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Aus Angela Merkel und Wladmir Putin werden wohl keine Freunde mehr.

© dpa

Merkel trifft Russlands Präsidenten: Warum wir keine Angst vor Putin haben sollten

Die Deutschen sollten sich ruhig trauen, Wladimir Putin zu kritisieren. Denn Menschenrechte sind nicht verhandelbar - und die Angst, dass offene Worte der Wirtschaft schaden, ist unbegründet.

Diesmal wird das Abendessen in Hannover für Wladimir Putin wohl alles andere als angenehm werden. Wenn die Kanzlerin ihn am Sonntag im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung empfängt, dann ist das kein Abend unter Freunden wie zu Zeiten von Gerhard Schröders Kumpeldiplomatie. Freundschaftlich war das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Putin ohnehin nie. Unvergessen ist im Kanzleramt noch immer jener Besuch in Russland, bei dem Putin seinen Hund ins Zimmer ließ – wohl wissend, dass Merkel seit ihrer Kindheit Angst vor Hunden hat.

Doch im Moment ist das Verhältnis der beiden Länder ganz besonders von Belastungen geprägt: Irritiert war die russische Führung bereits über eine Entschließung des Bundestages im vergangenen Jahr, in der von der Bundesregierung klare Worte zu besorgniserregenden Entwicklungen in Russland gefordert wurden. Deutschland wird in Moskau auch dafür verantwortlich gemacht, dass russische Anleger bei Zyperns Banken jetzt viel Geld verlieren.

In den vergangenen Wochen hatte dann vor allem das Vorgehen russischer Behörden gegen Nichtregierungsorganisationen, darunter auch zwei deutsche politische Stiftungen, die Beziehungen belastet. Die Bundesregierung kritisierte die Kontrollen öffentlich, der Botschafter in Berlin wurde zum Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten. Das hat es lange nicht gegeben im deutsch-russischen Verhältnis.

Vor seiner Abreise nach Deutschland sagte Putin in einem ARD-Interview, dass bestimmte Standards, die in manchen Ländern zur Anwendung kämen, nur schwer auf andere übertragen werden könnten. Dieses Argument hört man auch in Deutschland von der Gruppe derer, die einer wertegeleiteten Russlandpolitik kritisch gegenüberstehen. Ein altes Interview des Russlandexperten Alexander Rahr zum Beispiel löste im politischen Berlin kürzlich Irritationen aus, weil er darin den Westen scharf kritisierte. Seit Jahren gilt Rahr als profiliertester Vertreter der These, an die Stelle einer wertorientierten Außenpolitik gegenüber Russland müsse endlich „mehr Realpolitik“ treten.

Die Frage, wie man es mit Russland halten solle, teilt deutsche Politiker selbst über Parteigrenzen hinweg in zwei Lager: Die SPD-Politiker Steinbrück und Steinmeier befürworten mehr „Realpolitik“ gegenüber Moskau, offenbar ebenso wie einige Politiker aus CDU und CSU, etwa der Abgeordnete Philipp Mißfelder, der mit der Jungen Union Kontakte zu einer kremltreuen Jugendorganisation pflegte. Auf der anderen Seite plädieren vor allem Abgeordnete von CDU und Grünen für eine kritischere Haltung gegenüber Putins Russland. Zu ihnen gehört etwa der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff. Im Bundestag konnten sich im vergangenen Jahr diejenigen durchsetzen, die sich für deutliche Worte gegenüber Russland aussprechen.

Dabei geht es nicht darum, Russland zu belehren – oder gar dem Land „unsere“ Wertvorstellungen, „unsere“ Demokratie aufzuzwingen. Doch welche „Standards“ wären denn in Russland nicht anwendbar? Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und freie Wahlen sind Grundrechte, auf die sich auch Russland mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Mitgliedschaft im Europarat verpflichtet hat. Es sind unsere gemeinsamen Werte. Das lässt eigentlich keinen Spielraum für unterschiedliche Auslegungen.

Werte und Interessen in der Außenpolitik sind keineswegs Gegensätze, und jemand, der für eine wertegeleitete Außenpolitik plädiert, will damit nicht Deutschlands Interessen außer acht lassen. Aber eine Außenpolitik, die in erster Linie deutsche (Wirtschafts-)Interessen im Blick hätte und die Augen vor autoritären Tendenzen oder gar Menschenrechtsverletzungen verschlösse, würde sich am Ende selbst diskreditieren. Auf diese Weise würde Deutschland weltweit wichtiges Kapital verlieren: Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Dass offene Kritik an Putins Politik den deutschen Interessen direkt schadet, ist nicht zu erwarten. Im Jahr 2012 konnte der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft sogar einen neuen Handelsrekord vermelden, für die Hannover-Messe stellte der russische Industrieminister „bedeutende Vertragsabschlüsse“ in Aussicht.

Kritik an den Zuständen im „System Putin“ ist keineswegs gegen Russland gerichtet, im Gegenteil: Wer das Land und seine Bürger liebt, den kann es kaum kalt lassen, dass die von vielen Russen zu Sowjetzeiten ersehnte Freiheit seit Putins Rückkehr in den Kreml Stück für Stück eingeschränkt wird. Eine Russlandpolitik, die nicht die Staatsmacht, sondern die Bürger in den Mittelpunkt stellt, muss diese Sorgen ernst nehmen. Insofern ist die neue Sachlichkeit im Gespräch zwischen Bundesregierung und Kreml alles andere als ein Rückschritt.

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