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Alexis Tsipras nach einer langen Nacht im Parlament.

© AFP

Alexis Tsipras: Schlaflos in Athen

Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras hat seinen Rücktritt verkündet und Neuwahlen für den 20. September angekündigt. Lesen Sie hier das Porträt des Politikers.

Am Donnerstagabend hat Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras seinen Rücktritt verkündet und Neuwahlen für den 20. September angekündigt. Die Begründung: Er brauche für die Umsetzung des Sparprogramms ein neues Mandat der Wähler. Damit hat er ein wochenlanges Ringen um die Mehrheit in der eigenen Partei beendet und sagt dem linken Flügel offen den Kampf an.

Am Mittwoch hatten wir das Porträt über Alexis Tsipras veröffentlicht. Lesen Sie hier über den Staatschef, der sich für den Kompromiss und gegen seine eigenen Überzeugungen entschieden hat - und was ihn dazu bewegte.

Als Premierminister Alexis Tsipras gegen 6:30 Uhr griechischer Zeit an das Rednerpult tritt, schaut er in jede Menge müde Gesichter. Die ganze Nacht schon haben die Abgeordneten in Athen über die Zukunft ihres Landes debattiert. Darüber, ob es richtig ist, einem Paket zuzustimmen, das zwar Geld für den Schuldendienst bringt, aber gleichzeitig auch so viele schmerzhafte Einschnitte abverlangt. Ein Programm, das die Regierungspartei Syriza eigentlich nie wollte, mit Kontrolleuren, die sie aus dem Land werfen möchte. Trotzdem wirbt der griechische Regierungschef dafür. Tsipras drängt zur schnellen Entscheidung, eine weitere Verschiebung will er unbedingt verhindern. Denn das, so argumentiert er am Morgen vor seinen Abgeordneten, würde Griechenland weiter im Ungewissen halten und die Krise verlängern. Es gebe dann kein drittes Kreditpaket, sondern vorerst nur einen kleineren Brückenkredit, um die fällige Tranche an die Europäische Zentralbank zu überweisen.

Tsipras hartnäckigste Gegner sitzen in den eigenen Reihen. Weil die Fronten seit Wochen immer stärker verhärten, wird auch die Wortwahl gegen Morgen immer schärfer, inzwischen reden beide Seiten vom Selbstmord. Während für den linken Flügel der Syriza-Partei ein weiteres Kreditpaket einem Suizid gleichkommt, beschreibt der Parteichef den „Grexit“ als solchen. Es wird klar in dieser Nacht, dass es keinen Kompromiss zwischen diesen beiden Sichtweisen mehr geben kann. Zu überzeugt sind beide von ihrer Sichtweise. Davon, dass der eigene Weg das Land retten und der gegnerische ins Verderben führen wird. Einige Stunden zuvor hat Panagiotis Lafazanis gesprochen, der Wortführer der „Syriza-Rebellen“, der sagt, er wisse nicht, ob er für seine Parteispitze Mitleid oder Trauer empfinden soll, weil sie sich so weit von den ursprünglichen Prinzipien und Zielen des Bündnisses entfernt habe.

Nach Tsipras spricht Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Er will den Deal mit den Geldgebern nicht unterstützen, sagt, er könne nicht dafür stimmen. Aber er unterstütze trotzdem weiterhin die Regierung und sei deshalb bereit, als Abgeordneter zurückzutreten. Varoufakis spielt dabei darauf an, dass Tsipras 120 Ja-Stimmen braucht, um den Status als Minderheitsregierung aufrecht zu erhalten.

Die Mehrheit wackelt

Die Abstimmung selbst beginnt etwa gegen 9.45 Uhr griechischer Zeit, nach mehr als sechs Stunden langer Debatte. Die Abgeordneten konnten nicht früher starten, weil die Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou das Prozedere mit einer länglichen Abhandlung von Tagesordnungspunkten und Einwänden verzögerte. Konstantopoulou ist eine erklärte Gegnerin des Bail-Outs (wie das Hilfspaket in Griechenland genannt wird), und die Verzögerung der Debatte ist ihr Protest. Die konservative Opposition ärgert das in dieser Nacht so sehr, dass sie zwischenzeitlich damit droht, Tsipras nicht mehr weiter zu unterstützen – aber das macht sie dann doch nicht wahr.

Kurz darauf ist es klar. Das Gesetz ist durch, abgesegnet mit Hilfe der Opposition. Das genaue Ergebnis: 222 Ja-Stimmen, 64 Abgeordnete votieren mit Nein, 11 enthielten sich. Für Tsipras ist aber noch eine andere Zahl entscheidend: Behält er 120 Stimmen seiner Regierungskoalition aus Unabhängigen Griechen und Syriza? Insgesamt hat die Koalition im Parlament 162 Stimmen. Die Minderheitsregierung kippt bei einer möglichen Vertrauensabstimmung bei weniger als 120 eigenen Ja-Stimmen. Tsipras kann also bis zu 42 Abweichler mit Nein oder Enthaltung verkraften, alles darüber bringt Syriza in Schwierigkeiten.

Vertrauensabstimmung

Das Ergebnis ist denkbar knapp. Am Ende stimmen 32 Syriza-Abgeordnete mit Nein, 11 enthalten sich. Bei der letzten Abstimmung waren es zwar auch 32 Nein-Stimmen aber nur sechs Enthaltungen gewesen. Die Minderheitsregierung kippt damit nach diesen ersten Auswertungen mit nur einer Stimme. Tsipras kündigt eine Vertrauensabstimmung für rund um den 20. August an. Dass er diese verlieren wird, ist nicht unbedingt abzusehen. Denn die Nein-Sager unter den Syriza-Abgeordneten haben in der Vergangenheit häufig betont, dass sie zwar gegen den Kompromiss mit den Geldgebern aber durchaus für Tsipras sind. Sie könnten in einer Vertrauensabstimmung trotzdem für ihren Chef stimmen.

Aber auch eine verlorene Vertrauensabstimmung muss Tsipras nicht schaden. Der Verlust der Stimmen, so kommentiert es der Wirtschaftsberater und ehemalige Task Force Greece-Mitarbeiter, Jens Bastian auf Twitter, gebe Tsipras die Möglichkeit, sich „in verschiedene Richtungen weiter zu bewegen“. Die wahrscheinlichste Richtung sind wohl Neuwahlen im September oder Oktober, das hat die Regierung schon häufiger angedeutet. Die Zukunft der Syriza-Partei dagegen ist nun so offen wie nie zuvor. Am Morgen hatte eine Regierungssprecherin noch gesagt, eine Spaltung sei „nicht unvermeidbar“. Echter Optimismus klingt anders.

Finanzminister Euklid Tskalotos macht sich währenddessen auf dem Weg zum Flughafen. Während die anderen Abgeordneten nach der langen Nacht endlich ins Bett fallen können, geht die Debatte für Tsakalotos erst los. Am Nachmittag treffen sich die Euro-Finanzminister in Brüssel. Dort wird es für Tsakalotos kaum angenehmer werden als Zuhause.

Mit der Entscheidung von Donnerstag ist es klar: Tsipras geht seine eigene Partei frontal an und stellt sich Neuwahlen. Der kurze Zeitraum ist mit Absicht gewählt, so kann Tsipras unliebsame Abgeordnete von der Kandidatenliste streichen und lässt dem linken Flügel bei einer Spaltung kaum Luft, ein eigenes Programm aufzustellen.

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