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Passanten gedenken dem Opfer einer Schießerei in Neukölln.

© dpa

Gewalt in Berlin: Die Politik muss Integrationspolitik neu erfinden

Nur nicht nervös machen lassen: Das ist die Haltung der Politik nach mehreren brutalen Verbrechen in Berlin-Neukölln. Doch es ist höchste Zeit, Versäumnisse nachzuholen.

Leute streiten miteinander, einer wird niedergestochen. Ein anderer wird erschossen. Eine Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern zweier arabischer Clans in einem Café an der Sonnenallee entwickelt sich zur Schießerei, bei der wundersamerweise niemand verletzt wird. Seitens der Polizei heißt es dazu lakonisch, für Mitglieder dieser Clans sei es kein Problem, sich mit einer Schusswaffe auszustatten.

Das alles passiert innerhalb weniger Tage. Nichts verbindet die Taten direkt miteinander. Die Chance, von einer Kugel niedergestreckt zu werden, ist für den Normalberliner in Neukölln (oder Wedding oder Moabit) weiterhin eher gering, wenn er nicht in einer Shisha-Bar provoziert oder mit kräftig gebauten jungen Männern im tiefergelegten Mercedes um einen Parkplatz in der zweiten Reihe streitet. Berlin sei im europäischen Vergleich eine der sichersten Großstädte, schrieb Innensenator Frank Henkel am Samstag in dieser Zeitung zum Thema Gewalt in der Stadt. Da hat er recht. Und doch reicht es nicht, diese Art von Gewalt zum Thema einer breiten gesellschaftlichen Debatte machen zu wollen, wie es der Innensenator vorschlägt. Etwas mehr politischer Aufwand ist schon nötig.

Was Messerattacken und Schießereien miteinander verbindet, kann man auf den Begriff verrohte Sitten bringen. Konflikte werden mit Gewalt ausgetragen. Sie werden, auch das verbindet die Geschehnisse der vergangenen Tage, in größere Gruppen hineingetragen, was die Gewaltbereitschaft steigert und die Angelegenheiten noch gefährlicher macht. Da hilft, mit Verlaub, keine breite Debatte. Da stellt sich schon die Frage, woher die Wucht und die Wut kommen, die Leute gruppenweise in Rage geraten lassen.

Was da los war in Neukölln und was so in anderen Teilen Berlins passieren könnte, zeigt, wie weit sich parallelgesellschaftliche Umgangsformen verselbstständigt haben. Bestimmte Probleme verschwinden nicht durch Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechts. Anders gesagt: Sämtliche Täter und Opfer der erwähnten Prügeleien, Messerstechereien oder Schießereien mögen deutsche Pässe haben – das ändert nichts daran, dass ihre Umgangsformen in nahöstlichen Kulturkreisen geprägt worden sind. Breite Diskussionen interessieren sie so wenig wie Mitarbeit im Integrationsbeirat.

Neu ist daran nur eins: dass es bewundernswerte Mitglieder der Communities gibt, die Wut und Trauer trotzen und Friedfertigkeit anmahnen. Von der Politik aber kommt nichts Neues. Dabei muss Integrationspolitik generationsweise neu erfunden werden. Wie hatte Henkel im Wahlkampf gesagt? Er wolle aufräumen, wo Berlin nicht funktioniert. Das verbindet ihn mit einem anderen Verfechter des Aufräumens, mit dem Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky – dem Mann, der vor parallelgesellschaftlichen Entwicklungen gewarnt hat, als man dafür noch die moralische Höchststrafe, Verachtung wegen politischer Unkorrektheit, bekam. Buschkowsky hat sich überall umgesehen, wo man Integration nicht mit Abwarten gleichsetzt. Ein Ideenaustausch zwischen ihm und Henkel und auch der Polizeivizepräsidentin, selbstredend nicht öffentlich, könnte Folgen haben in einer Stadt, in der das Sich-Abwenden von unguten Entwicklungen zur politischen Tradition geworden ist.

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