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d Bisher scheint die Union rund um Merkel siegessicher.

© Friso Gentsch/ dpa

Bundestagswahl 2017: Die Gefahr des virtuellen Siegs

Bisher liegt die Union in Umfragen weit vor der SPD. Doch bei CSU und CDU geht die Sorge vor unschönen Überraschungen am Wahlabend um.

Von Robert Birnbaum

Reiner Haseloff ist nicht als der geborene Optimist bekannt, außerdem hat der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt eine 25-Prozent-AfD im Nacken. Aber als Haseloff Anfang dieser Woche im CDU-Präsidium seine Sorge vor der Bundestagswahl in Zahlen fasste, musste er nicht mit Widerspruch rechnen. Wie die Union am 24. September dastehen werde, halte er für offen, zitieren Teilnehmer den Mann aus Magdeburg: „Zwischen 31 und 43 Prozent ist alles drin.“ Doch nach einer triumphalen 43 sieht es eine Woche vor der Entscheidung nicht aus. In CDU und CSU geht eher die Sorge vor unschönen Überraschungen am Wahlabend um.

„Gemessen an der Not der SPD“, räumt einer aus der CDU-Spitze ein, „sind unsere Ungewissheiten ein Luxusproblem.“ Auch die schwärzesten Schwarzseher in der Union rechnen ja nicht mit einem Last-Minute-Swing zugunsten des SPD-Herausforderers Martin Schulz. Dabei ist die Spannbreite in den Umfragen groß: zwischen 20 Prozent und 28 Prozent in den ungewichteten Rohdaten der Forschungsgruppe Wahlen schwankt die SPD. Realistisch schätzen allerdings auch die Mannheimer Forscher Schulz’ Truppe nur bei 23 Prozent ein. Zugleich verliert in ihrem „Politbarometer“ die Union seit Wochen deutlich; trotzdem liegen CDU und CSU mit 36 Prozent vorn.

Mobilisierung nicht selbstverständlich

Aber genau darin, dass alle das Rennen für gelaufen halten, lauert die Gefahr. „Die Leute sagen sich: Die Merkel bleibt doch sowieso Kanzlerin, jetzt interessieren mich mehr ihre Partner“, analysiert ein CDU-Wahlkämpfer. Dass in dieser virtuellen Siegesstimmung die eigenen Anhänger bis zu dem Tag mobilisiert bleiben, an dem real entschieden wird, ist keineswegs selbstverständlich. „Für uns wäre es besser, wenn die Umfragen bröckeln würden“, sagt ein Unionsstratege.

Dahinter steckt eine bittere Erfahrung. 2013 erschien der CDU-Ministerpräsident David McAllister monatelang als sicherer Sieger der Landtagswahl in Niedersachsen. Am Wahlabend war er der große Verlierer – viele bürgerliche Wähler waren in falscher Gewissheit zum Wunschpartner FDP gewandert. Bis zu einem gewissen Grad wiederholt sich diese Geschichte jetzt schon auf der Bundesebene. Christian Lindners FDP rangiert in den Umfragen dicht am Platz drei. Und Lindner tut alles dafür, sich als die reputierliche Alternative bei jenen CDU-Sympathisanten anzubieten, die Merkel nicht mehr wählen wollen, die AfD aber noch nicht.

Am Donnerstagabend macht die CDU-Chefin Bekanntschaft mit zwei Wählern, für die auch das Kreuz rechts außen kein Tabu mehr ist. Merkel steht beim ZDF im „Klartext“-Bürgerforum, und Sabine Erdmann aus Erfurt legt ihre Sicht auf die Flüchtlingslage dar. Die Sicht ist düster. 90 Prozent der Flüchtlinge seien Männer. Eine „demographische Schieflage“ sei das: „Männerüberschuss in einem Land führt immer zu Problemen“, sagt Frau Erdmann, „ganz besonders zu sexueller Gewalt gegen Frauen.“ Merkel hält deutlich dagegen: Einen Generalverdacht zu insinuieren, sei nicht in Ordnung, und gar eine „demographische Schieflage“ – „das glaube ich nicht“. Die meisten der 150 Studiogäste applaudieren. Aber Frau Erdmann steht wohl schon auf der anderen Seite.

AfD als Protest

Josef Mooseder ist auf der Kante. Dem Kiosk-Besitzer aus Dachau haben Räuber zum siebten Mal die Tür eingetreten und die Regale ausgeraubt. Einer wurde geschnappt. Dass er nicht vor Gericht kam, weil er da schon wegen einer schwereren Tat stand, empört den Händler. Wenn er auf der Fahrt nach München drei Mal geblitzt werde, müsse er drei Mal zahlen, aber so einer ... ! Die Kanzlerin („Ich bin jetzt kein Jurist“) weiß auch nicht, was sie dazu sagen soll. Sie verspricht sich zu kümmern: „Wir überlegen da wirklich, was wir tun.“ Herr Mooseder schaut zuletzt schon wieder etwas versöhnt.

Trotzdem muss der Mann aus Dachau die CDU-Chefin mehr beunruhigen als die Frau aus Erfurt – wegen der Selbstverständlichkeit, mit der er beiläufig angemerkt hat, es gebe ja jetzt „eine Alternative“. Die AfD scheint keine politische Bückware mehr zu sein, die man verschämt unter der Theke hervorzieht. Sie scheint auf dem Weg zur legitimen Protestadresse, bei der Leute ihr Kreuz machen, ohne sich gleich mit Personal und Programm einverstanden zu erklären – Hauptsache ist, die da oben trifft’s.

„Ich glaube, es unterschätzen manche bei uns, was da los ist“, sagt ein Christdemokrat. Viele Meldungen über Missstände oder auch über Probleme mit Flüchtlingen landeten nie auf den ersten Seiten der Zeitungen. „Aber die Regionalteile sind voll davon.“ Mancher in der Union fürchtet, dass die eigene Spitzenkandidatin zu wenig unternimmt, um die Missstimmungen einzuhegen. „Wir haben die SPD nach links jeder Angriffsfläche beraubt“, sagt einer. Schulz kriege kein Bein auf die Erde, weil die Kanzlerin ihm jedes Thema wegschnappe, bevor es an Strahlkraft gewinnen könnte. „Vom gleichen Eifer nach rechts ist nichts zu sehen“, kritisiert der Mann.

Künftige Ausrichtung der CDU wichtig

Ob solcher Eifer helfen würde, ist freilich in der Union nach wie vor strittig. In Merkels Truppen gilt er weiterhin als kontraproduktiv. Die AfD habe eh schon zu viel öffentliche Aufmerksamkeit, klagt ein Wahlkämpfer; allein die Berichterstattung über die Pfeifkonzerte bei Merkels Kundgebungen und die gezielten Skandalsprüche von AfD-Spitzenleuten verschafften denen locker zwei, drei Prozentpunkte Zuwachs.

Wo der Zuwachs endet, weiß niemand. Bei hoher Mobilisierung und Wahlbeteiligung, hoffen sie in der CDU-Spitze, könnten sich jetzt zweistellige AfD-Werte und die Wut auf den Marktplätzen als optische Täuschung erweisen. Der andere Fall wäre für den Ausgang der Wahl wohl auch egal. Für die künftige Ausrichtung der CDU wäre er es aber gewiss nicht.

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