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Zumindest zu Zweidritteln führen auch Merkel und Westerwelle nur noch eine Minderheitsregierung. Die Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb ist futsch.

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Föderalismus: Merkels Zwei-Drittel-Regierung

Nicht nur in Nordrhein-Westfahlen regiert ab Mittwoch eine Minderheitsregierung, auch die Bundesregierung ist zukünftig zumindest bei zwei von drei Gesetzen von der Opposition abhängig. Deutschland wird sich daran gewöhnen müssen.

Nordrhein-Westfalen macht es möglich, die Minderheitsregierung ist in aller Munde, als Modell, als Vision, als möglicher Ausweg aus den vielfältige Blockaden, die bei der Suche nach Mehrheiten im Fünf-Parteinsystem entstehen können. Noch tun sich die Deutschen jedoch schwer mit dem Gedanken daran. Schließlich ist die Minderheitsregierung das Gegenteil von jener Klarheit, die sie bei der Verteilung der Macht erwarten.

Hier die Regierung, dort die Opposition, so soll Politik funktionieren. Deshalb wurde der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel von den eigenen Leuten sofort zurückgepfiffen, als dieser kurz und auch nur ganz vage den Eindruck erweckte, er könne sich nach der Bundestagswahl mit weniger als der absoluten Mehrheit für eine SPD-geführte Bundesregierung zufrieden geben. Minderheitsregierungen sind etwas für die Skandinavier, die sowieso kaum Probleme haben und die Italiener, bei denen Chaos einfach dazu gehört.

Dabei werden die Zeiten, in denen eine Bundesregierung einfach durchregieren konnte, immer kürzer. Für Schwarz-Gelb sind sie vorbei. Wenn am Mittwoch Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfahlen an die Spitze einer rot-grünen Minderheitsregierung gewählt wird, dann ändern sich auch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist ab sofort also schon zu Zwei-Dritteln eine Minderheitsregierung. Bei allen zustimmungspflichtigen Gesetzen sind Merkel und Westerwelle darauf angewiesen, dass entweder die SPD oder die Grünen in der Länderkammer mitmachen.

Nicht Klarheit sondern Konsens heißt zukünftig das Motto der Bundesregierung. Gleichzeitig wird neben dem Bundestag und dem Bundesrat der gemeinsame Vermittlungsausschuss zur entscheidenden politischen Instanz der Politik. Neu ist das nicht. Schon die Bundeskanzler Helmut Kohl (ab 1991) und Gerhard Schröder (ab 1999) mussten im Bund gegen eine Bundesratsmehrheit regieren, große Reformwerke wie die Einführung des Großen Lauschangriffs und der Agenda 2010 wurden deshalb von Regierung und Opposition gemeinsam verabschiedet.

Aber so schnell wie Schwarz-Gelb hat noch keine Bundesregierung die doppelte Mehrheit wieder verspielt. Kopfpauschale, Arbeitsmarktreform, Bafögerhöhung; vieles, was sich diese für die kommenden Monate vorgenommen hat, muss sie auch durch den Bundesrat und vermutlich den Vermittlungsausschuss bringen. Die Frage, ob auch der Ausstieg aus dem Atomausstieg dazugehört, wird wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Die unterschiedlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat sind, wenn man so will, die deutsche Variante der französischen Cohabitaion. Der föderale Zwang zur Konsenssuche zwischen Regierung und Opposition könnte in Berlin zukünftig sogar zur Regel werden. Im Fünf-Parteiensystem wird es immer unwahrscheinlicher, dass eine Bundesregierung überhaupt noch einmal auch im Bundesrat über eine Mehrheit verfügt. Schon jetzt gibt es in den sechzehn Bundesländern sieben verschiedene Koalitionsmodelle, von Rot-Rot bis Schwarz-Gelb-Grün, Tendenz steigend.

Die Deutschen werden sich also daran gewöhnen müssen, dass Mehrheit in der Politik immer seltener Mehrheit bedeutet, sich die Machtfrage in der Regel nicht mehr so einfach beantworten lässt. Auch der Schritt von der Zweidrittel-Regierung zur Minderheitsregierung ist dann nur noch ein kleiner.

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