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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, wird mit einer Blumenkette bei einem Unternehmensbesuch des deutschen Brennstoffzellhersteller SFC Energy begrüßt.

© Britta Pedersen/dpa

Grüne Energie, Handel, Fachkräfte: Wirtschaftsminister Robert Habeck im „Indien-Hype“

Drei Tage lang reist Habeck durch das Land: Neu-Delhi, Mumbai, Goa. Elf Jahre lang war kein Bundeswirtschaftsminister dort. Plötzlich aber ist das Interesse an Indien groß.

Wacken? Als Thema in Neu-Delhi? Für einen Moment jedenfalls geht’s um Wacken, das Open-Air-Rock-Festival. Während der Ortsname aus seiner Heimat Schleswig-Holstein fällt, grinst Robert Habeck kurz. „Rock-Festival“ erklärt er.

Habeck besucht am Donnerstag die deutsche Firma SFC Energy, die nahe der indischen Hauptstadt Brennstoffzellen herstellt. Sie können, sagt Vorstandschef Peter Podesser, etwa Open-Air-Events via Generator mit Strom versorgen. Wacken, zum Beispiel: „350 Liter Methanol ersetzen 9000 Liter Diesel.“

Kurz darauf eröffnen Habeck und Podesser die Produktionsstätte. Bisher arbeiten hier 30 Menschen, bald sollen es 100 sein. Erwarteter Umsatz: eine Million Euro pro Mitarbeiter.

In sechs Wochen ist der Kanzler schon wieder hier

Drei Tage lang, noch bis Samstagabend, reist Habeck durch Indien: Neu-Delhi, Mumbai, Goa. Elf Jahre lang war kein Bundeswirtschaftsminister in Indien. Plötzlich aber ist das Interesse an Indien groß.

Olaf Scholz (SPD) war in diesem Jahr schon da, in sechs Wochen kommt der Kanzler wieder, zum G-20-Gipfel. Stolz rühmt sich Indien seiner Präsidentschaft. „Eine Erde, eine Familie, eine Zukunft“ heißt es auf den riesigen G-20-Werbetafeln. Mehrere Ampel-Minister haben Indien besucht, Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist gerade auch da.

Demnächst schauen Karl Lauterbach und Steffi Lemke vorbei. Schon etwa 2000 deutsche Firmen sind in Indien tätig. Tendenz steigend.

Deutschlands neugieriger Blick

Grüne Energie, Handel, Fachkräfte – neugierig blickt Deutschland nach Indien, zumal im Bemühen, sich von Indiens Gegenspieler China zu emanzipieren. Die beiden Länder teilen 3000 Kilometer Grenze, China beansprucht Gebiete.

Deutschland also interessiert sich für Indien. Habeck heizt den neuen Indien-Hype an. Doch macht er keinen Hehl daraus, dass das bündnisfreie Indien nicht zu den engsten Freunden Deutschlands zählt. „Groß, wichtig und schwierig“ – so charakterisiert Habeck das Reich mit seinen gut 1,4 Milliarden Einwohnern.  

Berlin meint es gut mit Indien

„Schwierig“? Gewiss, Indien ist eine Demokratie, wenn auch mit autoritären Tönen, angeschlagen von Premierminister Narenda Modi, im Straßenbild Neu-Delhis omnipräsent. Es gibt Menschenrechtsverletzungen. Modis Regierung hat bisher Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht verurteilt. „Das ist nicht richtig. Das muss von indischer Seite formuliert werden“, sagt Habeck noch vor seinem Treffen mit Außenminister Subrahmanya Jaishankar.

Energie-Partnerschaften sind nie neutral. Wirtschaftliche Angelegenheiten sind immer Machtfragen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) über die einstige Energieabhängigkeit von Russland.

„Indien aber bewegt sich von Russland weg“, sagt Habeck. Die militärische Kooperation zwischen Indien und Russland sei einst viel enger gewesen. Berlin meint es gerade gut mit Indien.

Krieg und Klimakrise prägen Europas Politik wie Habecks Schicksal. Vor dem letzten Winter kämpfte der Wirtschafts- und Klimaminister gegen eine Gasmangel-Lage. In der Debatte um den „Heizhammer“ („Bild“-Zeitung) zog er sich Schrammen zu. Habeck verlor Vertrauen, seine Partei erst recht.

Indien soll Energie liefern

Vom Heizen redet hier gerade niemand. „Überall in der Welt wird es heißer“, sagt Habeck bei schwülen 35 Grad Celsius vor dem Safdarjung Mausoleum in Neu-Delhi. Ein Grund mehr für eine „Energiepartnerschaft“ mit Indien. Die Idee: Indien soll grünen Wasserstoff nach Deutschland exportieren.

Auf dem Weg nach Indien musste das Regierungsflugzeug, wie alle anderen zivilen Maschinen, einen Umweg nehmen, der Luftraum von Ukraine und Russland ist tabu. So flog man über Griechenland. Selbst aus 12.000 Metern Höhe waren die riesigen Rauchschwaden der Waldbrände in der Region Athen zu sehen. So konkret die Folgen von Krieg und Klimakrise sind, so sehr verändert sich der Tonfall.

„Wir reden endlich wieder von einem Freihandelsabkommen mit Indien“, sagt Habeck, also der Vertreter einer Partei, die einst ein solches Abkommen mit Kanada bekämpft hat. „Wir müssen unsere Wirtschaftsbeziehungen breiter aufstellen, nicht nur nach China schauen“, sagt er. Neue Partner sind gefragt, Indien etwa, und: mehr Handel. Das alles klingt, als habe Habeck bei den Grünen noch Überzeugungsarbeit zu leisten.

Habecks Definition der alten Handels-Welt

Eine argumentative Brücke dafür baut er bereits. „In der alten Welt stand Handel im Gegensatz zu Klima- und Umweltschutz, sozialen Standards.“ Heute sei es umgekehrt. Dabei weiß Habeck, dass etliche Länder um Indiens Gunst buhlen. Indien ist begehrter denn je, seit die Skepsis gegenüber China langsam wächst.

Berlin will nach seiner einstigen Energieabhängigkeit von Russland lernen. Eine „schmerzhafte Lektion“ sei das, sagt Habeck: „Energie-Partnerschaften sind nie neutral. Wirtschaftliche Angelegenheiten sind immer Machtfragen.“ De-Risking, Diversifizierung lauten die Schlagworte heute.

Deutschland hat Nachholbedarf. Der Handel mit Indien umfasst nur ein Zehntel des Handels mit China. Das Freihandelsabkommen soll bis Jahresende verhandelt sein, hoffen die Optimisten in Brüssel. Indien und die EU wählen im Frühjahr 2024; davor und danach geht erst einmal nichts. Ein Kriterium, das für die Demokratie Indien relevant ist, anders als für jene Diktatur, die von Deutschland so lange umgarnt wurde: China. Habeck, bald zwei Jahre im Amt, hat China übrigens noch nicht besucht.

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