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Echte oder falsche Piraten? Eigentlich leicht zu unterscheiden.

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Mehr Basisdemokratie: Die Piraten sind Geschichte - rettet ihr Vermächtnis!

Zu Halloween 2014 mimen die Parteifunktionäre von SPD, CDU, Linke die Piratenpartei: Sie alle halten Mitgliederentscheide ab. Mit echter Basisdemokratie hat das aber wenig zu tun. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Die Piraten sind Geschichte. Doch in diesem Herbst könnte man fast meinen, da zeichne sich eine historische Hinterlassenschaft ab: Die Basisdemokratie ist der Parteientrend dieses Herbstes.

Berlin, Brandenburg, Thüringen, Baden-Württemberg, die Bundes-CDU: Alle lieben den Mitgliederentscheid

Allüberall werden zurzeit Mitgliederentscheide begangen oder geplant. In Berlin ist jüngst Stadtentwicklungssenator Michael Müller aus einem Mitgliederentscheid der SPD als Nachfolger von Klaus Wowereit hervorgegangen. In Brandenburg soll die Linken-Basis bis zum 30. Oktober über den Koalitionsvertrag mit der SPD abstimmen. In Thüringen befragt die Landesspitze der SPD ihre Mitglieder, ob sie Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei und den Grünen aufnehmen soll. Die Ergebnisse sollen am 4. November vorliegen. Auch in Baden-Württemberg wird zurzeit die Basis befragt, hier von der CDU. Die Christdemokraten im Südwesten dürfen über den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2016 abstimmen, Anfang Dezember werden die Stimmen ausgezählt.

Auf der Bundesebene plant CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der ohnehin als Pirat der Partei gilt, die Einführung von Mitgliederentscheiden. Im Rahmen einer groß angelegten Parteireform („Meine CDU 2017“) will der ambitionierte junge General auch über mehr Basisdemokratie debattieren lassen. Ein Mitgliederentscheid über den nächsten Koalitionsvertrag gehörte zu den über 1000 Vorschlägen, den die Mitglieder (!) an Tauber geschickt haben. Bis Mitte nächsten Jahres soll eine Reformkommission darüber debattieren.

Mit Basisdemokratie haben die aktuellen Mitgliederentscheide wenig zu tun

Mit der utopischen Basisdemokratie der Piraten hat all das in Wahrheit wenig zu tun. Man könnte sagen: Der Pirat ist das Lieblingskostüm der Parteifunktionäre zu Halloween 2014. Die Motive hinter den Mitgliederentscheidungen sind vielfältig, meist aber weniger demokratietheoretischer als strategischer Art.

Ein wichtiger Grund für die Vermehrung der Mitgliederentscheide dürfte der große Erfolg sein, den die Bundes-SPD vor rund einem Jahr hatte, als sie über den Koalitionsvertrag mit der Union entscheiden ließ. Mit der Basis im Nacken verhandelte es sich offenbar doppelt gut, jedenfalls brachte die Partei als Juniorpartner erstaunlich viele ihrer Forderungen unter. Es war ein geschickter Schachzug, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Gleichzeitig honorierte die Basis die Strategie mit 78 Prozent Beteiligung und rund 76 Prozent Ja-Stimmen.

In der Berliner SPD erfüllte der Mitgliederentscheid über die Wowereit-Nachfolge wohl vor allem die Funktion, die Flügelkämpfe zwischen den Anhängern der drei Kandidaten ohne politisches Blutvergießen zu lösen. In Brandenburg dürfte das Motiv sein, dass die Linken-Parteispitze nach der Wahlschlappe (18,6 Prozent im Vergleich zu 27,2 im Jahr 2009) die Basis wieder versöhnen will. Absicherung sucht man wohl auch wegen emotional umkämpfter Themen wie dem Braunkohletagebau.

Die Mitgliederentscheide werden zu einem Machtwerkzeug der Funktionäre

Ähnliche Motive dürften die CDU in Baden-Württemberg zum Mitgliederentscheid über den Kandidaten 2016 gebracht haben. Man hat wohl die Hoffnung, dass die Basis ein besseres Gefühl dafür hat, welcher Politikertypus beim Wähler ankommt. Wird es der markige Herr Strobl? Oder der freundliche Herr Wolf? In Thüringen wiederum versucht sich die SPD-Führung bei einer Richtungsentscheidung abzusichern, gilt doch die Koalition mit der Linken weiterhin als Tabubruch. Und auch Peter Tauber zieht die Basis-Karte nicht ohne Not. Dringend braucht die überalterte und schrumpfende CDU ihre ganz eigene „Attraktivitätsoffensive“.

Bezeichnend ist: Die Mitgliederentscheide werden von den jeweiligen Parteivorständen angeboten – und keineswegs von der Basis erzwungen, wie es etwa nach den Organisationsstatuten der SPD auch möglich wäre. Wann und wo sie eingesetzt werden, ist ziemlich willkürlich. Es geschieht dann, wenn es strategisch passt. So wird der Mitgliederentscheid zu einem Machtinstrument in den Händen der Funktionäre.

Natürlich kann ein Mitgliederentscheid die Logik der Parteiführung durchkreuzen und überraschende Ergebnisse bringen, wie die Wahl von Michael Müller gezeigt hat. Wirklich gewonnen aber wäre erst etwas, wenn man sich in den Statuten von vornherein für bestimmte Fälle auf einen Mitgliederentscheid festlegte. Die SPD-Statuten sehen den Mitgliederentscheid etwa für die Kanzlerkandidatenfrage vor, bislang als „kann“-Klausel. Wie wäre es, sich darauf zu verpflichten? So würde aus dem Funktionär im Piratenkostüm ein funktionierender Pirat.

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