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SPD-Chef vor dem Parteikonvent: Die Leiden des Sigmar Gabriel

Für Sigmar Gabriel geht es heute um alles: Auf dem kleinen Parteitag der SPD muss er die Vorratsdatenspeicherung durchboxen – es ist nicht sein einziges Problem. Wie steht der SPD-Chef zur Halbzeit der Wahlperiode da?

Harte Zeiten für Sigmar Gabriel. Nach einem missglückten Auftritt vor dem Edathy-Untersuchungsausschuss am Donnerstag muss der SPD-Chef heute auf einem kleinen Parteitag in Berlin um die Zustimmung seiner Genossen zur Vorratsdatenspeicherung kämpfen. Auch sonst läuft es nicht rund für den Wirtschaftsminister, Vizekanzler und Parteivorsitzenden. Schleppende Fortschritte bei der Energiewende, hartnäckiger Widerstand gegen das Freihandelsabkommen TTIP, wenig Erfolg im Streit mit dem Kanzleramt um die Freigabe der NSA-Spähliste, dazu Umfragewerte, die bei 25 Prozent stagnieren – zur Halbzeit der Wahlperiode fällt Gabriels Bilanz allenfalls durchwachsen aus. Ein Überblick.

Was steht beim Streit um die Vorratsdatenspeicherung für Gabriel auf dem Spiel?

Für den SPD-Chef geht es heute beim Parteikonvent im Willy-Brandt-Haus um alles. Erst auf sein Drängen hin hat Justizminister Heiko Maas (SPD) den Gesetzentwurf zur befristeten Speicherung von Telekommunikationsdaten überhaupt mit der Union ausgehandelt und vom Kabinett beschließen lassen. Für Gabriels Motive kursieren in der SPD unterschiedliche Erklärungen. Er wolle verhindern, dass die Sozialdemokratie nach einem möglichen Terroranschlag für ihre Verweigerungshaltung abgestraft werde, lautet die vorherrschende Deutung. Andere mutmaßen, Gabriel habe der Union ein Zugeständnis gemacht, weil er im Gegenzug auf Kompromisse bei der Energiewende hoffe, seinem wichtigsten Projekt als Minister.

Sicher ist: Sollten die Delegierten des Parteikonvents gegen das Ermittlungsinstrument stimmen, würde nicht nur Justizminister Maas, sondern auch Gabriel als Parteichef und Kanzlerkandidat in spe schwer beschädigt. Um die Kritiker – etwa 100 SPD-Gliederungen haben der Vorratsdatenspeicherung vor dem Konvent eine Absage erteilt – auf Linie zu zwingen, soll Gabriel intern sogar mit Rücktritt gedroht haben. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi erklärte derweil ganz offiziell, ein Nein der Basis gefährde die Regierungsfähigkeit der Partei.

In der SPD werden angesichts dieser Drohungen unangenehme Erinnerungen an den Basta-Kanzler Gerhard Schröder wach. Ihre Wirkung werden sie wohl dennoch nicht verfehlen. Selbst scharfe Kritiker der Vorratsdatenspeicherung rechnen fest damit, dass die heutige Entscheidung auf dem Konvent zu Gabriels Gunsten ausgehen wird. Gestärkt kann der SPD-Vorsitzende aber nur dann aus der Abstimmung hervor- gehen, wenn aus der großen Zahl der Kritiker eine kleine Minderheit wird.

Warum kann die SPD nicht stärker von der BND/NSA- Affäre profitieren?

Vor vier Wochen schien es so, als könne die SPD am Lack der Kanzlerin kratzen. Ein vorgegaukeltes No-Spy-Abkommen im Bundestagswahlkampf 2013, mangelhafte Kontrolle des BND durch das Kanzleramt, außerdem die geheime Spähliste, mit der die NSA den BND zur Ausforschung europäischer Firmen und Politiker eingespannt haben soll – all das ließ Angela Merkel plötzlich angreifbar erscheinen.

Gabriel und die SPD schalteten auf Angriff, forderten das Kanzleramt auf, die Liste notfalls auch gegen den Willen der USA den zuständigen Parlamentsgremien zugänglich zu machen. Man müsse gegenüber den USA auch mal „Rückgrat zeigen“, forderte Gabriel. Man dürfe sich „nicht zu Vasallen der USA machen und die Rechte des Bundestages ignorieren“, verlangte Fahimi.

Auf die großen Worte folgten dann aber nicht ganz so große Taten. So gab sich die SPD in dieser Woche mit dem Zugeständnis des Kanzleramts zufrieden, einem von Regierung und Koalitionsfraktionen gemeinsam benannten Sonderermittler Einsicht in die NSA-Spähliste zu gewähren. Der Ermittler soll dann einen Bericht an die Abgeordneten verfassen. Selbst Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) geht das nicht weit genug. In der SPD fühlen sich nun all jene bestätigt, die Gabriels Konfrontationskurs von Anfang an für nicht durchdacht gehalten und ein unrühmliches Ende der Profilierungsaktion vorausgesagt haben. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier soll zu dieser Gruppe zählen.

Warum wirkte Gabriel vor dem Edathy-Untersuchungsausschuss nicht überzeugend?

Der Verdacht verfolgt die SPD seit Beginn der großen Koalition: Haben Sozialdemokraten Sebastian Edathy vor Kinderporno-Ermittlungen gewarnt? Der Edathy-Untersuchungsausschuss sucht seit über einem Jahr Antworten. Doch der Beitrag der SPD-Spitze zur Wahrheitsfindung fällt bislang eher gering aus. Sie versucht vor allem, SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zu schützen, der sich in Widersprüche verwickelt hat.

So behauptet Oppermann bislang unter anderem, er sei von Gabriel über den Verdacht gegen Edathy informiert worden – und zwar am Nachmittag des 17. Oktober 2013. Danach will Oppermann spontan beim damaligen BKA-Chef Jörg Ziercke angerufen haben, um sich die Ermittlungen gegen Edathy bestätigen zu lassen. Der Anruf erfolgte nachweislich um 15.29 Uhr.

Vor dem Ausschuss sagte Gabriel am Donnerstag aber zunächst aus, er habe Oppermann an jenem 17. Oktober erst abends, vielleicht sogar erst am nächsten Tag informiert. Als Gabriel dann bewusst wurde, dass er Oppermann mit dieser Aussage belasten würde, ruderte er zurück. Er könne sich nicht genau an den Zeitablauf erinnern. Es sei „theoretisch“ auch möglich, dass er Oppermann am 17. Oktober vor 15.29 Uhr angerufen habe. Überzeugend wirkte das nicht. Dazu kommt: Für einen Anruf vor 15.29 Uhr bei Oppermann hatte Gabriel damals nur ein kurzes Zeitfenster. Bis 15.15 Uhr saß er nämlich in einer Sondierungsrunde von Union und SPD zur Bildung der großen Koalition.

Gabriels Auftritt vor dem Ausschuss fügt sich ins Bild. Sozialdemokratische Zeugen berufen sich vor dem Gremium meist auf Erinnerungslücken, wenn es eng wird. Sie erwecken so den Eindruck, der SPD gehe es in der Edathy-Affäre vor allem um Schadensbegrenzung.

Warum kommt die Energiewende nur schleppend voran?

Die Energiewende ist in einer Phase, in der schnelle Erfolge kaum noch erreichbar sind. Zwar haben Gabriel und sein Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im vergangenen Jahr geschafft. Doch alles, was beide seither angefasst haben, ist deutlich schwerer über die Ziellinie zu bringen. Der Netzausbau stockt, weil Bayern querschießt und weil landauf landab immer mehr Bürgerinitiativen den Sinn des ganzen Konzepts infrage stellen.

Wie der künftige Strommarkt aussieht, hat Gabriel zwar schon mehrfach durchklingen lassen. Doch mit einer Lösung, die darauf setzt, dass sich der Markt ohne politische Einmischung entwickelt, ist die Energiebranche nicht zufrieden. Zum einen, weil sie daran nicht glaubt. Zum anderen, weil sie viele Investitionen in konventionelle Kohle- und Gaskraftwerke in den Sand gesetzt hat und den Schaden nicht allein tragen will.

Der Wille der Kanzlerin, am Jahresende in Paris ein Deutschland zu präsentieren, das seine Klimaziele einhält, hat Gabriel obendrein einen Großkonflikt um die Kohle eingebracht. Seit Monaten streitet er mit Industrie und Gewerkschaften darüber, wie die Stromwirtschaft zusätzliche 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen kann. An keiner dieser Fronten geht es schnell voran, überall gibt es Grundsatzdebatten, als hätte es die Beschlüsse zur Energiewende nie gegeben. Gabriel muss den Macher geben, um sein Profil zu schärfen, müsste aber gleichzeitig ein begnadeter Moderator sein.

Wie hart muss Gabriel um Unterstützung für TTIP kämpfen?

Wie vor jedem SPD- Konvent machen globalisierungskritische Nicht-Regierungsorganisationen auch diesmal mobil, um die SPD doch irgendwann zu einem „Nein“ zum transatlantischen Handelsabkommen TTIP zu treiben. Tatsächlich ist die Skepsis an der Basis groß. Doch der derzeitige Verhandlungsstand ist so offen, dass Gabriel zumindest dieses Problem beim Konvent nicht auf die Füße fallen dürfte. Eines ist aber sicher: TTIP kommt wieder auf die Tagesordnung – und wird die SPD und ihren Chef auf eine weitere Probe stellen.

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