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Die heimische Flagge zählt mehr als europäische Solidarität - nicht nur für den Briten Cameron.

© Alain Jocard/AFP

EU-Flüchtlingspolitik: Europa uneins über Flüchtlingskrise

Die EU ist erneut daran gescheitert, sich die Verantwortung für die in Europa ankommenden Flüchtlinge zu teilen. Einen verbindlichen Schlüssel, der alle Mitgliedsstaaten in die Verantwortung nimmt, wird es nicht geben.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich auf ihrem Brüsseler Gipfel am Freitag lediglich darauf geeinigt, dass man sich um 60 000 in der EU Gestrandete kümmern werde. Welche Mitgliedsstaaten sie aufnehmen werden und wie viele, ist jedoch in deren Ermessen gestellt. 40 000 werden aus den stark belasteten südlichen EU-Staaten Italien und Griechenland in andere europäische Länder gebracht werden, weitere 20 000 Menschen sollen zusätzlich aufgenommen werden, großenteils Kriegsflüchtlinge aus Syrien, die in der Nachbarschaft ihres Heimatlandes in Lagern leben.

"Solidarität funktioniert nur für Finanzkrisen"

Die kontroverse Debatte um die Flüchtlingspolitik dauerte bis in die frühen Morgenstunden des Freitags. Kritik am Ergebnis kam danach aus allen politischen Lagern. Belgiens Regierungschef Charles Michel sprach von einer „betrüblichen
Entscheidung“. "Für einige Länder gibt es Solidarität ausschließlich, wenn es ihnen in den Kram passt." Der italienische Regierungschef Matteo Renzi warf den Kritikern in der Sitzung einen Mangel an Solidarität vor. „Wenn dies eure Idee von Europa ist, dann könnt ihr sie behalten", sagte Renzi italienischen Diplomaten zufolge. Am Freitagvormittag bezeichnete er das Ergebnis dann öffentlich als „kleinen Schritt nach vorne“. Joseph Muscat, der Premierminister des ebenfalls stark von hohen Flüchtlingszahlen betroffenen Malta, hatte den EU-Kolleginnen und Kollegen noch vor dem Gipfel vorgeworfen, ihre Solidarität funktioniere nur, wenn Finanzkrisen zu lösen seien: „Aber wo ist die Unterstützung für Länder, die sich einer humanitären Krise gegenüber sehen?“ fragt Muscat in einem Brief an die Direktorin des Kampagnennetzwerks Avaaz, Alice Jay, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Konservativer Fraktionschef: So geht es nicht weiter

Auch der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), kritisierte den Flüchtlingsbeschluss von Brüssel. „Die Freiwilligkeit bei der Aufteilung von Flüchtlingen wird scheitern“, sagte Weber dem Tagesspiegel. „So können die EU-Staaten nicht weitermachen“, sagte Weber weiter. Weber forderte, dass der Vorschlag der EU-Kommission, eine feste Verteilungsquote für die Flüchtlinge festzulegen, auf der Tagesordnung bleiben müsse. „Die Quote ist nicht vom Tisch“, sagte der CSU-Politiker. Die EU-Kommission müsse bald einen Gesetzesvorschlag für einen festen Solidaritätsmechanismus vorlegen, forderte er. In diesem Fall gelte „nicht mehr die Einstimmigkeit, sondern die Mehrheitsentscheidung inklusive volle Mitentscheidung des Europäischen Parlaments“. Die Migrationsströme seien „das zentrale gemeinsame Problem der kommenden Jahre“, so Weber. „Europa muss solidarisch handeln. Heute agieren manche Mitgliedstaaten nur aus nationalem Egoismus.“

Widerstand von Ungarn bis Irland

Harten Widerstand gegen verbindliche Vorschriften hatten im Vorfeld des Gipfels die in der Visegrad-Gruppe zusammengeschlossenen osteuropäischen Staaten Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen angekündigt. Großbritannien, Dänemark und Irland wehrten sich ebenfalls dagegen, Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Aber auch die beiden EU-Großen Deutschland und Frankreich hatten noch Anfang Juni die Vorschläge der EU-Kommission für einen verbindlichen Schlüssel kritisiert und Auffangzentren für Flüchtlinge nahe von deren Ankunftsorten gefordert – also ebenfalls im europäischen Süden.
Die Grünen-Migrationspolitikerin im Europäischen Parlament Ska Keller, sprach von einem „schwarzen Tag“. Die Entscheidung gehe Europa „an die Substanz“. Sie sei gespannt, welches Ergebnis die freiwillige Übernahme von Flüchtlingen funktionieren werde, erklärte Keller und erinnerte an eine ähnliche Aktion vor zwei Jahren. Damals hätten die EU-Partner nicht einmal hundert Plätze für Flüchtlinge aus Malta geschaffen.
Die Kanzlerin nannte die Flüchtlingsfrage beim Gipfel eine der "größten Herausforderungen, die ich in meiner Amtszeit bezüglich der Europäischen Union gesehen habe". Bis Europa sich dieser Aufgabe gewachsen zeige, „wird also noch viel Arbeit sein“.

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