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Auf roten Socken ist der Papst nicht unterwegs, wohl aber mit schicken roten Schlappen.

© dapd

Vernunft, Religion, Ethik: Papst und Linke – geht da was?

Zwischen dem Papst und seinen Gegnern besteht eine Kluft, die so groß ist wie die zwischen Vernunft und Religion. Letztere versucht das Kirchenoberhaupt zu überbrücken. Kann dies seine Kritiker versöhnen? Wo gibt es Anknüpfungspunkte?

Für viele Linke und linksliberal denkende Menschen ist klar: Das Weltbild von Joseph Aloisius Ratzinger ist ein reaktionäres, seine Haltung ist rückwärtsgewandt. Er steht für eine menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik und an der Spitze eines Systems, das seit Jahrhunderten die Herrschaft von Menschen über Menschen legitimiert und sich in direkter Gegnerschaft zu Emanzipation und befreiter Gesellschaft befindet. Der Umgang mit den Piusbrüdern, die regelmäßig mit rechtsradikalen und antisemitischen Äußerungen hervortreten, zeigt: Dieser Papst steht nicht für Aufklärung und Liberalismus, sondern für Antimodernismus und Konservatismus. Der Umgang des Papstes mit den Missbrauchsfällen in seiner Kirche ist eine Schande. Es gibt somit gute Gründe, auf die religiöse Neutralität des Staates zu bestehen und gegen die Botschaften dieses Papstes zu demonstrieren. Doch es gibt auch einige Punkte, in denen sich katholische Kirche und Linke etwas näher sind. Welche sind das?

Wer sich auf die Suche nach linken Positionen in der katholischen Kirche begibt, stößt zwangsläufig auf die katholische Soziallehre, in dem neben dem Subsidaritätsprinzip auch  Prinzipien wie Solidarität, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl ihren Platz haben. Die neuere Soziallehre der katholischen Kirche entstand 1891 mit der Enzyklika „Rerum Novarum“ (Über die neuen Dinge) von „Arbeiterpapst“ Leo XIII. als Antwort auf die negativen Auswirkungen der industriellen Revolution. In dieser Tradition steht auch die Enzyklika „Caritas in veritate“ (Liebe in der Wahrheit), die 2009 vom heutigen Papst Benedikt XVI. vorgelegt wurde. Darin kritisierte er unter dem Eindruck der Finanzkrise den globalisierten Raubtierkapitalismus und forderte neue Regeln und Strukturen für das internationale Wirtschaftssystem. Die Wirtschaft brauche eine Ethik, die den Menschen und sein Wohl in den Mittelpunkt rückt, so die Botschaft. Den Glauben an die „unsichtbare Hand“ teilt die Kirche also nicht – sie sieht die Notwendigkeit politischer Autoritäten. Sogar ein klares Bekenntnis zur positiven Bedeutung der Gewerkschaften findet sich in der Schrift.

Es bleibt allerdings die Frage, warum hierzulande die rund 1,3 Millionen Beschäftigte in kirchlichen Sozialeinrichtungen keine Tarifverträge abschließen dürfen und kein Streikrecht haben. Auch das Finanzgebaren der Vatikanbank lässt stutzen: Geschichten von Mafia-Finanzen und Geldwäschegeschäften begleiten das Institut seit geraumer Zeit. Glaubwürdiger aus Sicht der Linken sind da schon die in Südamerika tätigen Befreiungstheologen: Sie verstehen sich als „Stimme der Armen“ und predigen gegen Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung. Doch das geht Ratzinger zu weit: Er sieht in ihnen Marxisten im christlichen Gewand, deren sozialistisches Gesellschaftsmodell nicht mit der Schöpfungsordnung vereinbar sei.

Während die Kluft zwischen katholischer Kirche und klassischer Linke nach wie vor riesengroß erscheint, wird sie zwischen Papst und Ökologiebewegung allmählich kleiner. Schon Johannes Paul II. traf sich 2003 mit Joschka Fischer, um mit ihm über eine gemeinsame Position zu sprechen: die gegen den Irakkrieg. Überraschender ist nun der Schritt, den sein Nachfolger auf das neue grüne Bürgertum zugeht:  „Ich würde sagen, dass das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren zwar wohl nicht Fenster aufgerissen hat, aber ein Schrei nach frischer Luft gewesen ist und bleibt, den man nicht überhören darf und nicht beiseite schieben kann, weil man zu viel Irrationales darin findet.“, sagte der Ratzinger im Bundestag, freilich ohne parteipolitisch werden zu wollen. Eine Würdigung der Ökologiebewegung war dies dennoch.

Joseph Ratzinger hielt im Bundestag eine sehr philosophische Rede – weit entfernt vom Niveau der ihn so gerne vereinnahmenden Bildzeitung. Klar ist: Er ist ein Konservativer, aber kein Kleingeist. Als Kurienkardinal debattierte er 2004 mit dem linksliberalen Staatsphilosophen Jürgen Habermas über Vernunft und Religion als Grundlagen unserer säkularen, westlichen Gesellschaft. In dieser Debatte finden sie die Positionen des Papstes, wie er sie nun auch im Bundestag vertreten hat. Während Habermas auf die praktische Vernunft des säkularen Denkens setzt, betont Ratzinger auch religiöse Motivationen als Grundlage des demokratischen Rechtsstaates. Vereinfacht gesagt: Es geht um die gegenseitige Anerkennung und die wechselseitige Kontrolle von Religion und Vernunft. Aus der Sicht von Ratzinger reicht beispielsweise das einfache Mehrheitsprinzip zur Legitimation des Rechts nicht aus, da auch Mehrheiten blind und ungerecht sein können. Als Beispiel nennt er die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus. Wenn die Vernunft aus dem Ruder läuft, der Mensch Atombomben baut oder Menschen im Reagenzglas produziert, dann könne die Religion korrigierend eingreifen. Auf der anderen Seite braucht es die Vernunft zur Kontrolle von Religion, um beispielsweise fanatische Absolutismen zu verhindern.

Der Debatte vorangegangen war die Dankesrede von Jürgen Habermas zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. In dieser hatte der eigentlich „religiös unmusikalische“ Philosoph religiöse Überzeugungen als eine Herausforderung anerkannt, mit denen sich die Philosophie auseinanderzusetzen habe. Mehr noch: „Eine liberale politische Kultur kann sogar von den säkularisierten Bürgern erwarten, dass sie sich an Anstrengungen beteiligen, relevante Beiträge aus der religiösen in eine öffentliche zugängliche Sprache zu übersetzen“, so Habermas.

Vernunft und religiöser Glaube brauchen sich gegenseitig – dieser von beiden Seiten getragene Konsens ist zugleich die Einsicht in das Scheitern der beiden Antipoden. Weder die wissenschaftliche Vernunft noch die Religion sind im Besitz absoluter Wahrheiten in Fragen der Moral und in Hinblick auf unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung. Die Rede des Papstes im Bundestag war ein Dialogangebot an die säkulare Welt vor dem Hintergrund dieser Einsichten – und auch ein Schritt zu auf seine (linken) Kritiker. Indes: Wie viel Vernunft zeigt sich im Handeln der katholischen Kirche? Ist sie bereit, die Menschenwürde auch in Fragen ihrer Sexualmoral anzuerkennen, Missbrauchsfälle zu ahnden, Holocaustleugner abzuweisen und ihre unheilvolle Rolle in der Geschichte der Aufklärung zuzugeben? Der Papst möchte die Kluft zwischen Religion und Vernunft überbrücken. Zwischen der katholischen Kirche und der Vernunft besteht sie jedoch weiterhin und damit auch zwischen ihr und ihren Gegnern.

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