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Angela Merkel (CDU) und Hubertus Heil (SPD)

© Kay Nietfeld/dpa

Wer bekommt wieviel Grundrente?: Die Koalitionsspitzen wollen sich heute einigen

Die Grundrente ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben. An diesem Sonntag sollen endlich die Streitfragen zwischen Union und SPD gelöst werden. Worum geht es?

Seit Wochen streiten Union und SPD über Details zur im Koalitionsvertrag vereinbarten Grundrente; SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte gar gewarnt, dass ohne Einigung der Fortbestand der großen Koalition auf dem Spiel stehe. Am heutigen Sonntag nehmen die Koalitionsspitzen nun einen neuen Anlauf.

An dem Treffen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und SPD mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nimmt auch Arbeitsminister Hubertus Heil teil. Der SPD-Politiker hatte im Frühjahr vorgeschlagen, die Rentenansprüche von Geringverdienern mit 35 Versicherungsjahren auf bis zu 80 Prozent eines Durchschnittsverdieners aufzustocken.

DROHT DIE KOALITION WEGEN DES STREITS UM DIE GRUNDRENTE ZU PLATZEN?
Das gilt inzwischen als weniger wahrscheinlich. Am Freitag dämpfte Kanzlerin Angela Merkel die Hoffnungen auf einen Durchbruch. Man sei guten Willens, eine Lösung am Sonntag zu finden, sagte die Kanzlerin mit Blick auf den Koalitionsausschuss. "Wir sind auf ganz gutem Wege, wie ich finde", fügte sie hinzu. "Wenn es noch ein weiteres Treffen geben würde, wäre das (aber) kein großes Unglück." Irgendwann wolle man das Thema nur schon gerne abräumen.

Damit beschreibt die Kanzlerin Regierungskreisen zufolge die Stimmungslage in den Spitzen von CDU, CSU und SPD ganz richtig. Denn am Sonntag steckt die Koalition auch in einem zeitlichen Dilemma. Merkel wird am Abend zu einem Essen im Schloss Bellevue mit Präsident Frank-Walter Steinmeier und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erwartet. Am Nachmittag wird die Runde also auseinandergehen müssen.

Gleichzeitig wächst aber die Nervosität nach der Verschiebung des Koalitionsausschusses vom vergangenen Montag auf CDU-Wunsch. Vor allem die SPD will eine Einigung mit Blick auf den eigenen Parteitag. Auch die CSU-Spitze will das Thema abräumen und sich mit anderen Themen beschäftigen – zumal die Kosten wie schon bei der Mütterrente beim Bund und nicht in Bayern anfallen.

WORÜBER WIRD BEI DER GRUNDRENTE GESTRITTEN?
Eine Koalitions-Arbeitsgruppe unter Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und Heil hatte sich auf Grundzüge eines Kompromissmodells verständigt. Sie ließ aber offen, bis zu welchem Einkommensfreibetrag die Grundrente gezahlt und bis zu welcher Höhe geringe Rentenansprüche aufgestockt würden.

Alle drei Seiten sind sich einig, dass sie Geringverdienern mit 35 Jahren Beitragszahlungen eine Mindestrente zusichern wollen, die zehn Prozent über der Grundsicherung liegt. Entscheidende Frage, ob und wie eine Bedürftigkeit überprüft wird. Das Problem: Im Koalitionsvertrag wurde eine Bedürftigkeitsprüfung verabredet, die die SPD aber so nicht mehr will – und die auch die Kanzlerin vergangenen Dienstag in der CDU/CSU-Fraktion als "nicht administrierbar" bezeichnet hatte.

Zuletzt war durchgesickert, dass zwar auf das Streitwort "Bedürftigkeitsprüfung" verzichtet, aber "das zu versteuernde Einkommen" der Betroffenen für die Berechnung der Grundrente überprüft werden könnte. Viele Unions-Abgeordnete dringen darauf, dann aber zumindest einen sehr breiten Einkommensbegriff zu verwenden, der auch Einkünfte aus Mieten, Kapital und anderen Quellen berücksichtigt. Daneben gibt es viele andere kleine Baustellen bei der Klärung: Sie reichen von der Frage nach Rentenansprüchen von Geringverdienern, die nicht 35 sondern etwa 45 Jahre eingezahlt haben bis zur Debatte über einen höheren Freibetrag für Personen, die heute unter die Grundsicherung fallen.

WIE TEUER WÜRDE DIE GRUNDRENTE VERMUTLICH WERDEN?
Die Union spricht davon, dass ursprünglich in den Koalitionsverhandlungen nur an ein Volumen von 300 bis 400 Millionen Euro gedacht worden sei. Nun will sie die zusätzlichen jährlichen Ausgaben zumindest auf unter zwei Milliarden Euro begrenzen. Einigkeit besteht darin, dass das Geld aus dem Bundesetat kommen soll. Klar ist: Je härter die Kriterien bei der Überprüfung, desto kleiner die Gruppe möglicher Bezieher. Zuletzt waren Zahlen von zwischen 1,5 bis 1,8 Millionen Rentnerinnen und Rentner im Gespräch, je nachdem, bis zu welcher Einkommensgrenze eine Grundrente gewährt wird. Die "Bild am Sonntag" berichtete, ein aktuelles Kompromissmodell sehe für einen ledigen Rentner eine monatliche Einkommengrenze von 1300 Euro vor, für ein Ehepaar 1750 Euro.

WAS SIND DIE POSITIONEN VOR DER NEUEN VERHANDLUNGSRUNDE ZUR GRUNDRENTE?
Abgesehen von Machtkämpfen etwa in der Union zwischen Fraktion und Regierung sowie dem Wirtschafts- und Sozialflügel steckt der Teufel bei der Grundrente im Detail. "Es muss verhindert werden, dass mit der Beseitigung einer sozialen Ungerechtigkeit neue Ungerechtigkeiten ausgelöst werden", warnte etwa Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU).

"Eine Einkommensprüfung im Sinne eines Freibetrages (...) könnte in Sachen Zielgenauigkeit ein guter Kompromiss sein", sagte die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" – ohne Details zu nennen.

"Für uns ist wichtig, die Leistungen auf die zu konzentrieren, die sie brauchen. Dazu muss der Zugang zur Grundrente, also die Frage, wer sie erhalten soll, geklärt werden, indem der Bedarf festgestellt wird", stellte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in der Zeitung klar. Sinnvoll und notwendig seien auch Maßnahmen zur Stärkung der betrieblichen und privaten Vorsorge, "damit wir schon heute dafür sorgen können, dass Altersarmut für die Zukunft gar nicht erst entsteht", ergänzte sie. "Ein Gesamtpaket, das diesen Kriterien gerecht wird, ist vertretbar."

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet äußerte sich zuversichtlich, dass eine Einigung gelingen kann. "Verhandlungen haben das Ziel, dass sich Partner aufeinander zubewegen", sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident dem Tagesspiegel. Die Bedürftigkeitsprüfung solle "so unbürokratisch wie möglich sein". "Der Koalitionsvertrag hatte etwas sehr bürokratische Vorstellungen."

WAS SAGT DIE OPPOSITION ZUM THEMA GRUNDRENTE?
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck plädierte für eine beschränkte Bedürftigkeitsprüfung. "Sie sollen die Einkommensverhältnisse, wenn sie in einer Partnerschaft leben, kurz anzeigen, aber nicht die Vermögensverhältnisse aufdecken", sagte er im Deutschlandfunk. Ein solcher Kompromiss deute sich in der großen Koalition ja auch an.

Die FDP rief die Koalition zu einem Neustart auf. "Union und SPD sollten jetzt von diesem toten Pferd absteigen und ein neues, zielgenaues und durchfinanziertes Konzept mit Bedürftigkeitsprüfung gegen Altersarmut entwickeln", sagte der rentenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies auf das von seiner Fraktion vorgelegte Konzept einer Basis-Rente: "Kern ist, 20 Prozent der Rentenansprüche in der Grundsicherung im Alter von der Anrechnung freizustellen."

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch forderte die Bundeskanzlerin auf, die Frage zur Chefsache zu machen. "Ich erwarte, dass die Kanzlerin dieses Chaos mit ihrer Richtlinienkompetenz beendet", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Es kann nicht sein, dass der Koalitionsvertrag in einem so zentralen Punkt so lange nicht umgesetzt wird." (lem, Reuters, dpa)

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