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Türkischer und deutscher Pass

© dpa

Doppelte Staatsbürgerschaft: Identität ist keine Frage des Passes

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist richtig, entfaltet aber keine Wunderkräfte. Sie sollte eher die Ausnahme als die Regel sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wie wär’s mit etwas angelsächsischem Pragmatismus? Doch deutsch sein heißt bekanntlich, eine Sache um ihrer selbst willen zu betreiben. So bricht der Glaubensstreit um die doppelte Staatsangehörigkeit erneut auf. Dabei ist sie weder das „große Integrationshindernis“, zu dem die Innenminister von CDU/CSU sie im Entwurf ihrer Berliner Erklärung verdammen. Noch das Heilmittel bei der Integration, als das SPD und Grüne sie anpreisen.

Dass Millionen Menschen zwei Pässe haben, ist in der modernen Welt unvermeidbar. Weder das Ortsprinzip, wo ein Mensch geboren wurde, noch das Abstammungsprinzip, nach dem der Pass der Eltern entscheidend ist, gibt eine allgemeingültige Antwort, welche Nationalität und Identität ein Mensch hat. Man kann Kindern deutscher Ingenieure und Entwicklungshelfer schlecht abverlangen, sich als Sambier oder Nigerianer zu fühlen, nur weil sie dort geboren wurden. Ebenso wenig kann man jungen Menschen, die in Deutschland zur Welt kommen, zur Schule gehen und hier bleiben, sagen, dass der Staat sie als Ausländer betrachtet, weil ihre Eltern keinen deutschen Pass hatten. Sowohl das Boden- als auch das Abstammungsprinzip haben eine Berechtigung. Manche Staaten praktizieren das eine, andere das andere, außerdem gibt es gemischt-nationale Ehen. Die Fülle des Lebens lässt sich nicht in eindeutige Schemata pressen.

Die Reform 1998 war überfällig

Gleichwohl war es überfällig, dass die rot-grüne Bundesregierung 1998 das veraltete deutsche Staatsangehörigkeitsrecht modernisierte. Es ist freilich erstaunlich, dass sie die guten Gründe ignorierte, die für das internationale Prinzip sprechen, doppelte Staatsangehörigkeiten als Ausnahme zu betrachten und im Zweifel zu vermeiden. Die unterschiedlichen Pässe eines Menschen können Konflikte bedeuten, Loyalitätskonflikte, rechtliche Konflikte. Im Verteidigungsfall verlangt ein Staat, dass junge Männer mit seinem Pass Wehrdienst leisten. Manche junge Männer nehmen aus eigenem Antrieb an Kämpfen ihres Volkes teil. Schlimm genug, dass Serben, Kroaten, Bosnier, Kosovaren während der Balkankriege hier in Deutschland in Konflikt gerieten. Manche zogen hin, um mitzukämpfen. Hätte es die erleichterte Einbürgerung samt Doppelpass ein Jahrzehnt früher für Jugoslawen gegeben, wer weiß, wie viele Pass-Deutsche auf Pass-Deutsche geschossen hätten, ohne innerlich je Deutsche geworden zu sein.

Solche, in der Fachdiskussion wohlbekannten Argumente spielten 1998 in der Multi-Kulti-Begeisterung keine Rolle. Zudem herrschten technokratische Allmachtsfantasien vor. Wenn man nur genug an das Gute glaube, könne man Zuwanderer durch Verwaltungsakte zu loyalen Anhängern unserer Grundordnung machen. Menschen reagieren jedoch viel komplizierter. Und zugleich simpler.

Das Empfinden der eigenen Identität und Nationalität kann man nicht per Schalter umlegen. Die praktischen Erleichterungen, die ein zusätzlicher Pass auf die Schnelle verspricht, nimmt man gern, in der Regel, ohne sich viel Gedanken über die Konsequenzen zu machen. In den 1980er Jahren, in Zeiten der Ost-West-Teilung und verbreiteter Visapflicht, bot ein bundesdeutscher Pass Polen und anderen Osteuropäern erhebliche Vorteile, zehn Jahre später nicht mehr, da konnten sie in viele Länder visafrei reisen.

Manche finden es immer noch zu mühsam, Deutsche zu werden

1998 argumentierten manche, man könne antiquierte türkische Rechtsvorgaben durch den Doppelpass überlisten. Die Klausel, dass nur Staatsbürger Grundbesitz in der Türkei erwerben dürfen, sei der Grund, warum so wenig hier lebende Türken sich einbürgern lassen. Doch erstens ist es nicht die Aufgabe deutschen Staatsangehörigkeitsrecht, Missstände anderswo zu korrigieren. Zweitens erfüllte sich die Erwartung nicht. Die Zahl der Einbürgerungen hier lebender Türken wuchs nicht rasch. Auch dafür gibt es nicht nur eine zulässige Erklärung. Manche finden es immer noch zu mühsam, Deutsche zu werden. Anderen fehlt gar nichts, wenn sie mit anderem Pass, aber deutschem Aufenthaltstitel hier leben.

Ein Pass kann für manche ganz viel bedeuten: die Gewissheit, willkommen zu sein, dazu zu gehören, endlich frei wählen zu dürfen. Für andere ist er nur ein Papier, das manches vereinfacht und zu nichts verpflichtet. Unsere Gesellschaft sollte sich und den Zuwanderern immer wieder klar machen, dass er kostbar ist, dass er Schutz und Hilfe bedeutet, aber auch Pflichten mit sich bringt.

Ein Pass entfaltet keine Wunderkräfte. Ebenso wenig tun das zwei Pässe. Ob sie den Wanderern zwischen zwei Kulturen helfen, den Weg ins neue Leben zu finden, oder ihn durch Verlängerung der zweifachen Loyalität erschweren, entscheidet sich im Einzelfall. Man kann kein Dogma daraus ableiten.

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