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Hilf, Himmel! Peer Steinbrück würde zu gern ein zweites TV-Duell bestreiten. Nur wird es das nicht geben.

© Maurizio Gambarini/dpa

Kanzlerkandidat im Wahlkampf: Jetzt aber: Wie Steinbrücks Duell-Auftritt die SPD motiviert

Das höchste Lob kam nach dem TV-Duell von Parteichef Sigmar Gabriel: „Peer, du bist eine coole Sau“, sagte er. Seitdem hat bei den Sozialdemokraten ein neuer Kampfeswille Einzug gehalten – und an der Basis sogar so etwas wie Euphorie. Die Umfragen bleiben allerdings dennoch schlecht.

Von Hans Monath

Er ist auf Werbetour und schafft doch erst einmal Distanz. „Guten Tach allerseits, ist ja ein Zufall, dass Sie hier sind“, frotzelt Peer Steinbrück auf norddeutsche Art den Pulk von SPD-Aktivisten und Journalisten an, die Anfang der Woche vor der Arminius-Markthalle im Berliner Stadtteil Moabit auf ihn warten.

Andere Wahlkämpfer würden womöglich Komplimente verteilen oder sonst wie die Seele der Menschen streicheln. Doch Kumpanei mit Fremden und Psychologisieren gehören eher nicht zu den Stärken des SPD-Kanzlerkandidaten.

Dann geht es hinein in die Halle zur Begegnung mit dem wirklichen Leben der Berliner, so weit das möglich ist, wenn man von Dutzenden von Leibwächtern, Fotografen und Kamerateams belagert wird, die sich gegenseitig auf die Füße treten. Das hört sich dann so an: „Haben Sie genügend Laufkundschaft?“, fragt Steinbrück den Inhaber der „Brutzel-Ecke“ und erfährt, dass der seit morgens um sechs Uhr Kaffee ausschenkt.

An der Theke der „Geflügel-Oase“, wo es Hähnchenkeulen mit Bratkartoffeln für 2,45 Euro gibt, erkundigt sich der SPD-Politiker, ob das Fleisch frisch oder gefroren geliefert wird. „Nur gefroren, wir haben schlechte Erfahrungen gemacht“, gibt der Geflügel-Metzger höflich Auskunft.

Schlechte Erfahrungen, die haben auch Steinbrück und seine SPD gemacht nach der Ausrufung des Kanzlerkandidaten vor gut einem Jahr. Gelitten haben sie beide unter dem Fehlstart und darunter, dass die Umfragen einfach keine Bewegung nach oben zeigen wollten.

Seit Sonntagabend aber, seit dem TV-Duell mit Angela Merkel, fühlen sich der von vielen schon abgeschriebene Herausforderer und seine Sozialdemokraten wie in einem neuen Spiel. Es ist so, als hätte jemand im Reality-Game „Bundestagswahlkampf“ die Taste Neustart gedrückt.

Als der Kandidat genügend Stände besucht hat und auf dem Podium am anderen Ende der Markthalle steht, braucht er keine 60 Sekunden, um auf seinen Zweikampf zu sprechen zu kommen. „Das ist schon ein besonderer Kick, wenn man weiß, dass 17 Millionen Menschen sich das angeschaut haben und sich ein eigenes Bild machen können, unabhängig davon, was einem sonst so gelegentlich angeheftet wird“, sagt er ins Mikrofon.

In dem Satz schwingt die Klage über die Stereotypen mit, die Medien über ihn verbreiten, wie auch die Überzeugung, im direkten Kontakt mit den Wählern eine ganz andere Wirkung zu entfalten.

Steinbrück nach dem TV-Duell: "Der Punkt ist, ich hab mich wohlgefühlt dort"

Direkt nach dem Duell am Sonntagabend hatte sich Steinbrück völlig ausgelassen gezeigt. Als er vom Fernsehstudio ins „Radialsystem“ kam, dem Szene-Veranstaltungsort am Spreeufer, wo die SPD die Übertragung verfolgte, hörte er erst den Jubel der Genossen und das Lob von Parteichef Sigmar Gabriel („Peer, du bist eine coole Sau“). Dann sprach der „Klartext“-Redner plötzlich über Emotionen.

„Der Punkt ist, ich hab mich wohlgefühlt dort“, sagte er und fügte mit Blick auf seine Opponentin hinzu: „Sie fühlte sich erkennbar mehr unter Druck als ich.“ Dass er der vermeintlich unangreifbaren Kanzlerin in den 90 Minuten zugesetzt haben könnte, machte ihn euphorisch, vielleicht auch unvorsichtig. „Peer bricht heute Abend sein Versprechen, im Wahlkampf nichts zu trinken und will ein Bier“, rief Gabriel in die Runde. Dann umarmte der Kandidat einen Mitstreiter und schwang mit gefletschten Zähnen kraftvoll die Becker-Faust nach dem Vorbild des Tennisstars.

Am nächsten Tag analysierte Gabriel die Wirkung des TV-Showdowns: Der eigene Kandidat habe in Umfragen bei den unentschiedenen Wählern einen fast 20-prozentigen Vorsprung gegenüber der Amtsinhaberin davongetragen, erklärte der Parteichef.

Für die SPD ist die Zahl deshalb so entscheidend, weil ihr Wahlkampfkonzept darauf ausgerichtet ist, möglichst viele der zehn Millionen Wähler zurückzuholen, die ihr seit 1998 den Rücken gekehrt haben. Fünf Millionen Menschen wollen die Sozialdemokraten mit ihrem Tür-zu-Tür-Wahlkampf erreichen, etwas weniger als die Hälfte hatten sie Mitte der Woche schon geschafft, und im SPD- Kernland Nordrhein-Westfalen steht der Höhepunkt der Kampagne noch aus, weil die Schulferien dort erst diese Woche zu Ende gingen.

Zwar ist auch unter Demoskopen umstritten, wie stark ein guter Auftritt im TV-Duell die Umfragewerte beeinflusst und ob eine positive Wirkung beim Wähler über drei Wochen hinweg überhaupt in Erinnerung bleibt. Auch wies keine der Umfragen nach dem TV-Ereignis in der Sonntagsfrage bisher große Zuwächse für die SPD aus. Doch der Herausforderer zeigte sich auf Augenhöhe mit der Kanzlerin, sorgte dafür, dass politische Unterschiede zum Thema wurden und brach damit die mediale Dauererzählung von seiner ewigen Pannenserie. Am wichtigsten aber ist: Sein Erfolg gibt einer SPD wieder Kampfeswillen, die erkennbar frustriert war vom gleichbleibend schlechten Ergebnis in den Umfragen.

Motivationsschub war dringend nötig

Hilf, Himmel! Peer Steinbrück würde zu gern ein zweites TV-Duell bestreiten. Nur wird es das nicht geben.
Hilf, Himmel! Peer Steinbrück würde zu gern ein zweites TV-Duell bestreiten. Nur wird es das nicht geben.

© Maurizio Gambarini/dpa

Nicht nur am Montagabend auf dem Fest der Parteizeitung „Vorwärts“ im Hof der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg war das zu spüren, wo die Gäste Steinbrück mit Ovationen feierten, während die ehemaligen Troika-Mitglieder Gabriel und Frank-Walter Steinmeier ihm zuklatschten, als hätte es nie Spannungen zwischen ihnen gegeben. Auch die Parteibasis ist euphorisiert, wie am Dienstagabend in Alt-Rudow deutlich wurde, wo unter Lichterketten mit roten, gelben und grünen Glühbirnen vor einer Freilichtbühne 500 Anhänger ihrem Kandidaten zujubelten.

Dass Generalsekretärin Andrea Nahles ein ums andere Mal versichert, die Mitglieder ihrer Partei seien zum Sieg wild entschlossen, gehört zu ihren Aufgaben. Tatsächlich aber kam auch eine Umfrage des Allensbacher Demoskopie-Institutes zu dem Schluss, die SPD sei diesmal kämpferischer aufgestellt als die anderen Parteien – und vor allem kämpferischer als im Katastrophenjahr 2009. Ein SPD-Landesvorsitzender fasst das in den Satz: „Wir wollen es jetzt wissen.“

Wie der Ausgang des Duells die politische Landschaft neu ordnet, war auch am Dienstag in der Bundestagsdebatte zur Lage des Landes zu beobachten, wo während Steinbrücks Attacken auf Merkel in den Koalitionsreihen keinerlei Selbstgefälligkeit mehr zu spüren war. Kein Abgeordneter von Union oder FDP höhnte und johlte, als Steinbrück seine politischen Ziele mit seinem Machtanspruch verband: „Ich als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werde …“

Der Motivationsschub für die SPD-Wahlkämpfer war dringend nötig. Der Streit um die Einberufung des Parteikonvents unmittelbar nach dem Wahltag etwa warf ein Schlaglicht auf das gespannte Verhältnis zwischen Gabriel auf der einen, Steinbrück und Steinmeier auf der anderen Seite und schien manchem als Beleg, dass sich die SPD-Führung mit einer Niederlage abgefunden hatte.

Differenzen zwischen Kandidat und Partei

Auch drohten der Wahlkampf des Kandidaten und der seiner Partei auseinanderzufallen. Auf den Großplakaten der SPD sind erstarrte, tatenlose Menschen zu sehen, die Opfer von schlechten Löhnen, fehlenden Kindergartenplätzen oder Wuchermieten geworden sind und nun auf sozialdemokratische Hilfe hoffen. Die Kampagne wendet sich nicht an die 75 Prozent der Deutschen, die ihre Lage als gut oder sehr gut einschätzen, sondern an das Viertel der Unzufriedenen – ein Potenzial, aus dem auch die Linkspartei schöpft.

Steinbrück dagegen spricht zwar in allen Wahlkampfauftritten über soziale Schieflagen („Die Fliehkräfte in dieser Gesellschaft nehmen zu“), die er mit dem einheitlichen Mindestlohn, einem durchlässigeren Bildungssystem und dem Kampf gegen Steuerhinterziehung begegnen will. Doch stets verspricht er nicht nur Entlastung, sondern auch Zumutungen und wendet sich an „diejenigen, die mit diesem Land noch etwas vorhaben“.

Die Menschen auf den SPD-Großplakaten aber scheinen weder mit ihrem Land noch mit sich selbst noch viel vorzuhaben. Nicht zu Unrecht sprach Angela Merkel am Dienstag im Bundestag darüber, dass die SPD mit ihrer Betonung der Schwäche und Fehler des Landes ein Risiko eingeht. „Das ist übrigens eines Ihrer Probleme, dass Sie sich nicht über die Entwicklungen in Deutschland freuen können; und das mögen die Menschen nicht“, stichelte die Kanzlerin.

Bislang war es ein Problem der SPD, dass ihre Vorschläge wie der Mindestlohn, die Mietpreisbegrenzung oder die Frauenquote zwar in Umfragen von einer breiten Mehrheit getragen werden, sich die Kanzlerin aber einer inhaltlichen Auseinandersetzung immer wieder entzog. Bei den Wahlkampfauftritten Steinbrücks, wo der Kandidat sich meist auf einem runden Podium präsentiert und eingereichte Fragen aus dem Publikum beantwortet, kommen die Versprechen ebenso gut an wie beim Klinkenputzen, wo die „Campaigner“ an der Haustür nach der Meinung zu den SPD-Vorschlägen fragen und zum Schluss danach, ob der Gesprächspartner denn auch zur Wahl gehen wolle.

Nun machen sich die Sozialdemokraten Hoffnung, dass die Phase der Ununterscheidbarkeit zu Ende geht und endlich über Positionen gestritten wird. „Lassen Sie sich nicht einlullen“, warnt Steinbrück seine Zuhörer bei jeder Gelegenheit. Dann erklärt er, warum höhere Steuern „für einige wenige“ oder mehr Geld für Bildung nötig sind. Wie Legosteine setze er seine Argumente aufeinander, hat seine Frau kürzlich in einem Interview gesagt. Allerdings tut er das gelegentlich so schnell, dass mancher Zuhörer nur noch schwer folgen kann.

Wie er am Sonntag Wirkung gezeigt hat, das will Steinbrück offenbar nicht nacherleben. Ob er sich das TV-Duell noch einmal angesehen habe und was er anders machen würde, fragt ihn ein Radioreporter nach dem Auftritt in der Markthalle in Moabit. „Nee“, meint der Kandidat abwehrend: „Ich rede gerne über meine Stärken – und über meine Schwächen nur, wenn ich zu Hause bin.“ Es klingt nicht so, als ob er sich sehr grämen würde. Ein zweites Duell, das er nun erst recht gerne bestreiten würde, wird es nicht geben. Man könnte es auch so sagen: Der Kandidat hat geliefert. Nun ist seine Partei dran.

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