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Frankreich: Eine schmerzhafte Phase

François Hollande ist der unbeliebteste Präsident, den Frankreich je hatte. Und der erfolgloseste: Frankreichs Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Gerade als er den Rettungsplan präsentieren will, fährt ihm sein eigenes Privatleben in die Parade. Kann Hollande seine politische Agenda noch retten?

Die Ausgabe des „Closer“ schmückte jeden französischen Kiosk. Es waren 600 000 Exemplare, doppelt so viele wie normal. Auf der Titelseite, wo sonst Fußballstars, Busenwunder oder die Herzogin von Windsor um ihre Privatsphäre bangen müssen, der Präsident: François Hollande, auf dem Weg zu einem Rendezvous mit der Schauspielerin Julie Gayet, so legt es jedenfalls die sieben Seite lange Reportage im Inneren des Heftes nahe.

Es ist der vergangene Freitag, der Tag, an dem die Franzosen ihren Präsidenten als den Mann kennenlernen, der er immer sein wollte: Monsieur Normal. Der Präsident also ein ganz gewöhnlicher Bürger, der sich vom Durchschnittsfranzosen nicht wesentlich unterscheidet. Jemand, der fremdgeht; der sich kleine Kniffe ausdenkt und sein Gesicht unter einem Motorradhelm kaschiert, um zu seinem kleinen Glück zu kommen. Aber kann das wirklich sein? Kann der Präsident sich auf dieses Niveau begeben?

Am selben Tag wird Hollandes Lebensgefährtin Valérie Trierweiler ins Krankenhaus gebracht. Offizielle Begründung: „nervöse Erschöpfung“. Ein Nervenzusammenbruch also, womöglich sogar ein Selbstmordversuch? Auf Twitter laufen die Gerüchte heiß. Oder ist es nur eine besonders entwaffnende Strategie im Kampf um einen Mann, der eine Frau wie sie, die bereits gedemütigt am Boden liegt, nicht verlassen kann, weil er ihr damit vor aller Welt den letzten Tritt versetzen müsste? Als sie noch vom Krankenbett aus wissen lässt, dass sie ihrem Lebensgefährten verzeihen würde, gibt es mehr als einen, der findet, dass man dieser Frau keine Träne nachweinen müsse. Die Franzosen mögen Valérie Trierweiler nicht und mochten sie nie. Sie trauen ihr deshalb alles zu. Das Mitleid für sie hält sich in Grenzen.

Es gibt wohl im Leben kein richtiges Timing für Situationen wie diese. Sie kommen immer zur falschen Zeit. Aber im Fall von François Hollande ist ein schlechteres Timing eigentlich nicht vorstellbar gewesen. Es ist so schlecht, dass die französischen Sozialisten, ähnlich wie beim Sturz des Ex-IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn, an den ersten Verschwörungstheorien stricken.

Denn alles passiert wenige Tage vor der jährlichen großen Pressekonferenz, auf der Hollande am gestrigen Dienstag seine politische Wende verkünden wollte, den lang erwarteten wirtschaftlichen Aufbruch versprechen und jene großen Linien durchdeklinieren, die er während seiner Neujahrsansprache mit dem „Pakt der Verantwortung“ nur hatte anklingen lassen. Genau jetzt also, da alle Welt gespannt ist, ob sich Frankreich, der „kranke Mann Europas“, wieder aufrappeln wird, und das amerikanische Magazin „Neewsweek“ schon den „Fall of France“ prophezeit. Mit einem Schlag aber hat das Private die Oberhand über das Politische gewonnen. Statt des Paktes der Verantwortung: die Tyrannei der Intimität. Alle in Paris reden nur noch davon.

Privates ist privat ist öffentlich

Die Franzosen wollen vor allem eins wissen: Ist Valérie Trierweiler noch die Première Dame? Die einzige, gezielte Frage in dieser Sache hat Hollande auf der Pressekonferenz sehr kurz, sehr knapp beantwortet. Er verstehe diese Frage und gehe davon aus, dass man auch seine Antwort verstehen werde. „Wir machen eine schmerzhafte Phase durch“, sagte er. „Aber ich habe ein Prinzip: Private Angelegenheiten müssen privat geregelt werden, in respektvoller Intimität. Es ist weder der Ort noch der Augenblick, es zu tun.“

Heißt das, Valérie Trierweiler fährt am 11. Februar mit auf Staatsbesuch in die USA? Auf diese Nachfrage gab Hollande schlicht zurück, im Augenblick nicht antworten zu können, und versicherte, es vor diesem Termin zu tun.

Im Wahlkampf hatte er anders geklungen. Da sagte er im Fernsehzweikampf mit seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy mit theatralischem Gestus: „Ich als Präsident der Republik werde dafür sorgen, dass mein Verhalten zu jedem Zeitpunkt vorbildlich ist.“ Und dieses gebrochene Versprechen mag auch der Grund sein, warum Hollande im Gegensatz zu all seinen Vorgängern, die ihre sexuellen Eskapaden nur viriler erscheinen ließen, mit dieser Geschichte keine Punkte machen wird: Die Franzosen sind enttäuscht. Und sie haben im Augenblick wirklich andere Sorgen. Sie brauchen keinen Präsidenten, dessen Krisenstäbe tagelang darüber debattieren müssen, wie man die Privatsphäre wieder dorthin bekommt, wo sie hingehört, in den Schatten.

Closer, Paris Match, Libération - Hollande auf jedem Blatt

Natürlich könnte man die Sache abtun und den Klatschspalten und People-Magazinen überlassen. Bei Umfragen geben 77 Prozent der befragten Franzosen tatsächlich an, sich für die Bettgeschichten ihres Präsidenten nicht zu interessieren. Aber es gibt gute Gründe, an der Aufrichtigkeit solcher Aussagen zu zweifeln. Das angebliche Desinteresse wirkt längst wie ein kultureller oder erzieherischer Überrest einer Gesellschaft, in der Zeitschriften wie „Closer“ und „Paris Match“ einen starken Markt finden. Tatsächlich kommen inzwischen sogar seriöse Blätter wie beispielsweise die Tageszeitung „Libération“ nicht umhin, dem Liebesleben des Präsidenten auf ihren Seiten Platz einzuräumen.

Die „Libération“ ist es auch, die der verschwommenen Rolle der Première Dame die größte Aufmerksamkeit schenkt und aufzeigt, wo Hollandes Affäre einen längst überfälligen Reformbedarf des französischen Staates offenbart. Denn Valérie Trierweiler hat von Anfang an eine unglückliche Rolle gespielt. Von den amerikanischen Medien als „First Girlfriend“ abgetan, weil sie nicht mit Hollande verheiratet ist, hat sie sich anfangs der altmodischen Rolle der Première Dame verweigern und krampfhaft an ihrer Tätigkeit als Journalistin festklammern wollen. Nur mit Unbehagen hat man ihre Artikel in „Paris Match“ gelesen, wo sie sich plötzlich auf dem angeblich unpolitischen Feld der Literatur austoben durfte.

Peu à peu hat sie aber doch die Rolle der Hände schüttelnden Gattin übernommen, die für die Armen, Kranken und Hilfebedürftigen immer ein Lächeln übrig hat. Im Elysée-Palast hat sie den „Madame-Flügel“ bezogen, wo ihr ein Berater, zwei Sekretärinnen, Chauffeur und Bodyguard zur Seite stehen.

Zickenkrieg lässt Trierweilers Sympathiewerte sinken

Spätestens als Trierweiler selbst das Private mit dem Politischen vermischte und einem Gegenkandidaten von Ségolène Royal, Hollandes früherer Lebensgefährtin, beim Parlamentswahlkampf 2007 viel Glück zutwitterte, sprach man in Frankreich vom Zickenkrieg, und Trierweilers ohnehin schwache Sympathiewerte rutschten in den Keller. Diesem Fauxpas setzte sie noch eins drauf, indem sie sich nach der Ausweisung des Roma-Mädchens Leonarda ins politische Tagesgeschäft einmischte, dem Innenminister in den Rücken fiel und den Präsidenten in eine sehr heikle Lage brachte.

François Hollande wollte nun seine Pressekonferenz dafür nutzen, das zerschlagene Porzellan wieder zusammenzusetzen. Er fordert, die Sphäre der Politik und die des Privatlebens voneinander zu trennen. Die Beziehungskrise eines Mannes sollte nicht seine Kompetenzen als Staatsmann infrage stellen. Aber mit der Veröffentlichung seines Verhältnisses zu der 41 Jahre alten Schauspielerin Julie Gayet, über das man sich in gewissen Kreisen in Paris schon seit März das Maul zerrissen hatte, ist eine neue Ära eingeläutet worden. Man kann es auch so formulieren: Frankreich ist in der Wirklichkeit angekommen.

Bislang galt das Privatleben als heilig. Was in den Hinterzimmern der Macht passiert, geht die Öffentlichkeit nichts an. Das war seit Heinrich IV. und seinen 73 Mätressen so und ist trotz sozialer Netzwerke und Mobiltelefonen, die heutzutage jeden Normalbürger in einen potenziellen Paparazzo verwandeln, im Großen und Ganzen auch so geblieben.

Die Rolle der Première Dame - eine Lebensaufgabe

Das Privatleben war so heilig, dass man es bislang getrost mit Lügen schützen durfte. Am perfektesten hatte diese Kunst François Mitterrand beherrscht, der nicht nur sein langjähriges Krebsleiden verschwieg, sondern auch ein Doppelleben mit zwei Wohnsitzen führte, auf Kosten des Steuerzahlers: Wochentags war er bei seiner Zweitfamilie, am Wochenende beehrte er Danielle Mitterrand mit einem Besuch, die freundlich lächelnd die Zähne zusammenbiss und 14 Jahre lang die Rolle der Première Dame spielte, als wäre nichts gewesen.

Das Doppelleben Mitterrands, Chirac, der sich rühmte, für seine Seitensprünge nicht länger als zehn Minuten zu brauchen, „einschließlich Dusche“, all das gehörte bislang zur Folklore Frankreichs. Über die Liebespartner oder -praktiken von Politikern Bescheid zu wissen, war Machtwissen, mit dem man bei Pariser Tischgesellschaften brillieren konnte. Veröffentlichen? Nie. Aus Respekt vor dem Privatleben. Nicolas Sarkozys ausgestelltes Privatleben führte schnell dazu, dass gar nichts mehr tabu war. In Interviews plauderte sein Sport-Coach fröhlich über die Beckenbodengymnastik des Präsidenten, der damit sein Sexualleben wesentlich verbessert habe.

Was man bei Sarkozy mit Staunen verfolgt hatte, die Trennung von Cécilia, die folgende Beziehung mit Ex-Model und Sängerin Carla Bruni, hat spätestens seit dem Fall von Strauss-Kahn die Franzosen zum Nachdenken gebracht. Mit ihm ist die Grenze zwischen Politischem und Privatem endgültig aufgelöst worden. Und viele Journalisten mussten sich im Nachhinein die Frage gefallen lassen, ob es richtig war, über das allseits bekannte Sexualleben eines so hochrangigen Politikers Stillschweigen zu bewahren.

Hollande hatte versprochen, die Franzosen würden einen Präsidenten bekommen, kein Paar, und schon gar nicht eine Familie an der Spitze des Staates. Nun hat eine Beziehungskrise seine politische Agenda durcheinandergebracht. Anderthalb Jahre nach der Wahl ist er nicht nur der unbeliebteste Präsident, seitdem überhaupt Sympathiewerte von Meinungsforschern gesammelt werden. Es steht noch schlechter um ihn. Der Präsident hat mit dieser Affäre auch seine Glaubwürdigkeit verspielt.

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