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Unions-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder (CDU).

© Stephanie Pilick/dpa

Update

Gespräche über große Koalition: Kauder lehnt große Zugeständnisse an die SPD ab

Kein Familiennachzug für Subsidiäre, keine Bürgerversicherung, keine Vereinigten Staaten von Europa: Der Unionsfraktionschef zieht rote Linien für Gespräche über eine große Koalition.

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Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) drängt die SPD dazu, sich auf eine neue große Koalition einzulassen. "Wenn wir Europa in dieser unruhigen Welt stärken wollen, brauchen wir stabile Mehrheiten", sagte Kauder dem Tagesspiegel. "Ich hoffe, dass wir im Januar zu Koalitionsverhandlungen kommen." Eine Minderheitsregierung oder Duldungsmodelle lehnte der CDU-Politiker hingegen ab. "Ich halte davon überhaupt nichts", sagte Kauder.

Der Fraktionschef wies zugleich die Vorstellung zurück, die SPD könne die Union als Preis für eine Regierungsbeteiligung zu massiven Zugeständnissen zwingen. Die Lage sei nicht anders als vor vier Jahren, als CDU und CSU nach der Absage der Grünen ebenfalls nur mit den Sozialdemokraten verhandeln konnten. "Wie damals werden wir jetzt vernünftig mit der SPD sprechen", sagte Kauder. "Das bedeutet kompromissfähig zu sein."

Eine "absolute Kernforderung" der Union sei aber die Umsetzung des CDU/CSU-Kompromisspapiers zur Zuwanderung. Dazu gehöre es auch, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte weiter auszusetzen. "Die Kommunen haben schon jetzt große Schwierigkeiten, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen", sagte er. "Sie bitten dringend darum, dieses Problem nicht durch weiteren Familiennachzug noch zu verschärfen."

In diesem Punkt forderte auch der designierte bayerische Ministerpräsident Markus Söder Bewegung von den Sozialdemokraten. "Ich verstehe nicht, warum die SPD Beschlüsse fasst, die sie später wieder kassieren muss", sagte der CSU-Politiker dem "Focus". "Wenn ich sehe, dass die SPD hier in Bayern selbst in ihren ehemaligen Hochburgen teilweise unter 20 Prozent gestürzt ist und die AfD viele Stimmen von ihnen gewonnen hat, dann appelliere ich an die Sozialdemokraten, noch einmal darüber nachzudenken, was ein klassischer SPD-Wähler will."

Als zentrale Themen einer neuen Regierung nannte Kauder schnellere Verfahren für öffentliche Investitionen, eine "tiefgreifende Verbesserung" der Lage an den Schulen und Investitionen in die Digital-Infrastruktur. "Wir müssen bei der Digitalisierung den Turbo anwerfen", sagte der Fraktionschef. Eine Absage erteilte er Forderungen aus der SPD nach Einführung einer Bürgerversicherung. Die Bürgerversicherung löse kein Problem in der Gesundheitsversorgung.

Schulz-Vorschlag "Gefahr für die EU"

Kauder lehnt auch den Vorstoß des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz entschieden ab, die EU bis 2025 zu "Vereinigten Staaten von Europa" zu machen. Es stehe außer Frage, dass Europa gestärkt werden müsse, sagte Kauder in dem Interview. "In dem Vorschlag sehe ich aber eher eine Gefahr für die EU und für die Zustimmung der Bürger zu Europa", warnte der CDU-Politiker. "Momentan sehnen sich die Menschen eher nach Verlässlichkeit, die sie auch in den Nationalstaaten zu finden glauben."

Der Vorschlag würde Kauder zufolge das gesamte Einigungswerk aufs Spiel setzen, weil die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten sich daran sicher nicht beteiligen würden. "Ich frage mich auch, wo der Mehrwert dieser Vereinigten Staaten gegenüber dem heutigen Europa liegen soll", kritisierte der Fraktionsvorsitzende.

Sorgen der Bürger im Wahlkampf vernachlässigt

Die CDU hat nach Auffassung Kauders im Wahlkampf die Sorgen und Verunsicherungen vieler Bürger unterschätzt. "Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und trotzdem geringe Renten haben, waren enttäuscht", sagte Kauder. Auch die Lage auf dem Wohnungsmarkt sei häufig zum Thema geworden. "Obwohl die Politik an diesen Themen dran ist, wäre die Union gut beraten, als Volkspartei hier noch sensibler zu sein", sagte der Fraktionschef.

Die CDU-Spitze will an diesem Sonntagabend über das historisch schlechte Wahlergebnis diskutieren. Kauder sagte, es gebe dafür "viele Gründe". Aber auch die Flüchtlingspolitik habe zu dem Resultat beigetragen. "Uns wurde oft gesagt: Für die Flüchtlinge hat man Geld, für uns nicht", sagte Kauder.

SPD-Chef nennt inhaltliche Schwerpunkte

Angesichts des selbstbewussten Auftretens der Union hob auch SPD-Chef Schulz am Samstag noch einmal den ergebnisoffenen Charakter der anstehenden Gespräche hervor. "Wir müssen nicht regieren", betonte er zum Abschluss des Bundesparteitags in Berlin. Seine Partei sei bereit, Verantwortung zu übernehmen, aber "wie wir sie wahrnehmen, das entscheidet die SPD selbst". Dabei lasse sie sich "von anderen keine Lektionen erteilen".

Für die SPD sei nun entscheidend, "wie wir das Leben der Menschen in diesem Land besser machen", sagte Schulz. Wenn es etwa die Chance gebe, Altersarmut zu vermeiden, Verbesserungen bei der Pflege, bezahlbares Wohnen oder Fortschritte in der Europapolitik zu erreichen, "dann müssen wir diese Chance ergreifen", appellierte er an seine Partei - und warb damit für die Option einer Regierungsbeteiligung.

Scharf wies Schulz Vorwürfe von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wegen seines Eintretens für Fortschritte bei der europäischen Integration zurück. Dobrindt hatte Schulz wegen dessen Forderung nach "Vereinigten Staaten von Europa" einen "Europaradikalen" genannt. Für ihn und die ganze SPD gelte: "Wir sind radikale Proeuropäer". (mit AFP)

Das komplette Interview mit Volker Kauder lesen Sie in der gedruckten Sonntagsausgabe des Tagesspiegels oder schon am Samstag ab 19.30 Uhr im E-Paper.

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