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Politik: Europas Linke: Tony Blairs Pannen, Pech und Populismus (Kommentar)

Tony Blair wird langsam von Enten zu Tode gebissen. Darunter verstehen die Briten eine Pechsträhne, eine Reihe von Fehlschlägen, die - jeder allein - durchaus zu bewältigen sind, zusammengenommen jedoch zum Ende führen können.

Tony Blair wird langsam von Enten zu Tode gebissen. Darunter verstehen die Briten eine Pechsträhne, eine Reihe von Fehlschlägen, die - jeder allein - durchaus zu bewältigen sind, zusammengenommen jedoch zum Ende führen können. Die letzten Wochen waren hart für den Strahlemann unter den europäischen Politikern. Mit der Wahl des Labourlinken Ken Livingstone zum Londoner Oberbürgermeister wurde sein "schlimmster Albtraum" wahr. Blair hatte Livingstones Kandidatur mit allen Mitteln zu verhindern versucht und ihn sogar aus der Partei ausgestoßen. Doch der "rote Ken" gewann haushoch gegen Blairs Favoriten.

Dann brachten die Kommunalwahlen in England und Wales eine peinliche Schlappe. Und der notorisch gesittete und höfliche Frauenverband buhte Blairs politische Grundsatzrede nieder. Früher war der jugendliche Prime Minister bei öffentlichen Auftritten wie ein Sonnenkönig gefeiert worden. In einem kürzlich durchgesickerten Geheimpapier beklagte Blair, die Bürger sehen ihn und die Regierungspolitik als "zu weich" an und glaubten, er habe "den Instinkt für britische Gefühle verloren".

Die Entenbisse zeigen Wirkung: Vor einem Jahr lag Blair noch 20 Prozent vor dem konservativen Oppositionsführer William Hague, jetzt nur noch zehn. Nach Schwindel erregenden Höhenflügen ist Blair im letzten Drittel vor den Neuwahlen jäh auf dem Boden der britischen Alltagsprobleme angelangt. Der weitere Weg wird mühsam. Und teuer. Im Gegensatz zu der "epochalen" Reform der Verfassung des Königreiches, die Schottland und Wales mehr Rechte und Eigenständigkeit brachten, kosten ein besseres Verkehrswesen, bessere Krankenhäuser und Schulen vor allem Geld. Viel Geld, denn es besteht erheblicher Nachholbedarf. Die Bürger empören sich, dass schwer kranke Patienten durch das ganze Königreich gekarrt werden, um endlich ein Bett zu finden. Sie wundern sich, dass nach all den vollmundig verkündeten Verbesserungen eine Grippewelle zum Kollaps der Krankenhäuser führte. Und dass trotz drakonischer Reden des Innenministers die Kriminalität weiter steigt. Doch Blair und sein Schatzkanzler Gordon Brown sind Gefangene ihrer strengen Haushaltspolitik, die ihnen das Wohlgefallen von Wirtschaft und Finanzwelt sichert.

Opposition und Presse werfen der Regierung vor, dass die "Spindoctors" im Informationsamt der Regierung nur Scheinerfolge verkaufen. Auch bei der Parteibasis wächst der Unmut über Blairs "inneren Zirkel" - allen voran Regierungssprecher Alastair Campbell. Dank des Klüngels, ärgert sich die tradionelle Wählerschaft, sei die alte Arbeiterpartei zur Hochburg politischer Opportunisten geworden. Blair hat Old Labour gründlich zu New Labour umgestaltet. Nun bezahlt er diese radikale Parteireform mit der schwindenden Loyalität der Stammwähler. Die bürgerlichen Wechselwähler aber, die ihn ins Amt gewählt haben, sind indifferent. Bei nächster Gelegenheit können sie ihn wieder fallen lassen.

Weil Blair, so seine Kritiker, in seiner Partei auf niemand mehr Rücksicht zu nehmen braucht, setzt er sich auch arrogant über die öffentliche Meinung hinweg. So führte seine Eigenmächtigkeit geradewegs zum Desaster des "Millennium Dome" und zu Livingstones Sieg in London. Der Versuch, diese Niederlagen durch "populistische" Schnellschüsse wie die Kriminalisierung betrunkener Jugendlicher und Erfolgsgehälter für Lehrer wettzumachen, schlug fehl. Beide Vorstöße wurden peinlicherweise von Experten und Gerichten abgelehnt.

Blair scheint daraus gelernt zu haben. Nicht mehr Image, sondern Inhalt ist angesagt - sogar wenn dafür die rigide Haushaltspolitik fällt. In der letzten Woche verkündete Schatzkanzler Brown, dass es mehr Geld für Gesundheit, Erziehung, Verkehr und den Kampf gegen Kriminalität geben wird. So will Blair die Parteibasis und das bürgerliche Lager wieder gewinnen. Er muss beweisen, dass das Ideal einer fairen Gesellschaft sich durch effiziente Wirtschaftspolitik verwirklichen lässt. Mit diesem Versprechen hat er die letzte Wahl glanzvoll gewonnen. Nur wenn er es erfüllt, ist ihm eine zweite Amtsperiode sicher.

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