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Zwei, die miteinander reden müssen: Groko-Befürworter Martin Schulz und Groko-Gegner Kevin Kühnert.

© imago/Sven Simon

Große Koalition: Juso-Chef Kevin Kühnert: Der Gegenspieler

Martin Schulz kämpft darum, dass der SPD-Parteitag nicht die Tür zur großen Koalition zuschlägt. Sein wichtigster Konkurrent ist ein 28-Jähriger.

Von Hans Monath

Kevin Kühnert kümmert sich darum, dass seine Botschaft rechtzeitig unter die Leute kommt: Am Freitagvormittag läuft im Willy-Brandt-Haus noch die Vorbereitung für die Pressekonferenz der Parteichefs Martin Schulz, Angela Merkel und Horst Seehofer zum Sondierungsergebnis, da steht der Juso-Chef schon in der Passage der Parteizentrale vor den Kameras und warnt seine Partei vor einer großen Koalition. Manchmal kommt es in der Politik auch darauf an, wer schneller ist.

Einen Tag nach dem Auftritt vor dem Willy-Brandt-Haus kann der 28-Jährige schon einen wichtigen Etappensieg bei dem Versuch verbuchen, die Sozialdemokraten vom Wiedereintritt in ein Regierungsbündnis mit der Union abzuhalten. Der Vorsitzende der 70.000 jüngeren SPD-Mitglieder ist aus der Hauptstadt 240 Kilometer nach Wernigerode zum Landesparteitag der sachsen-anhaltinischen Sozialdemokraten gefahren. Zwar wirbt mit Außenminister Sigmar Gabriel ein Politprofi mit ausgeprägtem Instinkt und Überzeugungskraft dafür, den Weg für die Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU nicht zu verbauen. Doch wenige Stunden später dreht Kühnert mit seiner Rede vor den Landesdelegierten die Stimmung.

Das Ergebnis der Sondierungen bringe faktisch eine Obergrenze für Flüchtlinge, die die SPD immer abgelehnt habe, beklagt er. Mit einer "Kultur des Vertagens und Verschiebens", so warnt er, werde sich die SPD nicht erneuern können. Mit der hauchdünnen Mehrheit von 52 zu 51 Stimmen votieren die Delegierten schließlich gegen die Aufnahme von Verhandlungen über eine große Koalition.

Keine SPD-Gruppierung kämpft so energisch gegen die Groko wie die Jusos

Die SPD Sachsen-Anhalts stellt zwar nur sieben der 600 Delegierten, die am Sonntag auf dem Sonderparteitag in Bonn darüber entscheiden, ob die SPD-Verhandler nun Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnehmen können. Doch für SPD-Chef Martin Schulz und seinen Kurs dürfte es kein gutes Omen sein, dass der erste Test auf die Regierungswilligkeit seiner Basis schief geht.

Keine andere Gruppierung in der Welt der SPD kämpft so energisch und geschlossen gegen die Wiederauflage der großen Koalition wie die Jusos und ihr Vorsitzender Kühnert. Der Berliner Student der Politikwissenschaften, den vor seiner Wahl zum Juso-Chef im November außerhalb der Berliner SPD kaum jemand kannte, ist zum Gegenspieler von Schulz herangewachsen. Ein junger Mann, der vor zwölf Jahren in die SPD eingetreten ist, fordert den 62-jährigen Berufspolitiker an der Parteispitze heraus. Und auch intime Kenner der Sozialdemokratie können nicht vorhersagen, ob sich am Ende Schulz gegen Kühnert durchsetzen wird. "Niemand kann sicher sein, wie sich die Stimmung bis zum Parteitag entwickelt", sagt einer von ihnen.

In jenem Jahr, in dem der damals 16-jährige Kühnert Mitglied der SPD wird, fliegt die SPD wegen der Reformpolitik ihres Kanzlers Gerhard Schröder aus der Regierung: An seiner Stelle wird nach der Bundestagswahl 2005 Angela Merkel Kanzlerin. Das Beamtenkind – der Vater arbeitet im Finanzamt, die Mutter im Jobcenter – engagiert sich bei den Berliner Jungsozialisten, bald fördert ihn der Parteilinke Jan Stöß, der zwischen 2012 und 2016 Vorsitzender des Landesverbandes ist.

Von 2012 bis 2015 führt Kühnert die Berliner Jusos an, dann wird er Vizechef des Nachwuchsverbandes auf Bundesebene. Bei den Jusos wird er zum "Netzwerk linkes Zentrum" gezählt, einer Strömung, der linke Überzeugungen wichtiger sind als pragmatische Politik. Wie praktische Politik geht, kann er als Mitarbeiter eines Mitglieds im Berliner Abgeordnetenhaus studieren und als Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung im Bezirk Tempelhof-Schöneberg.

100-Prozent-Beschluss gegen das Bündnis mit der Union

Ihr erstes Duell im Streit um die künftige Rolle der SPD nach der Bundestagswahl liefern sich der Parteichef und der Nachwuchsmann auf dem Juso-Bundeskongress am 24. November, der Kühnert zum Vorsitzenden wählt. Erst am Vormittag haben Schulz und der SPD-Vorstand ihren erst wenigen Tagen alten Beschluss revidiert, wonach die SPD auch nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen für ein Bündnis mit der Union nicht bereitsteht. Schulz hat das Türchen zum Regieren ein bisschen aufgemacht, aber er bekennt sich vor den Jusos noch nicht offensiv dazu: "Ich strebe gar nichts an", sagt er in Bezug auf die Form einer Regierungsbeteiligung. Der begabte Rhetoriker Kühnert ("Wir sind das Bollwerk gegen die große Koalition") führt einen 100-Prozent-Beschluss gegen das Bündnis herbei.

Das nächste Mal treffen die beiden auf dem SPD-Parteitag Anfang Dezember aufeinander. Siebeneinhalb Minuten trommelt Kühnert am Rednerpult gegen die Groko, die seiner Meinung nach die Existenz der Partei gefährdet, immer wieder bringt er die Delegierten zum Jubeln. Er sei "nicht in die SPD eingetreten, um sie immer wieder gegen die gleiche Wand rennen zu sehen", ruft er: Die Jungen in der SPD hätten "ein Interesse, dass noch etwas übrig bleibt von diesem Laden, verdammt noch mal!" Sein Schlusssatz lautet: "Die Erneuerung der SPD wird außerhalb einer großen Koalition sein – oder sie wird nicht sein."

Diesmal setzt sich aber Schulz durch: Die Mehrheit der Delegierten folgt seinem Plädoyer, doch wenigstens in Sondierungen mit der Union auszuloten, was die SPD herausholen könnte. Doch der Parteivorsitzende muss einen Preis bezahlen, um die misstrauische Basis zu besänftigen: Er verspricht eben jenen Sonderparteitag vor den Sondierungen, der nun am Sonntag ansteht und der entscheidet, ob es weitergeht. Bis dahin touren nun sowohl Schulz wie Kühnert durch die Republik, um für ihre Sicht zu werben. Während der Parteichef In Nordrhein-Westfalen und Bayern unterwegs ist, hat der Juso-Chef eine Online-Petition gestartet und eine "#NoGroKo-Tour".

Die AfD soll keinesfalls die Rolle des Oppositionsführers bekommen

Vor dem Durchbruch bei den Sondierungen hatte Kühnert angekündigt, auch ein gutes Verhandlungsergebnis seiner Partei werde ihn nicht umstimmen. Gegen das Bündnis macht er auch mit dem Argument mobil, die SPD dürfe im Bundestag der AfD keinesfalls die Rolle des Oppositionsführers überlassen. Das aus Sicht vieler Sozialdemokraten magere Sondierungsergebnis stärkt nun seine Position. Kühnert warnt jetzt, "Kernkriterien", die der Parteitag im Dezember beschlossen habe, seien "deutlich gerissen worden". Außerdem habe sich die CSU in der Flüchtlingsfrage mit ihrer Forderung nach einer "Obergrenze" durchgesetzt.

Bei den Befürwortern von Koalitionsverhandlungen in der Führung der Partei lösen solche Töne Unmut aus. Schulz dürfte wenig erfreut gewesen sein, als er kürzlich lesen musste, Kühnert sei es egal, was im Fall einer Absage an die große Koalition aus dem Parteichef werde – Äußerungen, die der Juso-Chef später relativierte. Am Montag warnte Fraktionschefin Andrea Nahles davor, das Sondierungsergebnis "mutwillig" schlechtzureden. Sie sei selbst Juso-Chefin gewesen, sagte sie dem "Deutschlandfunk", Kühnerts Haltung zur Groko teile sie aber "in keinster Weise".

Für Schulz ist die harte Gegnerschaft des Parteinachwuchses gegen seinen neuen Kurs bitter: Die Jusos hatten Anfang des Jahres zu den energischsten Unterstützern seiner Kanzlerkandidatur gehört. Kühnert dagegen kann auch gewinnen, falls er den Kampf gegen die Groko verlieren sollte. Denn harte politische Konflikte mit der Parteispitze haben der politischen Karriere schon vieler Juso- Vorsitzenden einen Schub verliehen.

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