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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r.), unterhält sich mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, M.).

© picture alliance/dpa

Miserable Wirtschaftszahlen: Scholz muss endlich den Ernst der Lage schildern – statt sie schönzureden

Die Zeiten sind ernst, das zeigt nicht erst der Jahreswirtschaftsbericht. Sie bedürfen einer besonderen Führungsstärke, die Kanzler Scholz aber noch immer vermissen lässt.

Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Schwarz auf Weiß zeigt der Jahreswirtschaftsbericht, wie miserabel es um den Standort Deutschland steht. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt stagniert. Der Bericht unterstreicht die realistisch düsteren Analysen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Dabei ist es noch kein Jahr her, dass der Bundeskanzler ein „Wirtschaftswunder“ und „Wachstumsraten wie zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren“ beschwor. Damals wuchs die westdeutsche Wirtschaft im Schnitt um gut vier bis acht Prozent pro Jahr. Scholz’ Prognose war schon im März 2023 kühn, heute erscheint sie absurd.

Deutschland steht heute wirtschaftlich schlechter da als zu Beginn der Ampel-Koalition Ende 2021. Auch außen- und sicherheitspolitisch ist die Lage prekärer als zum Antritt der Regierung Scholz/Habeck. Gewiss, für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist diese Regierung nicht verantwortlich. Sie hat weitaus mehr zu schultern als viele Bundesregierungen vor ihr.

Wo bleibt die Führung?

Die Zeiten sind ernst. Sie bedürfen einer besonderen Führungsstärke. Die aber lässt der Kanzler zwei Jahre nach seiner „Zeitenwende“-Rede noch immer vermissen. Aus fast jedem Wort, das Scholz Richtung Moskau findet, spricht eine Angst vor Putin. Putin kennt die Deutschen und spielt trefflich mit dieser Angst.

Die Ampel ist sich einig, dass sie viel mehr wird tun müssen, um die Wirtschaft anzukurbeln, die Verteidigungskraft zu stärken und die Ukraine zu unterstützen. „Ohne Sicherheit ist alles nichts“, sagte Scholz vor wenigen Tagen. Stimmt! Dieser Satz spricht der Verteidigung Deutschlands und Europas zu Recht oberste Priorität zu. Scholz aber schweigt zur Frage, welche Aufgaben und Ausgaben des Staates im Gegenzug weniger prioritär sind.

In der Pandemie hat Deutschland Schulden aufgenommen, etwa um die freie Theaterszene zu retten. Und in der Verteidigung gegen Putin verbietet sich Deutschland diesen Weg? 

Tagesspiegel-Autor Daniel Friedrich Sturm

Die Verteidigung der Ukraine ist eine Herkulesaufgabe, vermutlich für viele weitere Jahre. Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht die Armee seines Landes in einer „extrem schwierigen“ Lage. Während sich die USA aus der Unterstützung der Ukraine zurückziehen und Deutschlands angeblich engster Partner Frankreich vor allem warme Worte liefert, wird Deutschland künftig noch viel mehr zu leisten haben. Scholz aber verzichtet darauf, seine Landsleute darauf einzustimmen. Das passt zu seiner Wahlkampf-Masche, die Menschen mit den Widrigkeiten der Welt nicht zu behelligen.

Es werden alle Opfer bringen müssen

Diese Regierung muss den Bürgerinnen und Bürgern endlich den Ernst der Lage schildern, statt sie schönzureden: Die Waffenhilfe für die Ukraine wird teuer. Kiew aber nicht zu helfen, würde noch teurer – und bitterer. Die Ampel-Koalition wird für diese Kraftanstrengung allen etwas abverlangen müssen und sich selbst erst recht. Es wäre höchste Zeit für eine Rede des Kanzlers an die Nation, die den Ernst der Lage benennt und einen Weg weist.

Ein Verzicht auf die Rente mit 63 und auf das Mittelschichts-Programm namens Elterngeld wären wirksame Einsparungen. Sie wären nicht das Ende des Sozialstaates Deutschland. Gewiss, niemand will Menschen, die ein Leben lang hart geackert haben, das Leben erschweren. Aber ob die Rente mit 63 (Kosten pro Monat: 1,3 Milliarden Euro) noch in die Zeit passt – diese Frage muss sich die Fortschrittspartei SPD schon stellen, will sie sich nicht mit der Verwaltung des Status-quo begnügen. Die Deutschen werden wieder mehr und länger arbeiten.

Grüne und FDP werden ihrer Klientel ebenso etwas abverlangen müssen. Einschnitte bei der Entwicklungshilfe und ein Zusatzbeitrag von Vermögenden und Bestverdienern dürfen kein Tabu sein. Da Politik selten ohne Symbole auskommt: Mit dem Verzicht auf den Kanzleramts-Neubau (800 Millionen Euro) und reduzierten Ministerbezügen kann Scholz selbst mit gutem Beispiel vorangehen.

Und auch das gehört zur bitteren Wahrheit: Die Verteidigung der Ukraine und der äußeren Freiheit Deutschlands wird, bei all den Einsparungen, auf Dauer nicht ohne neue Schulden zu stemmen sein. In der Pandemie hat Deutschland Schulden aufgenommen, etwa um die freie Theaterszene zu retten. Und in der Verteidigung gegen Putin verbietet sich Deutschland diesen Weg? Das wäre ja absurd.

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