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Bundeskanzler Olaf Scholz, Nancy Faeser und Robert Habeck bei einer Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt.

© dpa/Kay Nietfeld

Vor dem Treffen der EU-Innenminister: Die Asylpolitik der Bundesregierung ist vor allem zynisch

Die Bundesregierung trägt auf EU-Ebene eine Verschärfung des Asylrechts mit, gegen die Überzeugung einzelner Mitglieder. Sie hat die Öffentlichkeit nicht an dieser Kehrtwende teilhaben lassen. Ein Fehler. 

Ein Kommentar von Valerie Höhne

Es ist erst wenige Jahre her, da sagte Annalena Baerbock, damals Grünen-Chefin, die europäische Seenotrettung sei „der erste Punkt“, den man „aufbauen“ müsse. Nun trägt sie, zähneknirschend zwar, aber dennoch, eine massive Asylrechtsverschärfung an den Außengrenzen mit. Sie hat die Öffentlichkeit an dieser gedanklichen Wende sehr spät teilhaben lassen. Das war ein Fehler.

Künftig sollen Grenzverfahren stattfinden, davon sind Familien mit Kindern nicht ausgenommen. Auch ohne Gerichtsentscheidung sollen sie in ihre Heimatländer abgeschoben werden können, Menschen, die aus Syrien oder Afghanistan vor Gewalt fliehen, könnten in die Türkei zurückgeschoben werden können, weil sie als sicherer Herkunftsstaat eingruppiert werden könnte.

Die Bundesregierung wird das aller Voraussicht nach mittragen, weil es eine historische Chance auf eine gesamteuropäische Reform des Asylsystems gibt und weil die deutschen Kommunen mit der Zahl der Ankommenden überfordert sind. Für Baerbock und einige andere geschieht das gegen ihre Überzeugungen.

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Im politischen Betrieb gilt in so einem Fall meist: Wenn man etwas gegen seine Ansichten macht, lässt man es sich teuer bezahlen. Doch Baerbock hat die deutsche Öffentlichkeit gar nicht am Prozess teilhaben lassen. Im Hinterzimmer haben die Ampel-Partner ausgehandelt, dass sie den Vorschlägen der EU-Kommission weitgehend zustimmen werden.

Hätte sie ein größeres Verhandlungsgewicht haben wollen, hätte sie die Öffentlichkeit teilhaben lassen können. Sie wusste schließlich, dass die Grünen-Basis eine solche Kehrtwende nicht widerspruchslos hinnehmen würde. Hat sie aber nicht, weil sie es offenbar nicht wollte.

Die Europäische Union will ein Ort sein, der Menschenrechte achten will, so steht es in der Charta der Grundrechte. Doch besonders auf dem Mittelmeer werden Menschenrechte buchstäblich mit den Füßen getreten.

Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ haben gezeigt, dass die italienische Küstenwache einem Boot mit 182 Personen an Bord nicht half, obwohl es Indizien gab, dass es sich in Seenot befand.

94 Menschen starben, darunter mindestens 35 Kinder. Einer davon hieß Sultan Almulqi, sechs Jahre alt, er starb in den Armen seines Bruders. Zuletzt hat die Küstenwache Italiens wieder viele Menschen gerettet, über 1400 meldet der Deutschlandfunk.

Wie ernst nehmen wir die Rechte, die jedem Menschen zustehen sollten? 

Valerie Höhne

Sie sind nicht die Einzigen. Laut der Internationalen Organisation für Migration sind im Jahr 2023 bereits 72 Kinder auf dem Mittelmeer gestorben. Die Europäische Union hat sie sterben lassen. Seit 2019 die Operation „Sophia“ endete, die Schleuser verhaften und Geflüchtete retten sollte, gibt es gar keine staatliche Seenotrettung mehr.

Baerbock hätte sich dafür einsetzen können, die Wiederaufnahme der staatlichen Seenotrettung zur Bedingung für ihre Zustimmung zu den Asylrechtsverschärfungen zu machen. So aber setzt der Kontinent künftig nur auf Abschottung. Und wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Wie ernst nehmen wir die Rechte, die jedem Mensch zustehen sollten?

Flucht wird künftig aller Voraussicht nach nicht weniger werden, sondern eher mehr. Menschen werden weiter versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Es wird ihnen weniger häufig gelingen, auch wenn sie vor Krieg und Verfolgung flüchten und ein Recht auf Asyl hätten. Die Klimakrise, die mittelfristig (wenn wir sie nicht erfolgreich bekämpfen auch langfristig) wohl zu einer Ressourcenverknappung führen wird, wird dazu beitragen.  

Die Asylrechtsverschärfung ohne Flankierung durch Seenotrettung untergräbt die Erzählung der Bundesregierung, insbesondere der Außenministerin, sie wolle eine „wertegeleitete Außenpolitik“. Die Regierung hat es nicht einmal für notwendig befunden, mit der Zivilgesellschaft darüber zu diskutieren.

Wenn Baerbock künftig in anderen Staaten auf die Einhaltung der Menschenrechte pocht, wird sie zu Recht darauf hingewiesen werden, dass Deutschland dabei zusieht, wenn Männer, Frauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken. Die Asylpolitik der Bundesregierung ist vor allem eins: zynisch.

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