettbewerb mit vergleichbaren Staaten in der Bildungspolitik mehr und mehr zurück.

Besonders deutlich wird das im schulischen Bereich. In einer Zeit weltweiten Wettbewerbs von Staaten und Regionen gewinnt der Stand von Bildung, Wissenschaft und Forschung immer mehr an Bedeutung. Was am Anfang des Bildungsweges versäumt wird, kann später nur schwer nachgeholt werden. Ein dramatisches Signal ist der Anteil der Studienabbrecher in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, der bei über 50 Prozent liegt. Dabei haben wir eine junge Generation, die wissensdurstig und lernbereit ist, die sich aber mit schulischen Verhältnissen konfrontiert sieht, die weit hinter den neuen Möglichkeiten hinterherhinken. Viel zu große Klassen, Lehrermangel, eine mangelhafte Lehrerbildung sind die Stichworte. Berechtigte Klagen gelten auch der Förderung von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Eine moderne Bildungslandschaft braucht nicht weniger, sondern mehr Kooperation.

Das gilt für die horizontale Kooperation auf der Länderebene mit dem Eingeständnis, dass die Kultusministerkonferenz den neuen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Es gilt aber auch für die vertikale Kooperation, besonders für die Kooperation von Bund und Ländern, die durch die Föderalismusreform verboten wurde. Es gilt auch für die Kooperation der Länder mit den Kommunen. Diese haben eine entscheidende Funktion als Schulträger. Sie sind die Hauptinvestoren in die Infrastruktur und sie planen die kommunale Schulentwicklung. Die Erfüllung der Forderung nach einer wirksamen Beteiligung der Kommunen ist deshalb unverzichtbar. Angesichts dieses Befunds, der nicht nur durch den internationalen Vergleich, sondern durch zahlreiche alarmierende Studien unabhängiger Institute bestätigt wird, besteht Handlungsbedarf. Neueste Untersuchungen der Telekom-Stiftung und der Robert- Bosch-Stiftung sind mehr als Alarmzeichen. Sie sind SOS-Rufe der heranwachsenden Generation. Zur Objektivierung der Debatte erscheint es notwendig, einen neuen Bildungsrat zu schaffen. Er sollte von dem Bundespräsidenten berufen werden, ihm sollten außer anerkannten Bildungsexperten herausragende Persönlichkeiten der Gesellschaft angehören.

Es geht in der jetzt notwendigen Debatte um die Zukunft unseres Landes, um seine Entwicklung zu einer Bildungsrepublik in einer neuen, globalen Weltordnung, die mit dem Eintritt in die Informationsgesellschaft und ihren ständig neuen Möglichkeiten neue Chancen der Wissensvermittlung eröffnet, aber damit auch neue Anforderungen an Lehrer, Ausstattung und Einrichtung unserer Schulen stellt. Es geht hier um ein neues Verhältnis von Pädagogen und Schülern, das in Klassenstärken von 20 bis 30 Schülern undenkbar ist.

Alle Debatten über Nachhaltigkeit oder ausreichende Renten in der Zukunft werden fruchtlos bleiben, wenn Deutschland nicht in der Bildungspolitik von der Grundschule bis zur Hochschule und in den Forschungseinrichtungen aufholt und seine Spitzenposition neu einnimmt.

Ein Zusammenwirken der tragenden politischen Kräfte unseres Landes sollte eine solche Reform erleichtern. Mehr noch: ein neuer Anfang in der Bildungspolitik ungeachtet des Bundestagswahlkampfes, aber durch gemeinsames Handeln der demokratischen Parteien könnte einen großen Teil des Vertrauensverlustes überwinden, unter dem die Politik zu leiden hat. Die Zeit des Postkutschenföderalismus in der Bildungspolitik ist vorbei. Die Bundesländer, die den Fortschritt bremsen, müssen erkennen: Gesamtstaatliche Verantwortung durch einen kooperativen Föderalismus ist das Gebot der Stunde.

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