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Meinung: Rückkehrer ins Recht

Die Amerikaner haben Gefangene aus Guantanamo entlassen. Was soll mit dem Rest geschehen?

Sie kommen aus einem Niemandsland zurück, die fünf britischen Staatsbürger, die gerade aus dem Gefangenenlager in Guantanamo entlassen wurden. Aus einem weißen Flecken auf der Landkarte des Rechts, in dem sie – wie aus der Zeit gefallen – mehr als zwei Jahre verbringen mussten. Dass die britische Regierung die fünf gleich entlassen hat, verdeutlicht ein wenig, was für ein Graben sich in der Guantanamo-Frage selbst zwischen den engen Verbündeten USA und Großbritannien aufgetan hat.

Die Willkür, die auf Guantanamo herrscht, zeigt sich auch bei den jetzt entlassenen Briten. Die wurden von den USA erst als Sicherheitsrisiko bezeichnet, jetzt aber als nicht gefährlich eingestuft und entlassen – wie mehr als 80 Gefangene vor ihnen. Überprüfen lassen sich solche Gefahrenanalysen nicht. Deshalb ist Guantanamo zu einem Symbol dafür geworden, wie eine auf Recht und Gesetz gegründete Demokratie in einer Krise die eigenen Grundsätze außer Acht lässt. Bis heute dürfen die noch etwa 600 Gefangenen weder Anwälte noch Angehörige sehen. Sie sollen irgendwann vor ein Militärgericht kommen – kaum die richtigen Voraussetzungen für einen fairen Prozess. Kritiker sagen, die Inhaftierten müssten entlassen werden, wenn man ihnen keine Kriegsverbrechen nachweisen könne. Als Kriegsgefangene genössen sie den Schutz der Genfer Konvention, unter anderem davor, verhört zu werden. Alle, die nicht unter diese Kategorie fielen, seien vor einem ordentlichen Gericht anzuklagen.

Solche Kritik ist berechtigt, springt aber ihrerseits zu kurz. Denn es kann kaum Zweifel daran geben, dass das internationale Recht schlicht nicht die richtigen Kategorien bereithält, um dem Phänomen Al Qaida gerecht zu werden. Es handelt sich dabei ja weder um eine staatliche oder vorstaatliche Institution, auf die das Kriegsrecht anwendbar wäre, noch um normale Kriminalität, die allein mit dem Strafrecht bekämpft werden könnte. Zumal es sehr schwer fallen dürfte, jedem Terroristen individuelle Schuld nachzuweisen. Was soll man also tun, wenn man gefährliche Terroristen nicht einfach laufen lassen will?

Es gibt viele Länder auf der Erde, die konstanter Terrorgefahr ausgesetzt sind und mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie die USA. In der entwickelten Welt waren etwa Großbritannien, Israel und – wie jetzt wieder grausam deutlich wurde – Spanien gezwungen, spezielle Regelungen für den Umgang mit festgenommenen Terroristen zu finden. Selbst wenn diese Regeln immer wieder von Menschenrechtsorganisationen kritisiert und zuweilen von den Regierungen tatsächlich missbraucht wurden, so markieren sie doch so etwas wie die zivilisatorischen Mindeststandards bei der Bekämpfung des Terrorismus. Etwa, dass Gefangene nur wenige Tage festgehalten werden dürfen, ohne einen Anwalt zu sehen. Innerhalb von 5 (Spanien) oder maximal 7 Tagen (Großbritannien) oder so schnell wie möglich (Israel) müssen sie auch einem Haftrichter vorgeführt werden. Selbst in Israel, das im Westen wohl die problematischsten Anti-Terrorgesetze hat, muss ein Gefangener, der ohne Anklage festgehalten wird, alle sechs Monate einen Richter sehen, der über eine Haftverlängerung entscheidet.

Dies alles gibt es auf Guantanamo nicht. Das zeigt, wie weit die USA sich vom Konsens demokratischer Staaten entfernt haben. Es mag sein, dass die USA Recht haben, wenn sie einen neuen Status für international agierende Terroristen fordern. Das kann aber nicht bedeuten, dass jene „enemy combatants“ auf jegliche Rechte verzichten müssen.

Bisher hat die US-Regierung sich geweigert, ihre Position von US-Gerichten überprüfen zu lassen. Das Argument: Guantanamo sei kein amerikanisches Hoheitsgebiet. In zwei Monaten will sich der Supreme Court in Washington dieses Problems dennoch annehmen. Dann wird sich erweisen, ob die amerikanische Demokratie zur Selbstkorrektur fähig ist – auch und gerade in Krisenzeiten.

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