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Meinung: Kein Kismet

Scharon wird die Wahl gewinnen – die Entspannung in Nahost könnte dennoch vorankommen

Kaum eine Gesellschaft der Welt ist so politisiert wie die israelische. Das ist verständlich. Denn Fragen der Politik sind seit dem Bestehen Israels immer auch Fragen von Leben und Tod, von Krieg und Frieden – da wollen die Wähler keinen Fehler machen. Um so weniger versteht man, dass Israel vor der heutigen Abstimmung einen der lustlosesten Wahlkämpfe seiner Geschichte erlebt hat. Und das in der schlimmsten, längsten und blutigsten Krise, die das Land seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948 durchzustehen hatte.

Noch unverständlicher erscheint vielen, dass trotz der wirtschaftlichen Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und der ausweglosen politischen Lage abermals Ariel Scharon zum Premierminister gewählt wird. Haben die letzten zwei Jahre nicht demonstriert, dass seine Politik der harten Hand alles noch schlimmer macht?

Es ist gerade die Ausweglosigkeit der Lage, die Scharon stark macht. Sie wird von den meisten Israelis den Palästinensern und Jassir Arafats Autonomiebehörde angelastet. Ein anderer hätte es auch nicht besser gemacht, ist oft zu hören. Richtig ist zumindest, dass die palästinensischen Anschläge Scharon immer einen Vorwand geboten haben, der Frage auszuweichen, welche Konzessionen er für einen Frieden machen würde. Darin liegt auch der Grund für die israelische Wahlunlust. Viele glauben, dass sich an der verfahrenen Situation erst etwas ändert, wenn die Palästinenser zumindest einen zeitweiligen Waffenstillstand erklären. Und das hängt nicht von den Wahlen in Israel ab.

Und doch muss nicht alles beim Alten bleiben. Um als Mann der Mitte zu erscheinen, hat sich Scharon auf den Nahostfahrplan von US-Präsident Bush verpflichtet. Der sieht bis 2003 einen Palästinenserstaat mit vorläufigen Grenzen vor und bis 2005 den Abschluss der Verhandlungen über eine endgültige Konfliktlösung. Einen solchen Fahrplan hätte Scharon noch vor Jahren vehement abgelehnt. Jetzt kann man ihn darauf festnageln. Nur dazu müssten die Palästinenser die Grundvoraussetzungen erfüllen – ein Ende des Terrors und eine Reform der Autonomiebehörde, will heißen: ohne Arafat.

Man soll in Nahost nicht viel auf martialische Rhetorik geben. Im Moment trommelt die palästinensische Führung gegen Scharon. Das kann sich ändern. Wenn die Palästinenser nicht erneut eine Chance auf den eigenen Staat vergeben wollen, muss sich das sogar ändern. Denn trotz des Vertrauensverlustes, den der Friedensprozess in der israelischen Bevölkerung erlitten hat, befürwortet eine Mehrheit einen territorialen Kompromiss. Auch die Weltlage könnte das begünstigen.

Schon vor dem ersten Golfkrieg hatten die Amerikaner versprochen, sich intensiver um eine Lösung des Nahostkonflikts zu bemühen. So kam unter großem amerikanischen Druck 1991 die Konferenz von Madrid zu Stande. Ein Tauwetter, dass dann den Oslo-Prozess möglich machte. Die Amerikaner wissen, dass auch ein zweiter Irak-Krieg von einer solchen Friedensinitiative flankiert werden müsste. Ansonsten würde ihr großes Demokratieprojekt für den Nahen Osten schon am Start scheitern – an mangelnder Glaubwürdigkeit. Die Stimme, die am meisten zählt nach dieser Wahl, ist also die von George W. Bush. Er wird dafür sorgen müssen, dass Scharon nicht Vorwände erfindet, seinen Nahostplan zu hintertreiben.

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