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Politik: Der aus der Reihe tanzt

Sigmar Gabriel kämpft um den Wahlsieg in Niedersachsen – und riskiert dafür auch Konflikte mit dem Kanzler

Sigmar Gabriel hätte sich eine „freundlichere Behandlung“ durch den Kanzler gewünscht. Aber „abgewatscht“ fühle er sich nicht, sagte sein Sprecher Volker Benke am Mittwoch. Gabriel will trotz der Niederlage im SPD-Parteivorstand an seiner Forderung, die Steuerreform um ein halbes Jahr vorzuziehen, festhalten. So schnell gibt der Mann nicht auf, der darum kämpft, in Niedersachsen Ministerpräsident zu bleiben.

Dabei waren die beiden vor wenigen Tagen noch ein Herz und eine Seele. An dem Tag, an dem sich Sigmar Gabriel ganz und gar in seinem Element fühlte: Eine große Halle voller Menschen, gedämpftes Licht und lauter Popstars um ihn herum. Dem niedersächsischen Ministerpräsidenten war beim Wahlkampfauftakt seiner SPD in Hannover vor 8000 Zuschauern sichtlich warm ums Herz. Links Klaus Meine von den Scorpions, rechts Peter Maffay – und in der Mitte Gabriel. So hat er es gern.

Die prominenten Unterstützer mögen den 43-Jährigen an die Anfänge seiner politischen Karriere erinnert haben. Denn Gabriel hat nicht die übliche Ochsentour hinter sich, vom Ortsverein über den Unterbezirk in den Landtag. Von Anfang an wollte er auffallen, aus der Reihe tanzen, sein Publikum überraschen. Sein politisches Engagement begann als Organisator von Rockkonzerten für die SPD-Jugendorganisation „Die Falken“.

So engagiert Gabriel auch ist, auf der anderen Seite mehren sich Kritiker, die an der Ernsthaftigkeit der Gabriel-Konzepte zweifeln. Gabriel muss mit dem Vorwurf leben, viele seiner Vorschläge nur deshalb vorzutragen, weil er schneller sein will als die politische Konkurrenz. Oft irritiert Gabriel damit die eigene Partei, häufig muss er später auch einräumen, im einen oder anderen Detail müsse nachgebessert werden. Eine Schwäche des früheren Deutschlehrers wird hier deutlich: Von Teamarbeit hält er nicht viel.

Das zeigte sich auch, als Gabriel sich im Spätherbst vergangenen Jahres anschickte, die Vermögensteuer wiederzubeleben. Da Gerhard Schröder ihn erst gewähren ließ, nahm Gabriel wohl an, er habe den Segen des Kanzlers. Aber dann rückte Gabriel die Steuer mehr und mehr in den Mittelpunkt seiner Kampagne, schmiedete Bündnisse mit Gewerkschaftern, ließ Plakate drucken und startete eine Unterschriftenkampagne. Arm gegen Reich, der Regierungschef aus Hannover als moderner Robin Hood. Aber Steuerfachleute fanden Pferdefüße, die Unternehmer begannen zu murren, und auch der Kanzler war nicht überzeugt. Doch Gabriel, einmal in Fahrt gekommen, wollte sich von niemandem aufhalten lassen. Am Ende rüttelte die Vermögensteuer an Schröders Autorität, der Kanzler stoppte den Ministerpräsidenten öffentlich. Gabriel musste – widerwillig bis heute – klein beigeben.

Seitem wirkt Gabriel verunsichert. Er versucht, ständig mit neuen Ideen die Öffentlichkeit zu beeindrucken. Erst die Finanzierung des Gesundheitssystems, dann das Vorziehen der verschobenen Steuerreform: Gabriel kommt so bundesweit in die Medien, reibt sich öffentlich am Kanzler in der Hoffnung, so seine Popularität steigern zu können. Mittlerweile will der Ministerpräsident aus der Not eine Tugend machen. Gabriel produziert noch mehr Schlagzeilen, und er hofft wohl, jede Botschaft von morgen und übermorgen könne manchen negativen Pressebericht von gestern und vorgestern vergessen machen. Beim Wahlkampfauftakt beschwerte sich Gabriel über die ,,Jammerei“ der Deutschen und betonte, es gehe den Menschen doch viel besser als viele es eingestehen wollten. Und dann noch ein Satz, der schon wieder ein wenig wie Majestätsbeleidigung in Richtung Gerhard Schröder klingt: ,,Wichtiger als die Geschlossenheit der SPD ist die Aufgeschlossenheit der SPD für neue Ideen“, sagte Gabriel.

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