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Politik: Fall Gussinskij: Journalisten fürchten nach der Freilassung des Medienmoguls Repressalien

Wladimir Gussinskij kann nicht klagen. Das hat ein Gericht in Moskau am gestrigen Dienstag entschieden.

Wladimir Gussinskij kann nicht klagen. Das hat ein Gericht in Moskau am gestrigen Dienstag entschieden. So reagiert die russische Justiz auf die Verhaftung des Medienmoguls. Während der russische Präsident Wladimir Putin in der vergangenen Woche nach Berlin gereist war, hatte die russische Generalstaatsanwaltschaft den Kreml-kritischen Unternehmer festgenommen. Dies hatte Wogen des nationalen und internationalen Protestes ausgelöst, woraufhin Gussinskij am Freitag wieder - ebenso unerwartet - freikam.

Überraschend ist auch die Erklärung des Gerichts, warum es die Klage Gussinskijs abweist: Zu Unrecht gingen die Anwälte des Medienunternehmens gegen eine "ungesetzliche Verhaftung" vor, denn er befände er sich doch schon wieder auf freiem Fuß. Erstaunlich - zumindest aus deutscher Sicht - ist allerdings auch der Grund für Gussinskijs Freilassung: Ihm kommt das im Monat zuvor verabschiedete Amnestie-Gesetz zugute. Dies gewährt Trägern hoher staatlicher Auszeichnungen gegenüber der russischen Justiz eine besondere Behandlung. Gussinskij muss aber vorläufig im Land bleiben.

Gegen die Abweisung der Klage wollen die Anwälte Gussinskijs nun Berufung einlegen. Auch den Grund für die Festnahme nannte ein Sprecher des Medienmoguls "absurd": Die Staatsanwaltschaft wirft Gussinskij vor, mit den Chefs des Staatsunternehmens "Russkoje Video" den russischen Staat um etwa zehn Millionen US-Dollar betrogen zu haben. Sicher ist zumindest, dass Steuerbetrug in Russland nichts Besonderes ist, und dass die russischen Staatsanwälte mit diesem Verdacht mindestens die halbe russische Geschäftswelt verhaften könnten. Deswegen vermutet nicht nur Gussinskij hinter der Festnahme eine Intrige des Kreml. Sowohl Moskaus einflussreicher Bürgermeister Jurij Luschkow, als auch der liberale Politiker Boris Nemzow sowie die kleine, unabhängige Zeitung "Nowaja Gazeta" - alle erwähnen immer wieder einen Namen: Alexandr Woloschin, Chef von Putins Präsidialamt. Dieser, so behaupten sie einhellig, vertrete die Interessen des Jelzin-Clans und damit auch die des Finanzoligarchen Boris Beresowskij, dem neben Öl- und Aluminiumfirmen auch der Fernsehkanal ORT gehört. Woloschin, der schon zu Jelzins Zeiten im Kreml agierte, steht ihrer Meinung nach hinter der Festnahme Gussinskijs. Als die Staatsanwaltschaft am 11. Mai überraschend die Räume von Gussinskijs Medienimperium Media-Most durchsuchte, hatten viele ebenfalls Woloschin verdächtigt. Schon damals nämlich vermuteten sie, dass die Kreml-kritische Berichterstattung von Media-Most - insbesondere über den Tscheschenienkrieg - dem Kreml missfiel. Sicher ist, dass Woloschin vor seiner Zeit im Kreml einige Jahre für Beresowskij gearbeitet hat, heute aber sogar bestreitet, ihn zu kennen.

Sicher ist auch, dass die alte Kreml-Garde noch immer versucht, ihre Macht zu erhalten. So ist auch der Kampf des Wirtschaftsministers German Gref für gewisse wirtschaftliche Reformen zu sehen, der bisher am Widerstand des Premierministers Michail Kasjanow gescheitert ist - auch Kasjanow gilt als Vertrauter Beresowskijs. Am Dienstagabend feierte Gussinskij erst mal einen kleinen Triumpf: Er nutzte seinen Fernsehsender NTW, um selbst zu seinen Landsleuten zu sprechen. Gewiss ist, dass noch weitere Angriffe auf Gussinskij folgen werden. Dessen ist sich auch Dimitrij Sabow, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung "Itogi" sicher, die zu Most gehört. Denn Media-Most ist das einzige Kreml-unabhängige Medienkonsortium. Für Sabow hat die Festnahme jedenfalls eins gezeigt: "Einige Leute im Kreml wollen uns einschüchtern, ganz so wie es zu Sowjetzeiten der KGB getan hat." Und diese Praktiken kennt auch Putin.

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