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Neuruppin: Inzestprozess: Freispruch unter großen Bedenken

Ein 67-Jähriger soll seine Tochter jahrelang missbraucht haben – wie zuvor schon deren Mutter. Doch das Gericht fand kaum Beweise.

Neuruppin - Mit einem Freispruch endete gestern der Prozess gegen einen 67-Jährigen vor dem Landgericht Neuruppin, dem sexueller Missbrauch seiner minderjährigen Tochter vorgeworfen worden war. Einer Tochter, die zugleich seine Enkelin war: Er hatte sie mit seiner Stieftochter gezeugt.

Nahezu regungslos verfolgten der Angeklagte Jürgen H. und seine heute 21-jährige Tochter Sabine P. (Name geändert), die Verkündung des Urteils. Leicht fiel der Spruch dem Gericht nicht: „Dieser Freispruch beruht nicht auf der Überzeugung, dass der Angeklagte unschuldig ist“, betonte der Vorsitzende Richter Gert Wegner. „Es muss etwas geschehen sein“, die Indizien sprächen dafür. Mindestens 19 Mal soll der Angeklagte seine Tochter zwischen 1993 und 1997 missbraucht haben, das erste Mal, als Sabine sieben Jahre alt war. 2007 hatte sie ihren Vater und Stiefgroßvater schließlich angezeigt. Doch in keinem Fall habe das Gericht eine konkrete Tat nachweisen können, zu schwach sei die Beweislage nach den Aussagen des Opfers Sabine, die als Nebenklägerin auftrat, als auch nach denen anderer Zeugen.

Staatsanwaltschaft und Nebenklage hatten sechs Jahre Haft für den 67-Jährigen gefordert, die Verteidigung Freispruch. Die Nebenklage behielt sich gestern Rechtsmittel gegen das Urteil vor.

Sabine P. war im Prozess die einzige Belastungszeugin, der angeklagte Rentner stritt die Vorwürfe vehement ab. Lediglich sexuelle Kontakte zu seiner Stieftochter räumte er ein, aus denen die Tochter Sabine hervorgegangen ist.

„Wir hatten die von jedem Richter gefürchtete Situation, dass Aussage gegen Aussage steht“, stellte Wegner fest. „Wir haben kaum Zeugen gehabt, die sich um Neutralität bemüht haben“, erklärte der Richter mit Blick auf die Ehefrau und Familie des Angeklagten. Der Beweiswert der Vernehmungen sei gleich Null gewesen. Lediglich eine Tante von Sabine habe mit ihrer Aussage über einen versuchten Missbrauch dargelegt, „dass Jürgen H. in der Lage war, sich an den eigenen Kinder zu vergreifen“. Justiziabel ist dieser Fall nicht mehr, ebenso wie der Missbrauch von Sabines Mutter, der verjährt ist.

Den Ausschlag für den Freispruch gaben schließlich Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Opfers. „Es fehlte an Konstanz in den Aussagen“, sagte der Richter. Bei den Vernehmungen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und vor Gericht hätten sich erhebliche Widersprüche aufgetan. Dass auch die Anwälte des Opfers eine problematische Rolle spielten, deutete der Richter nur an: „Sabine P. war anwaltgesteuert, das war keine böse Absicht, das war eine sehr gut gemeinte Absicht.“ Zu gut, wie sich während des Prozesses herausstellte. Die Widersprüche in den Aussagen der Frau könnten daher rühren, dass sie die Erwartungshaltung ihrer Anwälte angenommen und Einzelheiten zu den Missbrauchsfällen hinzugefügt und ausgemalt habe, vermutete Wegner. Auch Sabines P.s Auftreten vor Gericht hinterließ Zweifel. Auf eine schwer eingeschüchterte Frau habe sich die Kammer eingerichtet, der es schwer falle, vor einem männlichen Richter und in Gegenwart des Peinigers und der Familie auszusagen. Aber „sie war um keine Antwort verlegen und emotional unbeteiligt“. Eine Prozessbeobachterin vom Sozialtherapeutischen Institut Berlin-Brandenburg kritisierte nach dem Urteil, dass die Widersprüche in Sabine P.s Aussagen auch auf mangelnde therapeutische Behandlung zurückgeführt werden könnten.

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