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Solidaritätsplakat mit der Liebig 14 in Friedrichshain.

© AFP

Kontrapunkt: Gentrifidingsbums im Nordkiez

Bei der Auseinandersetzung rund um die Liebigstraße 14 in Friedrichshain geht es auch um den Wandel in der Stadt, um Verdrängung und kapitalistische Verwertung von Wohnraum. Carsten Kloth über die "Barackias" von heute.

Etwas gehetzt und erschöpft wirken Sarah und Jacob am Vorabend der Räumung ihres Hauses, der Liebig 14 im nördlichen Friedrichshain. Beide kümmern sich um die Pressearbeit. Alle paar Sekunden klingelt das Handy, als wir bei Kaffee und Selbstgedrehten im Bäcker am sogenannten Dorfplatz sitzen, der Kreuzung zwischen Liebigstraße und Rigaer Straße. Es sind nur noch wenige Stunden bis zu angekündigten Räumung, der letzte gerichtliche Einspruch wurde abgelehnt und hungrige Hauptstadtjournalisten wollen allerlei wissen, Neuig- und Belanglosigkeiten.

Jacob ist kurz angebunden, im Haus gibt es noch viel zu tun. Bereits am Morgen gab es eine Pressekonferenz, in der die Hausbewohner ihre Sicht der Dinge dargelegt haben, warum sie ihr Zuhause nicht verlassen wollen. Draußen schleichen Fotografen ums Haus. Kurz zuvor kam eine Fahrrad-Demo vorbei, die ihre Solidarität bekundete. Und der 21-Jährige gibt sich kämpferisch. Noch immer hoffen sie, im Haus bleiben zu können. Doch eigentlich wissen beide, dass sie gegen das aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengekratzte Großaufgebot der Polizei nicht wirklich etwas ausrichten können. Die junge Britin Sarah wohnt seit eineinhalb Jahren in der Liebig – sie hat seit Tagen nicht richtig geschlafen. Dass sie nervös sei, gibt sie zu. So eine Situation habe sie schließlich noch nie erlebt.

Am nächsten Morgen rücken Polizei und Gerichtsvollzieher an. Die Bewohner der Liebig 14 haben sich verbarrikadiert, können die Räumung jedoch nur verzögern, nicht verhindern. Dabei symbolisiert das gewaltsame Ende des alternativen Wohnprojekts auch einen Verdrängungsprozess aus der Innenstadt, dem immer mehr Berliner ausgesetzt sind und mit dem umständlichen Begriff Gentrifizierung belegt ist. Doch was ist dieses Gentrifidingsbums eigentlich?

Freiräume für die Einen - Betongold für die Anderen

„Wenn draußen nur noch das Raspeln der Rollkoffer auf dem Pflaster zu hören ist; wenn der türkische Elektrohöker einem Flagshipstore weicht und selbst nachts um halb zwei noch Leute mit aufgeklapptem Macbook in der Bar sitzen: dann ist es allerhöchste Zeit, sich Gedanken zum Thema Gentrifizierung zu machen“, schreibt der Journalist und Buchautor Christoph Twickel. So mancher Bewohner von Prenzlauer Berg mag sich hier an seine Nachbarschaft erinnert fühlen. Der Bezirk, in dem es nach der Wende ebenfalls viele Hausbesetzungen gab, gilt inzwischen als Paradebeispiel für die Gentrifizierung: Die Häuser wurden umfassend saniert und die Bewohnerschaft umgekrempelt. Heute beschreiben Begriffe wie „Bionade-Biedermeier“, „Latte-Macchiato Mütter“ oder „Porno-Hippie-Schwaben“ große Teile der neuen Bevölkerung im ehemaligen Arbeiterbezirk mehr oder weniger treffend.

Der Stadtsoziologe Andrej Holm warnt in seinen Schriften allerdings davor, sich an neuen Kneipen und Läden oder vereinfachten Feindbildern von Yuppies, Schwaben oder Touristen abzuarbeiten. Für ihn stehen die Verdrängung sozial benachteiligter Gruppen und wohnungspolitische Debatten im Vordergrund der Auseinandersetzung. Gentrifizierung beschreibt er als Prozess: Oft sind es zunächst Künstler, Studenten und Alternativszene, die in Gebiete mit günstigen Mieten ziehen, selbstorganisierte Szenekneipen, Veranstaltungsräume und Buchläden eröffnen und eine subkulturelle Szene etablieren. Diese „Pioniere“ verändern den Ruf und das Image eines Viertels, was eine zahlungskräftigere Mittelschicht anzieht. Das macht das Gebiet auch für Investoren interessant – sie kaufen Häuser um sie zu sanieren, oder lassen sie zuerst verfallen um die alten Mieter los zu werden.

Zettel über ein aufgeschnapptes Gespräch am Lausitzer Platz in Kreuzberg.

© Carsten Kloth

Die Eigentümerwechsel führen zu einem Aufwertungsdruck für die betroffenen Gebiete, da die neuen Eigentümer ihre Investitionen über steigende Mieten oder Wohnungsverkäufe wieder einholen wollen. Die Wohnkosten der modernisierten Häuser sind für die ursprüngliche Bewohnerschaft schließlich nicht mehr bezahlbar: sie müssen wegziehen. Kommerzielle Gastronomie und Unterhaltungsangebote ersetzen schließlich die Szeneläden, von Reiseveranstaltern organisierte Trinktouren überlagern die Kreativität des Aufbruchs. Und der Druck steigt: Die Finanzkrise, die ironischerweise durch eine Immobilienkrise in den USA ausgelöst wurde, führt in Deutschland zu einer gesteigerten Nachfrage nach Wohnimmobilien als vermeintlich sicheres „Betongold“.

In der Diskussion um die Gentrifizierung werden Verdrängungsprozesse oft geleugnet, da sie schwer messbar sind, oder die positive Effekte eines Aufwertungsprozesses werden betont: Argumentiert wird, dass der Zuzug von Besserverdienenden letztlich allen Bewohnern des Gebietes zugute käme. Geglaubt wird an den so genannten Trickle-Down-Effekt, den man am bildlich mit einem Kuchen der Wohlhabenden vergleichen kann, von dem ein paar Krümel für die Armen abfallen. Demnach kauft der Car-Loft-Bewohner also seinen Dom Pérignon beim türkischen Spätkauf. Doch selbst Mainstream-Ökonomen stellen nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte die These, dass Wohlstand auch in die unteren Gesellschaftsschichten durchsickert, inzwischen infrage. Forscher wie Tim Butler verweisen zudem auf die Abschottung der Aufwertungsmilieus im Bereich der schulischen Bildung und anderer Nachbarschaftssituationen: Die neuen und die alten Bewohner kommen häufig nicht zueinander, ihre Kinder gehen nicht in dieselben Schulen.

Den Pionieren bleibt nur der Protest

Im Kern ist Gentrifizierung also eine immobilienwirtschaftliche Gewinnstrategie, bei der die Subkultur-Szene keineswegs vor unfreiwilliger Vereinnahmung gefeit ist. In Wohnungsanzeigen wird die Gegend rund um den Friedrichshainer Nordkiez mit Liebigstraße und Rigaer Straße entsprechend beworben: „Mitten in der Szene“, „angesagter Kiez“, oder „erlebnisreiches Umfeld“ heißt es dann. So gibt es durchaus Beispiele für eine Standortpolitik, bei der sogar die Hausbesetzerszene als „kreative Brutstätte“ zur Aufwertung von Stadtgebieten genutzt wird, etwa in Amsterdam oder im Hamburger Gängeviertel. Stehen somit auch die auf der Täterseite, die die betreffenden Stadtteile erst wachgeküsst haben? Dies fragen sich nicht wenige aus den Wohnprojekten. Fest steht: Ohne Unterschicht ist eine Boheme nicht zu haben. Ohne Billig-Bier-Spätkauf, Hartz-IV-Eckkneipe und Schäferhund-Punks kein wirklich alternatives Umfeld. Künstliche, nicht-gewachsene Kreativ-Centren funktionieren nicht. Den Pionieren bleibt als Antwort auf den Gentrifizierungs-Druck nur der Protest gegen die rein ökonomische Verwertung der Stadt, der Einsatz für eine sozialere Stadtentwicklung in der Nachbarschaft oder der Wegzug in ein Viertel, in dem das Spiel von vorne beginnt (Neukölln?).

Die Verdrängung armer Bevölkerungsgruppen oder alternativer Wohnformen ist nicht neu. Im Jahr 1872 wurden mehrere Hüttendörfer in Berlin geräumt, die unter dem Namen „Barackia“ bekannt waren. In diesen aus akuter Wohnungsnot hervorgegangenen Siedlungen – unter anderem auf dem Tempelhofer Feld und im Friedrichshain – herrschte eine gewisse selbstverwaltende Ordnung. Auch gab es damals schon Krawalle gegen Vermieterwillkür, wie beispielsweise in der Friedrichshainer Blumenstraße, als ein armer Handwerker aus seiner Wohnung geworfen wurde.
Ein Mythos ist längst die Hausbesetzerbewegung Anfang der 1980er Jahre in Westberlin. Sie trug maßgeblich zu einer Kehrtwende der Sanierungspolitik bei – weg von radikaler Flächensanierung, hin zu „behutsamer Stadterneuerung“. Nicht wenige hoffen nun, dass auch die Ereignisse rund um die Liebig 14 zu einem Umdenken weg von der Dominanz ökonomischer Prinzipien beim existenziellen Thema Wohnen und hin zu aktiver sozialer Wohnungspolitik führen.

Sarah und Jacob haben ihr Zuhause verloren. Unter den neun Personen, die bis zuletzt im Haus verweilten, waren sie nicht. Obdachlosigkeit haben die ehemaligen Hausbewohner nicht zu befürchten. Die Welle der Solidarität mit den Liebig-Bewohnern umfasst auch zahlreiche Zimmerangebote. Dennoch wollen sie weiter nach einem geeigneten Objekt für ihre bestehende Gemeinschaft suchen. Vom Berliner Senat fordern sie eine andere Wohnungspolitik und die Anerkennung alternativer Hausprojekte. Dazu wollen sie weiter protestieren und weiter laut sein, erklärt Jacob. Viele ehemalige Bewohner der Liebig 14 sind derweil in anderen Häusern untergekommen, mitunter in direkter Nachbarschaft in der Rigaer Straße – in einem Gebäude mit einer ähnlichen Geschichte wie die Liebig 14... und den selben Eigentümern.

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