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© laif

Wolfgang Thierse: "Es macht keinen Sinn, die Linke zu tabuisieren"

Der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) spricht mit dem Tagesspiegel über rot-rote Perspektiven, Lafontaine und die Wahlen in NRW.

Herr Thierse, wirken die Verletzungen, die Oskar Lafontaine der SPD 1999 mit seinem Rücktritt als Vorsitzender zugefügt hat, heute noch nach?


Viele sind natürlich emotional noch lange nicht fertig mit ihm. Den Vorsitz der ältesten deutschen Partei einfach hinzuwerfen, dann die SPD ausgerechnet über die „Bild“-Zeitung jahrelang öffentlich zu belehren und zu beschimpfen, eine neue Partei ausdrücklich gegen seine alte zu gründen – das hat sehr wehgetan. Aber das berührt nicht insgesamt die Politik der SPD. Für mich geht es nicht um die Person Oskar Lafontaine, sondern um politische Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.

Entspannt sich nun das Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei?

Der emotionale Punkt Lafontaine ist weg. Viele andere emotionale Dissenspunkte bleiben, die besonders mit der SED-Vergangenheit der Linken zu tun haben.

Muss sich die SPD in der Opposition nicht fast zwangsläufig auf die Linkspartei zubewegen?

Die Linkspartei lebt von der Behauptung, dass ihr Wirken als Oppositionskraft die anderen Parteien immerfort bewegt, etwas zu tun. Das ist eine Selbstüberschätzung. Von der kann man sie offenbar nicht heilen.

Aber die SPD ist doch bereit zu Korrekturen bei Hartz IV, sie debattiert über den Abzug der Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan?

Ja. Aber was hat das mit der Linkspartei zu tun? Selbst die SPD als großer oder kleiner gewordener „Koloss“ besteht doch aus Menschen, die lernfähig sind. Für das Reformprojekt der Agenda 2010 gab es starke, vernünftige Gründe. Die erhofften Wirkungen sind nicht alle eingetreten. Aber wir haben schon bei der Verabschiedung gesagt: Wir werden prüfen müssen, was womöglich falsch daran ist. Solche Korrekturen abhängig zu machen von der Kritik der Linkspartei, hieße, der SPD vorzuwerfen, dass sie selbst jede Wahrnehmungsfähigkeit von Realität verloren hätte. Das will ich für meine Partei ausdrücklich bestreiten.

Anfang Januar hat sich SPD-Chef Sigmar Gabriel mit dem Linken-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch getroffen. Sollte es häufiger Begegnungen dieser Art geben?

Gespräche mit unseren Konkurrenten sind selbstverständlich immer sinnvoll. Ich bin selbst auch neugierig auf das, was bei der Linkspartei passiert. Kann man mit ihr über Berlin und Brandenburg hinaus miteinander Politik machen, vielleicht auch einmal im Bund? Es macht keinen Sinn, die Linke zu tabuisieren und als Aussätzige zu behandeln. Alle unsere Ausgrenzungsbeschlüsse haben nicht dazu geführt, dass die Linkspartei geschwächt worden ist, eher im Gegenteil.

Sollten sich Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine aussprechen?

Menschlich wäre mir das sympathisch, ob es politisch Sinn macht, da habe ich meine Zweifel.

Läuft es denn auf ein rot-rot-grünes Bündnis 2013 hinaus? Ermuntert durch Lafontaines Rückzug, intensivieren junge Bundestagsabgeordnete von SPD, Linkspartei und Grünen gerade ihre Kontakte. Die frühere hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti plant zusammen mit Linken-Vize Katja Kipping eine „Denkfabrik“.


Solche Kontakte bekommen mit dem Lafontaine-Rücktritt nur eine medial etwas aufregendere Qualität. Meine Erwartungen halten sich aber in Grenzen, denn offen bleibt, was wirklich möglich wird. Wird die Linke radikaler und erzeugt die Hoffnung, dass Wähler zu uns zurückkehren? Oder doch sozialdemokratischer, mit der Option einer späteren Fusion?

Linken-Chef Lothar Bisky hat einen Zusammenschluss von SPD und Linkspartei als ein Projekt „vielleicht der nächsten Generation“ bezeichnet, jetzt hat auch Lafontaine über eine Fusion spekuliert. Ist das denkbar?

Bei Oskar Lafontaine überrascht es mich. Man muss ihn daran erinnern, dass er zur Spaltung wesentlich beigetragen hat. Nachdenken müssten wir erst dann über eine Vereinigung, wenn aus der Linkspartei eine linkssozialdemokratische Partei geworden wäre. Bisher kann ich da wenig erkennen.

Lafontaine stellt sich eine Fusion nach seinen Bedingungen vor.

Auch deshalb bin ich bei solchen Überlegungen ziemlich skeptisch. Ideologisch-emotional wird die Linke zusammengehalten durch eine Negativfixierung auf die SPD. Das ist dort der gemeinsame ideologische Kitt. Und das hat eine lange Tradition: Erst waren es die Kommunisten unter der Überschrift „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten“. Dazu kann ich nur sagen: Die Menschen sind im 20. Jahrhundert von Kommunisten verraten worden, nicht von Sozialdemokraten. Später dann hat die SED in der DDR die Sozialdemokraten unterdrückt und war „Sozialdemokratismus“ der ideologische Hauptfeind. Und wenn ich die WASG nehme – wieder ist es dieser antisozialdemokratische Furor, den ich übrigens auch beim WASG-Mitbegründer und nun designierten Linkspartei-Vorsitzenden Klaus Ernst finde. Wo aber sind die Kräfte, das zu überwinden? Vielleicht schaffen es jüngere Leute, mal sehen.

Die WASG, die sich 2007 mit der PDS vereinte, hat viele ehemalige Sozialdemokraten in die Linkspartei gebracht.

Das wissen wir doch: Konvertiten haben eine besondere Wut auf ihre Herkunft.

Vor der Landtagswahl im Mai erklären Gabriel und die dortige SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen für regierungsunfähig. Ist Rot-Rot-Grün dort überhaupt denkbar?

Zunächst ist das nur eine nüchterne Feststellung zu den NRW-Linken, zu dem, was die von sich geben und programmatisch aufgeschrieben haben. Da schüttele auch ich nur den Kopf. Was nach der Landtagswahl passiert, werden wir sehen. Prinzipiell hat die SPD eine Koalition nicht ausgeschlossen.

In Hessen ist ein Linksbündnis gescheitert, weil Andrea Ypsilanti Wortbruch vorgeworfen werden konnte. In Thüringen scheiterte eine Koalition am Nein der SPD zu einem linken Ministerpräsidenten. Sind Vorfestlegungen falsch?


Ja. Wir sollten auf die anderen Parteien schauen, die das auch nicht machen. Wenn wir uns nicht dauerhaft dem Zwang zu großen Koalitionen unterwerfen wollen, dann müssen wir uns die Linke „unterwerfen“, um eine andere Option zu haben. Die Sozialdemokraten müssen führende Kraft sein in der linken Hälfte des politischen Spektrums.

In Sachsen-Anhalt will der dort für Frühjahr 2011 designierte Spitzenkandidat Jens Bullerjahn mit der Ansage kämpfen, einen Linken-Ministerpräsidenten auf keinen Fall zu wählen.

Bullerjahn berücksichtigt die Selbstachtung einer großen alten Partei. Die ist ja auch nicht ganz unwichtig für die älteste deutsche Partei.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

Interview von Matthias Meisner

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