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Gerd Müller (CSU) ist seit 2013 Entwicklungsminister.

© Thomas Trutschel/photothek.net

Entwicklungsminister Müller: "Rückkehrer gelten in Marokko und Tunesien als Verlierer"

Entwicklungsminister Gerd Müller will nordafrikanischen Staaten nicht mit Mittelkürzung drohen. Und der CSU-Politiker sagt: Das Problem Hunger ist lösbar, wenn wir es wollen.

Herr Müller, die Innen- und der Justizminister wollen Staaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen, die Entwicklungshilfe kürzen. Eine gute Idee?

Entwicklungszusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten bedeutet: Wir schaffen Ausbildungsplätze, unterstützen die Kommunen beim Aufbau der Verwaltungen und fördern die Landwirtschaft, um der Bevölkerung eine Perspektive zu geben. Dort auszusteigen, würde die Ärmsten treffen und sie in Hoffnungslosigkeit zurückzulassen. Das würde nur neue Probleme schaffen. Es ist wichtig, die Maghreb-Staaten wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren und als gemeinsamen Wirtschaftsraum mit und für Europa zu entwickeln. Tun wir das nicht, würde der Flüchtlingsdruck noch zunehmen. Marokko und Tunesien sind vom Terror selbst am meisten betroffen. In Tunesien ist der Tourismus eingebrochen. Deshalb haben die Behörden dort ein großes Interesse, mit Deutschland zusammenzuarbeiten, auch bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Wir haben beispielsweise vereinbart, in Tunesien und in Marokko jeweils ein Rückkehrzentrum aufzubauen. Dort bekommen in Deutschland abgelehnte Asylbewerber ganz praktische Unterstützung für ihren Neustart in ihren Heimatländern.

Diese Rückkehrzentren sind eine Art Evergreen der politischen Debatte. Die hießen schon mal Auffanglager in Nordafrika – und sind nie umgesetzt worden, oder?
Ich spreche nicht von Lagern. Abgelehnte Asylbewerber sollten zunächst ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzukehren, auch schon vor Abschluss des Verfahrens. Marokkaner und Tunesier haben nahezu keine Chance, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Sie kehren deshalb nicht freiwillig zurück, weil sie dort dann als Verlierer gelten, die den Schleppern Geld bezahlt haben und mit nichts nach Hause kommen. Deshalb machen wir ihnen ein Angebot, sie dort zum Beispiel in Beschäftigungsprogramme zu integrieren.

Aber eigentlich geht es doch um Kriminelle. Ist es weise, solche gefährlichen jungen Männer in schon fragile Staaten zurückzuschicken? Es geht ja nicht um viele …
An dieser Stelle möchte ich schon einmal feststellen, dass 99 Prozent der Flüchtlinge keine Kriminellen sind. Es gibt sie, das stimmt, und ein kleiner Teil von ihnen hat sich auch in Deutschland kriminalisiert oder radikalisiert. Das war ja auch beim Berliner Attentäter Anis Amri der Fall. Deshalb muss jedes Land seine Hausaufgaben machen. Tunesien hat in der Tat ein großes Problem mit einer radikalisierten Jugend. Der Ausgangspunkt ist die hohe Arbeitslosigkeit. Aber Tunesien ist auf einem guten Weg. Mehr als 300 deutsche Firmen haben dort investiert und erzielen gute Erfolge. Beide Länder und auch Algerien und Ägypten haben sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, allein in Ägypten sind es inzwischen rund drei Millionen. Marokko nimmt jedes Jahr 30 000 Afrikaner von südlich der Sahara auf, und auch Tunesien. Sie fangen somit einen Teil des Drucks aus Sub-Sahara-Afrika ab. Deshalb haben wir ein großes Interesse, dass sich diese Länder stabil entwickeln.

Das Kabinett hat am Mittwoch eine Neuauflage der Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Sind Sie damit zufrieden?
Das ist ein erster wichtiger Schritt. Aber aus meiner Sicht könnten wir natürlich noch weiter gehen. Zum Beispiel in den globalen Wertschöpfungsketten soziale und ökologische Mindeststandards zu vereinbaren. Das kann und darf nicht nur für das Textilbündnis gelten, sondern muss auf möglichst viele Branchen übertragen werden. Außerdem erwarte ich, dass die öffentliche Hand die Vorgaben bei der Beschaffung schneller umsetzt. Ich habe kein Verständnis, wenn wir heute in Ministerien und Büros der öffentlichen Hand nicht auf fairen Kaffee oder faire Textilien umstellen. Die Ministerien müssen vorangehen, ich wünsche mir das auch bei den Kirchen und anderen. Das BMZ hat ein Raster zur Zertifizierung von Behörden erarbeitet. Das fängt im Keller mit der Heizung an und hört beim Tisch in den Chefetagen aus nachhaltig erzeugtem Holz auf. Das wird kommen. Die Kanzlerin schenkt dem Thema hohe Aufmerksamkeit.

Kernstück der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele ist die Überwindung des Hungers bis 2030. Kann das klappen?
In Afrika ist das möglich. Es gibt dort genügend Wasser und Boden, um vom Importeur zum Exporteur von Nahrungsmitteln zu werden. In Afrika liegen 60 Prozent der Welt-Brachflächen, die für die Landwirtschaft genutzt werden könnten. Außerdem kann die Produktivität steigen. Der Durchschnittsertrag für Getreide liegt bei etwa einer Tonne pro Hektar. In Europa sind es fünf bis acht Tonnen. Nun ist nicht alles vergleichbar. Aber das zeigt: Theoretisch kann die Erde zehn Milliarden Menschen ernähren, wenn wir in die Ausbildung von Kleinbauern und vor allem Bäuerinnen investieren. Vor allem auch in Landrechte für Frauen.

Reicht das?
Wir müssen in die Lagerung von Agrarprodukten investieren. Es ist für mich unvorstellbar, dass in Indien und auf dem afrikanischen Kontinent 40 bis 50 Prozent der Ernte einfach verrottet. Die Ernte von Reis, Mais oder Hirse wird einfach auf dem Feld gelagert. Durch Nässe, Schädlingsbefall oder Schimmel geht die Hälfte einfach verloren. Das einfachste ist es, Silos aufzustellen, um die Ernte zu lagern. Das erfordert keine großen technischen Voraussetzungen. Und die verarbeitende Industrie muss gefördert werden. Dazu helfen wir bei der Gründung von Genossenschaften. Denn die Großstruktur ist nicht die Antwort. Das Problem Hunger ist lösbar, wenn wir es wollen.

Was tut Deutschland?
Wir haben in 14 Innovationszentren das Wissen über Anbausysteme, Pflanzenschutz, bessere Anbaumethoden gesammelt und bilden Jugendliche und Frauen aus. 13 Zentren laufen schon, ein weiteres eröffnet dieses Jahr in Mosambik. Wir haben jetzt schon mehr als 220 000 Menschen ausgebildet. Wir arbeiten dabei auch mit der Hermes-Akademie, dem Bauernverband und den Landfrauen. Unser Ziel ist, eine Million Kleinbauern zu schulen, damit sie ihre Einkommen steigern können und neue Arbeitsplätze schaffen. Hunger ist ein Problem der Armut. Es ist ja paradox: Drei Viertel der Menschen hungern da, wo die Nahrungsmittel produziert werden. Um der zunehmenden Verstädterung und Verslumung entgegenzuwirken, müssen sich die ländlichen Regionen besser entwickeln. Es kann nicht die Lösung sein, dass Hunderte Millionen Menschen in den Ballungszentren eine Zukunft sehen, obwohl sie dort keine Wohnungen, keine Arbeit finden, verslumen und in Kriminalität oder Prostitution abrutschen.

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