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"Fortschritt wieder Richtung geben": SPD will mehr Umverteilung wagen

Nach einem Jahr des Wundenleckens stellt die SPD sich neu auf. Die Partei will endlich Politik für die machen, die sich vom Fortschritt abgehängt fühlen.

Den Versuch jedenfalls unternimmt ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel. Das ganze Jahr 2011 soll sich die SPD Zeit dafür nehmen, dem „Fortschritt wieder Richtung“ zu geben. Wenn im Dezember Parteitag ist, soll eine SPD sichtbar sein, die das Zentrum der politischen Alternative zu Schwarz-Gelb darstellt. Ziemlich ambitioniert.

Bis dahin sind sieben Landtagswahlen zu bestehen, die Höhen (Hamburg), Tiefen (Baden-Württemberg) und eine harte Nagelprobe auf den Führungsanspruch zwischen Rot und Grün (Berlin) versprechen. Wer in einem solchen Jahr die Erneuerung, mithin auch Streit wagt, riskiert viel. Allerdings ist es allerhöchste Zeit für eine Selbstfindung, wenn die SPD den trübsinnigen Niedergang der europäischen Linken nicht vollenden will.

Mit kläglichen 23 Prozent hat sie 2009 ihren ersten Anlauf auf politische Gestaltung der globalisierten Marktwirtschaft in Deutschland abgeschlossen. Ob und wie zukunftsfähig die rot-grünen Reformen den Sozialstaat gemacht haben, wird man mit der Zeit klarer beurteilen können. Wie sehr sie die SPD zerrieben haben, ist unübersehbar.

Diese 23 Prozent sprechen Klartext. Die SPD kann sich ihren Platz in der Gesellschaft nicht beliebig aussuchen. Sie verliert ihre Integrationskraft als Volkspartei, wenn sie ihr Gerechtigkeitsversprechen nicht denen gegenüber glaubhaft machen kann, die man früher gemeinhin die „kleinen Leute“ genannt hat. Dass es einen solchen Mainstream der Bevölkerung nicht mehr gibt, weil die alten SPD-Milieus sich aufgelöst haben, ist ein Irrtum der Modernisierer-SPD, wie es ein Irrtum der linken Funktionärs-SPD ist, man könne Mehrheiten binden durch bloße Sozialpolitik.

Die SPD macht sich überflüssig, wenn sie sich nicht zuerst zuständig fühlt für die Menschen, die sich für ihren Platz ins Zeug legen müssen, ob mit oder ohne Arbeit, Bildung, Familie, Eigentum. Der „Fortschritt“ soll die Neupositionierung tragen. Unmittelbare Zündkraft geht von diesem Begriff nicht aus. Nur die „Gerechtigkeit“ ist in der Geschichte der SPD stärker genutzt und abgenutzt worden. In beiden Begriffen steckt aber gerade deshalb eine interessante Ambivalenz. Treffend analysiert der SPD-Vorsitzende, dass eine wachsende Zahl von Menschen den ökonomischen, technischen, wissenschaftlichen Fortschritt nicht mehr mit ihrem eigenen verbindet, dass Gewinne und Verluste der Entwicklungen ungerecht verteilt sind. Weil die Ungleichheit wächst, sollte die SPD keine Angst haben vor dem Umverteilungsvorwurf.

Insofern treffen die alten Begriffe den Nerv der Zeit. Handfeste Politik lässt sich heute daraus viel schwerer machen. Der Erfolg der Aufsteigerpartei SPD lebte vom Aufstieg der demokratischen Marktwirtschaften. Ihr Abstieg hat viele in resignative Passivität und zum Nichtwählen getrieben, die in der SPD einmal ihre Repräsentanz gesehen haben. Der Ehrgeiz, diese Menschen politisch wieder zu interessieren, ist jeden Versuch wert.

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