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Meinung: Positionen: Deutsch-französischer Schulterschluss

Gerhard Schröder wird noch in diesem Monat mit dem französischen Staatspräsidenten zusammenkommen. Dabei muss es um die Zukunft der Europäischen Union gehen.

Gerhard Schröder wird noch in diesem Monat mit dem französischen Staatspräsidenten zusammenkommen. Dabei muss es um die Zukunft der Europäischen Union gehen. Der deutsch-französische Motor hat vor Nizza gestottert und offensichtlich in Nizza auch. Es ist müßig, über Verantwortlichkeiten zu streiten. Wichtig ist ein neuer deutsch-französischer Schulterschluss. Das Ergebnis von Nizza reicht gerade aus, um die Beitrittsverhandlungen mit den beitrittswilligen und -fähigen Ländern zu Ende zu führen. Und das so zügig wie möglich. Hier kann man auf das Engagement der neuen schwedischen EU-Präsidentschaft voll vertrauen.

Dass in Nizza eine Konferenz über Zuständigkeiten - zwischen Union, Mitgliedstaaten und Regionen - für 2004 in Aussicht genommen wurde, mag vor allem die Herzen einiger deutscher Ministerpräsidenten höher schlagen lassen. Verbesserung der Entscheidungsprozesse und Verstärkung der Beteiligung des Parlaments bleiben dringlich.

Hier ist eine neue Anstrengung erforderlich, und zwar jetzt und nicht erst nach der Zuständigkeitskonferenz von 2004. Paris und Berlin können Initiative und Elan zurückgewinnen, wenn sie jetzt einen Sondergipfel für das Jahr 2002 verlangen, in dem über Mehrheitsentscheidungen und Parlamentsbeteiligung entschieden wird. Dieser Gipfel und seine Vorbereitung können schon auf dem Europäischen Rat in Göteborg im ersten Halbjahr 2001 festgelegt werden. Dann könnte über diese beiden zentralen Fragen noch vor der Aufnahme neuer Mitglieder beschlossen werden. Die Beitrittsverzögerer würden ein wichtiges Argument verlieren.

Die Aussicht auf einen solchen Sondergipfel wird die Zustimmung in den nationalen Parlamenten und im Europäischen Parlament verbreitern. Es wird die Spreu vom Weizen scheiden, das heißt: Als Gegner der Nizza-Ratifizierung werden nur diejenigen übrig bleiben, denen vor allem die Aufnahme neuer Mitglieder nicht passt.

Deutschland und Frankreich müssen zu neuer Gemeinsamkeit und Handlungsfähigkeit finden, nicht nur im eigenen Interesse, sondern für die Zukunft der Europäischen Union. Die Union ist nach innen und außen gefordert. Der Euro-Raum verlangt klare ordnungspolitische Entscheidungen, soll das ehrgeizige Ziel einer dem Dollar ebenbürtigen Weltreservewährung verwirklicht werden. Der Wirtschaftsraum mit dem größten Sozialprodukt und dem größten Anteil am Welthandel kann darauf nicht verzichten.

Gleichzeitig muss die EU bei der Schaffung einer neuen, auf Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit gegründeten, multipolaren Weltordnung im Zeitalter der Globalisierung ihre Verantwortung wahrnehmen. Sie kann dabei ihre einmaligen Erfahrungen im kooperativen multilateralen Denken und Handeln einbringen. Der neuen amerikanischen Administration wird eine handlungsfähige EU allemal lieber sein, die anderen Teile der Welt sehen mit großen Erwartungen auf die EU.

Die außenpolitische Enthaltsamkeit der EU wird nicht mehr lange andauern können. Die aktive Rolle der Europäischen Gemeinschaft in der Zeit der Ost-West-Entspannung, bei der Überwindung der Apartheid und bei der Entwicklung zu einer realistischeren Betrachtung des Nah-Ost-Konflikts hat Maßstäbe gesetzt. Von einer Europäischen Union muss noch mehr erwartet werden. Das gilt für die Kooperation mit Russland und den anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion genauso wie für die Mitwirkung bei der Konfliktlösung im nahöstlichen Raum und bei der Hilfe für Afrika.

Der Besuch des Bundeskanzlers in Moskau war richtig und nützlich. Russlands Verhältnis zu Deutschland und zur EU hat zentrale Bedeutung für die gesamteuropäische Stabilität. Die Bekräftigung der russischen Verpflichtung zur Begleichung der Altschulden ist als vertrauensbildende Maßnahme ein substanzielles Ergebnis.

Das Engagement für einen Sondergipfel 2002, verbunden mit den Namen Schröder und Chirac, wäre ein guter europäischer Jahresbeginn. Die Vollendung der europäischen Einigung und eine gerechte Weltordnung erfordern Verantwortung und Staatskunst.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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